Zum Abschluss der Evaluation des Teilhabechancengesetzes hat das IAB seine Forschungsergebnisse in einem virtuellen Workshop präsentiert. Mehr als 300 Interessierte, im Wesentlichen Vertreter von Jobcentern und Regionaldirektionen, nahmen daran teil und diskutierten mit. Die Bilanz von Wissenschaft und Praxis fällt dabei gleichermaßen positiv aus. Angesichts der angespannten Haushaltslage des Bundes wird die langfristige Finanzierbarkeit gerade des Instruments „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ jedoch mit einiger Sorge betrachtet.

Fünf Jahre nach Einführung der Instrumente „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ (§ 16e Sozialgesetzbuch II, SGB II) und „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16i SGB II), die seinerzeit von der Großen Koalition mit dem Teilhabechancengesetz beschlossen wurden und für Langzeitarbeitslose mit besonders langen Arbeitslosigkeitszeiten je nach Instrument eine geförderte Beschäftigung von bis zu zwei beziehungsweise fünf Jahren vorsehen, hat das IAB die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Evaluation in einem Bericht für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vorgelegt.

Aus diesem Anlass veranstaltete das IAB am 17. April dieses Jahres einen Online-Workshop, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jobcenter und Regionaldirektionen die zentralen Ergebnisse der Studie vorzustellen und die handlungspraktischen Schlussfolgerungen mit ihnen zu diskutieren.

Das Bild zeigt ein Portraitfoto vonDr. Philipp Ramos Lobato.

Dr. Philipp Ramos Lobato ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Stabsstelle Forschungskoordination am IAB.

Die Begrüßung und Einführung in den Workshop erfolgte durch Dr. Philipp Ramos Lobato, der die umfangreiche IAB-Evaluation seit 2019 geleitet hat. Für das BMAS begrüßte Dr. Klaus Bermig, Leiter der Unterabteilung „Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende“.

In seinem kurzen Eingangsstatement machte Bermig auf ein Spannungsverhältnis aufmerksam, das sich wie ein roter Faden durch die gesamte Diskussion des Workshops ziehen sollte: Einerseits stellen die Ergebnisse der IAB-Evaluation den beiden Instrumenten ein gutes Zeugnis aus. Andererseits kann die künftige Entwicklung gerade beim Förderangebot „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ nicht losgelöst von der angespannten Haushaltslage des Bundes betrachtet werden.

Dr. Klaus Bermig: Das Teilhabechancengesetz wirkt.

Das Bild zeigt ein Portraitfoto von Dr. Klaus Bermig.

Dr. Klaus Bermig ist Unterabteilungsleiter „Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende” im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Zunächst aber zu den wissenschaftlichen Befunden: Die Bilanz aus Sicht der Forschung, die die IAB-Wissenschaftler PD Dr. Joachim Wolff und Dr. Jan Gellermann in ihren einleitenden Vorträgen zogen, fällt ermutigend positiv aus. Die Instrumente erreichen, wie vom Gesetzgeber intendiert, eine arbeitsmarktferne Teilgruppe unter den Leistungsberechtigten der Grundsicherung für Arbeitsuchende und verbessern ihre Beschäftigungsfähigkeit und die soziale Teilhabe.

Beim Instrument „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ konnten zudem überraschend hohe Effekte auf den Übergang der Geförderten in eine reguläre Anschlussbeschäftigung beobachtet werden, wie Joachim Wolff betonte.

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PD Dr. Joachim Wolff leitet den Forschungsbereich „Grundsicherung und Aktivierung“ am IAB.

Dabei ist die ganzheitliche beschäftigungsbegleitende Betreuung, die nach ihrer Erprobung in mehreren Landes- und Bundesprogrammen erstmals als Regelinstrument im SGB II zum Einsatz kam, aus Sicht der Forschung wichtig, um die gefördert Beschäftigten mit ihren teils multiplen Problemlagen gezielt zu unterstützen.

Das häufig auch als Coaching bezeichnete Betreuungsangebot deckt einen breiten Unterstützungsbedarf der Geförderten ab und wird von diesen auch positiv bewertet. Die praktische Umsetzung hingegen erweist sich in verschiedener Hinsicht als verbesserungswürdig. So plädierte Jan Gellermann in seinem Vortrag insbesondere für eine stärkere Qualifizierung der Coaches.

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Dr. Jan Gellermann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Regionalen Forschungsnetz am IAB.

Daneben bleibt eine offene Frage, welche Anschlussperspektive jenen Geförderten geboten werden kann, die nach Ende der geförderten Beschäftigung nicht unmittelbar auf dem regulären Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Nach Gellermanns Einschätzung sind hier größere Anstrengungen bei der Umsetzung notwendig, teilweise seien auch politische Entscheidungen erforderlich.

Zu nennen sind etwa eine stärkere Nutzung von Weiterbildungsmöglichkeiten und Justierungen bei deren Antragsverfahren, ein integriertes Übergangsmanagement im Coaching sowie eine gezieltere Einbeziehung von Förderbetrieben, die einen grundsätzlichen Arbeitskräftebedarf haben und auch imstande sind, eine Anschlussbeschäftigung zu bieten.

Anke Schürmann-Rupp: Ein Teil der Geförderten hat auch nach fünfjähriger Förderung keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Das Bild zeigt ein Portraitfoto von Anke Schürmann-Rupp.

Anke Schürmann-Rupp ist Geschäftsführerin des Jobcenters Gelsenkirchen.

Im zweiten Teil der Veranstaltung wurden die vorgestellten Ergebnisse mit den Vertreterinnen und Vertretern aus der Praxis diskutiert. Eröffnet wurde dieser Part mit Kommentaren von Anke Schürmann-Rupp, Michael Kelka und Anja Roth aus den Jobcentern Gelsenkirchen, Landkreis Osnabrück und Rhein-Sieg. Sie schilderten ihre Erfahrungen mit den beiden Instrumenten des Teilhabechancengesetzes.

Ungeachtet aller Unterschiede zwischen den drei Jobcentern, etwa mit Blick auf deren Arbeitsmarktsituation und der Zusammensetzung der Leistungsberechtigten, waren sich alle drei einig, dass die beiden Instrumente die Fördermöglichkeiten für (besonders) arbeitsmarktferne Arbeitslose substanziell erweitert haben. Sie müssten unbedingt beibehalten werden, um Leistungsberechtigten mit langen Phasen von Arbeitslosigkeit auch künftig eine Brücke in den Arbeitsmarkt bauen zu können.

Allerdings hapere es nicht selten an Anschlussperspektiven für die Zeit nach Ablauf der geförderten Beschäftigung. Nicht wenige drohten deswegen durchs förderpolitische Raster zu fallen, fürchtet Anke Schürmann-Rupp vom Jobcenter Gelsenkirchen. Dort denkt man daher intensiv über alternative Förderangebote für eben jene Gruppe von Geförderten nach § 16i SGB II nach.

Eine Option sieht Schürmann-Rupp in einer Weiterentwicklung des Instruments der Arbeitsgelegenheiten. Diese meist als „Ein-Euro-Jobs“ bezeichneten Maßnahmen wurden in den Anfangsjahren der Grundsicherung für Arbeitsuchende im großen Stil eingesetzt, spielen aber aus verschiedenen Gründen nur noch eine geringe förderpolitische Rolle. Mit geeigneten gesetzlichen Justierungen, etwa bei den Zugangsvoraussetzungen, dem Zuverdienst und den Einsatzfeldern, könnten sie jedoch nach Auffassung von Schürmann-Rupp ein Angebot für diejenigen darstellen, die nach Ablauf der Förderung nach § 16i SGB II keine Anschlussbeschäftigung finden.

Auch mit den Arbeitsgelegenheiten, so der dahinterstehende Gedanke, könnte ein gewisser Beitrag zur sozialen Teilhabe und persönlichen Stabilisierung langjähriger Arbeitsloser geleistet werden – und das mit im Schnitt geringeren finanziellen Aufwänden. Schließlich sind es gerade die hohen Kosten geförderter sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, die den Jobcentern angesichts der angespannten Haushaltslage des Bundes Probleme bereiten.

Dieses Problem wurde auch in vielen Chat-Beiträgen zur Veranstaltung angesprochen. „Wenn aufgrund der angespannten Haushaltslage keine auch nur mittelfristige Planung vor Ort ermöglicht wird, ist zumindest die Förderung nach § 16i SGB II in der Praxis tot“, kritisierte etwa Kurt Rieder vom Jobcenter Städteregion Aachen.

In Gelsenkirchen hingegen werde man trotz der hohen Kosten von § 16i SGB II fürs Erste weiterhin auf „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ setzen, betonte Schürmann-Rupp: „Solange es noch fiskalisch vertretbar ist, macht Gelsenkirchen mit der Förderung von § 16i weiter“, sagte die Leiterin des dortigen Jobcenters.

Michael Kelka: Um weiterhin Förderung mit mehrjähriger Perspektive realisieren zu können, bräuchte es einen zusätzlichen, vom Eingliederungstitel unabhängigen Finanzierungstopf.

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Michael Kelka ist Bereichsleiter der Kommunalen Arbeitsvermittlung im Jobcenter Landkreis Osnabrück.

Michael Kelka, Bereichsleiter im kommunalen Jobcenter Landkreis Osnabrück, treiben ähnliche Sorgen um. Statt einer Finanzierung über die Eingliederungsleistungen regt Kelka daher einen eigenständigen Fördertitel an, nicht zuletzt um mehr finanzielle Planungssicherheit für mehrjährige Förderungen zu haben.

Um etwaige Anschlussperspektiven ausloten zu können, empfiehlt Kelka eine frühzeitig einsetzende Vermittlungsphase, an der auch die Beschäftigungsbetriebe mit ihren Netzwerken mitwirken sollen, wenn sie selbst keine Fortbeschäftigungsmöglichkeit haben. Dazu sei – ebenso wie zum Coaching, das für Kelka einen hohen Stellenwert hat – eine klare Kommunikation mit den Betrieben bereits zu Förderbeginn entscheidend.

Anja Roth: Es ist wichtig, den Geförderten Qualifikationen mitzugeben.

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Anja Roth ist Geschäftsführerin des Jobcenter Rhein-Sieg.

Ein Mehr an finanzieller Kontinuität wünscht sich auch Anja Roth vom Jobcenter Rhein-Sieg. Um unter den gegebenen finanziellen Rahmenbedingungen die Förderung zu ermöglichen, setzt sie auf kürzere Förderdauern beim Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“, schöpft die dort mögliche Förderdauer von fünf Jahren also nicht immer aus. Parallel dazu nutzt ihr Jobcenter verstärkt das auf zwei Jahre angelegte Instrument „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“.

Schließlich betonte Roth die Wichtigkeit eines guten Matchings zwischen Geförderten und Beschäftigungsbetrieben und einer förderungsbegleitenden Qualifizierung. Nur so könne man für die Betroffenen nachhaltige Erfolge am Arbeitsmarkt erzielen.

Dr. Janna Czernomoriez: Eine auskömmliche Finanzierung ist unabdingbar, damit die Jobcenter die Förderungen des Sozialen Arbeitsmarktes machen können.

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Dr. Janna Czernomoriez ist Leiterin des Referats „Leistungen der Grundsicherung zur Schaffung von Arbeitsplätzen“ im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Die Finanzierungsthematik sieht man selbstverständlich auch im BMAS, wie Dr. Janna Czernomoriez, Leiterin des zuständigen Fachreferats, in ihrem Statement hervorhob. Ohne eine auskömmliche Finanzierung bestehe in der Tat das Risiko, dass gerade die Förderung „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ trotz der positiven Evaluationsergebnisse an Bedeutung verliere.

Das BMAS betrachte die weitere Verbesserung des Coachings sowie die Schaffung von Anschlussperspektiven nach Förderende als zentrale Themen. Die nun vorliegenden Befunde des IAB gäben dabei wichtige inhaltliche Hinweise für praxisrelevante Justierungen.

Kritisch hingegen sieht das BMAS den pauschalen Einsatz von Arbeitsgelegenheiten als Anschluss an eine 16i-Förderung. Die anvisierten Zielgruppen der Instrumente seien eigentlich zu unterschiedlich, wenngleich in der Praxis durchaus Schnittmengen bestehen können.

Die vielfältigen Diskussionsbeiträge brachten aus Sicht der IAB-Forscher alles in allem zum Ausdruck, dass sowohl die Erfahrungen der Praxis als auch die nun vorliegenden Forschungsergebnisse den Beginn der Weiterentwicklung des Teilhabechancengesetzes einläuten sollten. Mit Blick auf den bestehenden Instrumentenkasten des SGB II, so sind sich die Veranstalter einig, sind die Förderungen nach den §§ 16e und 16i für Langzeitarbeitslose zu wichtig, um sie nicht angemessen weiterzuentwickeln.

Serie zum Teilhabechancengesetz

Weitere Analysen des IAB zum Teilhabechancengesetz finden Sie in der Serie „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen und Teilhabe am Arbeitsmarkt“ im IAB-Forum.

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240524.01

Gellermann, Jan; Ramos Lobato, Philipp (2024): Fünf Jahre Teilhabechancengesetz: Das IAB diskutiert seine Evaluationsergebnisse mit Jobcentern und Regionaldirektionen, In: IAB-Forum 24. Mai 2024, https://www.iab-forum.de/fuenf-jahre-teilhabechancengesetz-das-iab-diskutiert-seine-evaluationsergebnisse-mit-jobcentern-und-regionaldirektionen/, Abrufdatum: 16. June 2024