Energiewende, Mobilitätswende, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz: Die aktuellen Herausforderungen sind gewaltig. Die digitale und die ökologische Transformation setzen Staat und Unternehmen unter massiven Anpassungsdruck. Zugleich ist jede Region in unterschiedlicher Weise mit den Chancen und Risiken der Transformation konfrontiert. Resultieren daraus auch unterschiedliche regionale Anpassungsstrategien? Wie effektiv ist regionale Wirtschaftsförderung? Und führen die Transformationsprozesse zu einer Reorganisation von Wirtschaftsräumen? Diese und weitere Fragen diskutierten Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Regionalpolitik am 13. März dieses Jahres bei den „Nürnberger Gesprächen“.

König: „Es gibt kein Handbuch für diesen einen Wandel“

In seiner Einführung betonte Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König, dass es kein „Handbuch“ für die erfolgreiche Gestaltung der digitalen und ökologischen Transformation auf regionaler Ebene geben kann. Vielmehr gelte es, die individuellen Potenziale und Voraussetzungen einer Region zu erkennen und gezielt damit zu arbeiten.

So arbeite etwa bereits jeder zehnte Beschäftigte in Nürnberg im IT-Sektor. Auch in der Digitalisierung der Verwaltung liege Nürnberg weit vorne, wie der zweite Platz im sogenannten Smart City Index gezeigt habe — nach München, aber vor Fürth, wie das Stadtoberhaupt augenzwinkernd anmerkte. Bei der Energie- und Umwelttechnik seien Unternehmen aus der Region ebenfalls vielfach führend, wie der Oberbürgermeister an zahlreichen Beispielen festmachte.

Königs besonderes Anliegen ist hier insbesondere die verstärkte Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft, auch durch geeignete Plattformen. Als Beispiele nannte er unter anderem den ZOLLHOF Tech Incubator und das Kreativzentrum OM7 zur Unterstützung lokaler Startups. Auch die erst 2021 gegründete und noch im Aufbau befindliche Technische Universität Nürnberg (UTN), die mit ihrem englischen Lehrprogramm in der Spitze bis zu 6.000 Studierende haben soll, sieht König als einen wichtigen Meilenstein. Letztlich sei es Aufgabe der Kommunalpolitik „einen Boden zu schaffen, auf dem gerne etwas wächst“.

Schnitzer: „Es wird zu einer Reorganisation von Wirtschaftsräumen kommen“

Auf dem Bild ist Monika Schnitzer zu sehen.

Monika Schnitzer ist Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professorin für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

In der Podiumsdiskussion, die von der Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld moderiert wurde, betonte Monika Schnitzer, Wirtschaftsprofessorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den ambivalenten Charakter der Transformation. Die Herausforderungen durch die anstehenden Umbrüche im Land seien zwar enorm, sie böten aber auch ein großes Potenzial.

Schnitzer sieht derzeit eine Reorganisation von Wirtschaftsräumen, wie es sie auch nach dem Zweiten Weltkrieg gab. So könnte es zu einer Verlagerung von stromintensiven Unternehmen von Süddeutschland nach Nord- und Ostdeutschland kommen, weil dort der Strom günstiger sei.

Potenziell durch Umbrüche gefährdet sind ihrer Meinung nach besonders Regionen, die momentan Cluster mit viel Industrie bilden. So würden in der Automobilbranche immer weniger Verbrenner produziert werden. In diesem Sektor würden daher künftig weniger Beschäftigte benötigt.

Zugleich aber würden sich viele Unternehmen dort ansiedeln, wo Arbeitskräfte verfügbar sind beziehungsweise werden. Denn Menschen sind laut Schnitzer aus verschiedenen Gründen lange nicht so flexibel in der Wahl ihres Wohnortes, wie vielfach angenommen. Auch deswegen müsse man dafür sorgen, dass auch in den vom Umbruch betroffenen Regionen selbst Chancen für neue Beschäftigungsverhältnisse entstehen.

Schnitzer betonte zudem die Notwendigkeit, die Verlierer der Transformation „gehen zu lassen“ und Ressourcen stattdessen in zukunftsträchtige Bereiche zu lenken, da nur dies letztendlich zu einer Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität führe.

Gropp: „Wenn wir nicht versuchen, irgendwelche Sektoren zu erhalten, tun wir der Wirtschaft einen sehr großen Gefallen“

Auf dem Bild ist Reint Gropp zu sehen.

Prof. Reint E. Gropp  ist Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle.

Auch Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), plädierte eindringlich dagegen, nicht wettbewerbsfähige Sektoren künstlich am Leben zu erhalten. Das habe schon mit dem Versuch, die Chemieindustrie in Ostdeutschland zu halten, nicht funktioniert und schlussendlich zur Zementierung einer niedrigeren Produktivität geführt.

„Wenn wir nicht versuchen, irgendwelche Sektoren zu erhalten, tun wir der Wirtschaft einen sehr großen Gefallen“, ist der Wirtschaftsforscher überzeugt.

Zudem forderte Gropp, vor allem dort zu investieren, wo es eine starke Nachfrage nach öffentlichen Gütern, beispielsweise nach Kinderbetreuungsplätzen, gibt. Man könne etwa den Umzug vieler Menschen in Ballungsräume wie Berlin, München oder Leipzig nicht durch den Bau einer Kita auf dem Land verhindern. Gemeinden sollten sich eher auf eigene Stärken konzentrieren und nicht nur versuchen, imaginäre oder real existierende Schwächen auszugleichen.

Wenn im Zuge des Strukturwandels in einigen Bereichen Fachkräfte freigesetzt werden, sieht Gropp darin auch eine Chance, da diese gegebenenfalls Lücken an anderer Stelle schließen könnten. Die Ansiedlung des US-amerikanischen Halbleiterherstellers Intel in Magdeburg mit massiven Steuergeldern zu subventionieren, hält Gropp hingegen für falsch. Denn für andere Unternehmen in der Region würde es dadurch nur noch schwerer werden, geeignetes Personal zu finden.

Niebuhr: „Der Strukturwandel birgt auch Chancen“

Auf dem Bild ist Annekatrin Niebuhr zu sehen.

Annekatrin Niebuhr ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Regionalen Forschungsnetz des IAB und Professorin für Empirische Arbeitsmarktforschung und Räumliche Ökonometrie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Auch IAB-Forscherin Annekatrin Niebuhr schloss sich Gropps Einschätzung an. Zugleich bescheinigte sie beispielsweise Regionen in Norddeutschland große Chancen. Denn dort liegen hohe Kapazitäten für die Produktion erneuerbarer Energien – unabdingbar für die ökologische Transformation.

Eher weniger profitieren werden aus ihrer Sicht peripher gelegene Orte ohne Anbindung an größere Ballungszentren. Dennoch sollte man auch in weniger zentral gelegenen Regionen investieren, so Niebuhr, wenn die Chance besteht, dass Menschen dort zum Leben und Arbeiten bleiben.

Niebuhr plädierte auf dem Podium auch für Investitionen in Weiterbildung. Denn Firmen, die am Markt bestehen wollen, müssen vielfach ihre Produktionsprozesse und Geschäftsmodelle anpassen. Damit verändern sich auch die Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten.

Eine Gefahr sieht sie darin, dass Arbeitsplatzwechsel zwischen den verschiedenen Branchen von den Betroffenen als sozialer Abstieg wahrgenommen werden könnten und eben nicht als gelungene Transformation. Es sei beispielsweise nur schwer vorstellbar, dass ein gut bezahlter Stahlarbeiter große Neigung verspürt, in die Pflege zu wechseln.

Lötzsch: „Regionen müssen darum kämpfen, Industrien und Arbeitsplätze trotz veränderter Rahmenbedingungen zu erhalten“

Auf dem Bild ist Markus Lötzsch zu sehen.

Markus Lötzsch ist Hauptgeschäftsführer der IHK Nürnberg für Mittelfranken.

Auch Markus Lötzsch, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Nürnberg für Mittelfranken, sorgt sich um die Arbeitskräfte vor Ort. Die Zusammenarbeit zwischen Menschen, Kommunen, Unternehmen und Organisationen trage entscheidend zum Erfolg eines Wirtschaftsstandortes bei. Es sei daher eine gemeinsame Aufgabe, für die Zukunft einer Region zu sorgen, indem man durch Bildung und Qualifizierungsmaßnahmen auch Arbeitsplätze in ländlichen Regionen erhält. Regionen müssten auch problembelasteten Industriezweigen Perspektiven aufzeigen.

Die Zukunftsfähigkeit einer Region hängt, wie Lötzsch betonte, zum großen Teil davon ab, Probleme frühzeitig zu erkennen und anzugehen. Man müsse überlegen, welche Chancen sich für das Geschäftsmodell, aber auch in der Region aus den eigenen Kompetenzen ergeben. Politik und Organisationen wie die IHK könnten unterstützend zur Seite stehen, indem sie Unternehmen untereinander, aber auch mit Hochschulen und Gewerkschaften vor Ort vernetzen, um Bedarfe frühzeitig zu erkennen und im besten Fall zu decken.

Beim Anwerben neuer Fachkräfte stimmte er Monika Schnitzer zu: Es sei elementar, auch deren Familien zu berücksichtigen. So würden Fachkräfte sich in der Regel gegen ein gutes Jobangebot entscheiden, wenn ein Familiennachzug nicht möglich ist, sei es, weil attraktive Familienangebote wie Kindergärten oder Spielplätze fehlen, sei es, weil die bürokratischen Hürden bei einem Familiennachzug einer ausländischen Fachkraft zu hoch sind.

Unternehmen würden zudem dort investieren, wo bereits Menschen mit entsprechenden Fachkenntnissen verfügbar sind. Wie IWH-Präsident Gropp zeigte sich auch Lötzsch kritisch gegenüber der milliardenschweren Subventionierung des geplanten Intel-Werks in Magdeburg, zumal unklar sei, wo die vielen dafür notwendigen Fachkräfte herkommen sollen.

Heilmaier: „Fachkräftegewinnung ist auch eine staatliche Aufgabe“

Auf dem Bild ist Andrea Heilmaier zu sehen.

Dr. Andrea Heilmaier ist Wirtschafts- und Wissenschaftsreferentin der Stadt Nürnberg.

Andrea Heilmaier, Wirtschafts- und Wissenschaftsreferentin der Stadt Nürnberg, betonte die Rolle der kommunalen Wirtschaftsförderung: „Das Gewinnen von Fachkräften ist nicht nur Aufgabe von Unternehmen, sondern auch eine Aufgabe, die von einer Stadt beeinflusst werden kann.“ So nannte sie bezahlbaren Wohnraum und eine gute Infrastruktur als Bereiche, die von der Politik gestaltet werden könnten.

Eine gute Vernetzung von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sei ebenfalls immens wichtig zur Förderung der Potenziale in den Regionen.

Als Beispiele für Nürnberg nannte sie zum einen den Aufbau sogenannter Gründerzentren. Dort werden ganz bewusst Start-Up-Unternehmen transformationsgerichtet begleitet und gefördert. An der neuen englischsprachigen Technischen Universität werden zum anderen vorwiegend Studiengänge angeboten, die auf die Bedürfnisse der transformationsgerichteten Wirtschaft und Wissenschaft zugeschnitten sind. Mit einem verpflichtenden Deutschkurs sollen die Studierenden zudem besser in die Lage versetzt werden, nach ihrem Abschluss direkt vor Ort in das Berufsleben einzusteigen. Auf diese Weise ließen sich auch dauerhaft neue Fachkräfte für die Region gewinnen.

Demgegenüber kritisierte Schnitzer, dass verpflichtende Deutschkurse für ausländische Studierende eine abschreckende Wirkung haben könnten. Mit einer guten schulischen und universitären Bildungsinfrastruktur, so Heilmeiers Credo, könnten Menschen wie Unternehmen davon überzeugt werden, sich in der Region niederzulassen.

Fitzenberger: „Schwächere Produktivitätsentwicklung im Dienstleistungssektor“

Auf dem Bild ist Bernd Fitzenberger zu sehen.

Bernd Fitzenberger ist Direktor des IAB und Professor für Quantitative Arbeitsökonomik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

In seinem Schlusswort unterstrich IAB-Direktor Prof. Bernd Fitzenberger nochmals die Relevanz der regionalen Wirtschaftspolitik und des Zusammenspiels unterschiedlicher Akteure für die Bewältigung der digitalen und ökologischen Transformation.

Bei der digitalen Transformation sei das Verarbeitende Gewerbe bereits einen Schritt weiter als der Dienstleistungssektor. Dienstleistungen wie Pflege, Erziehung und Bildung hingegen hinken nach seiner Einschätzung in ihrer Produktivitätsentwicklung stark hinterher. Aufgrund des demografischen Wandels würden jedoch gerade diese Bereiche immer wichtiger für die Gesellschaft.

Als weiteres Problem nannte Fitzenberger, dass sich einerseits die Transformation beschleunigt, andererseits die Veränderungsbereitschaft der Menschen eher abnimmt. Beispiel Covid-19-Pandemie: In dieser Zeit wurden weniger Beschäftigungsverhältnisse beendet – nicht etwa weil weniger entlassen worden wäre, sondern weil die Menschen kaum ihre Arbeitsplätze von sich aus gewechselt haben.

Fitzenberger sieht darin eine Bremse für die Produktivitätsentwicklung, da sich damit auch der Wechsel von Arbeitsplätzen mit niedrigerer zu solchen mit höherer Produktivität verzögert. Entsprechend stagniere seit der Corona-Krise die Arbeitsproduktivität in Deutschland.

Die Veranstaltung wurde von der Bundesagentur für Arbeit, unter Federführung des IAB, und der Stadt Nürnberg ausgerichtet. Einen Videomitschnitt der Veranstaltung finden Sie auf dem YouTube-Kanal des IAB.

Parallel zu den Nürnberger Gesprächen fand ein wissenschaftlicher Workshop zum gleichen Thema statt, den das IAB gemeinsam mit dem IWH Halle ausgerichtet hatte. Die wichtigsten Ergebnisse sind in einem Tagungsbericht für das IAB-Forum zusammengefasst.

 

Bilder: Wolfram Murr, Photofabrik
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240506.02

Schludi, Martin; Wallheinke, Anna; Deckbar, Laura (2024): Nürnberger Gespräche: Wie bewältigen Regionen die digitale und ökologische Transformation?, In: IAB-Forum 6. Mai 2024, https://www.iab-forum.de/nuernberger-gespraeche-wie-bewaeltigen-regionen-die-digitale-und-oekologische-transformation/, Abrufdatum: 19. May 2024