Bei vollkommenem Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt, so die klassische ökonomische Theorie, verliert ein Arbeitgeber, der seine Löhne auch nur minimal senkt, sämtliche Beschäftigten. In der Realität ist dies jedoch nur höchst selten der Fall. Denn auf Arbeitsmärkten herrscht in aller Regel nur unvollkommener Wettbewerb. Arbeitgeber verfügen demnach über eine gewisse Marktmacht und können diese nutzen, um niedrigere Löhne zu zahlen, als sie es bei vollkommenem Wettbewerb tun müssten.

Ob auf dem Arbeitsmarkt vollkommener oder unvollkommener Wettbewerb herrscht, hat auch Bedeutung für politische Eingriffe in das Lohngefüge, insbesondere durch Mindestlöhne. Denn deren Wirkung hängt sehr stark davon ab, wie stark Arbeitsmärkte von der Idealvorstellung des vollkommenen Wettbewerbs abweichen. Daraus ergeben sich zahlreiche Fragen für die ökonomische Forschung, die am 26. und 27. Mai 2023 in dem hochkarätig besetzten, internationalen Workshop „Imperfect Competition in the Labor Market“ behandelt wurden. Das IAB richtete die Veranstaltung gemeinsam mit dem Socio-Economic Research Center der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (LASER) in Nürnberg aus.

Konkret ging es um Ursachen, Ausmaß und Auswirkungen der Marktmacht von Arbeitgebern. Als Keynote-Speaker waren zwei internationale Top-Ökonomen zu Gast, die bereits seit Jahrzehnten die ökonomische Debatte über unvollkommene Arbeitsmärkte prägen: David Card, Professor an der University of California Berkeley, der 2021 für seine Arbeiten zu diesem Thema den Wirtschaftsnobelpreis erhielt, und Professor Alan Manning, der an der renommierten London School of Economics lehrt.

Foto von David Card

Nobelpreisträger David Card (rechts) ist Professor für WIrtschaftswissenschaften an der University of California Berkeley.

Noch zu Beginn der 1990er Jahre wurden Arbeitsmärkte in der Ökonomik meist als Märkte mit vollkommenem Wettbewerb betrachtet. Auf solchen Märkten führen Mindestlöhne, falls sie die tatsächlichen Löhne erhöhen, zwingend zu Beschäftigungseinbußen.

In dieser Zeit publizierte David Card eine empirisch angelegte Studie, der zufolge eine deutliche Mindestlohnerhöhung im amerikanischen Bundesstaat New Jersey entgegen dieser Vorhersage keine negativen Beschäftigungseffekte hatte. Als mögliche Erklärung verwies er bereits damals darauf, dass auf dem Arbeitsmarkt eben kein vollkommener Wettbewerb herrscht, beispielsweise infolge von Suchkosten oder Informationsdefiziten auf Seiten der Beschäftigten. Denn in einem durch solche Friktionen gekennzeichneten Arbeitsmarkt können Mindestlöhne nach Cards Einschätzung Löhne und Beschäftigung gleichermaßen erhöhen.

Auch in einem Videointerview am Rande des Workshops spricht Card über Mindestlöhne und unvollkommenen Wettbewerb sowie über seine Forschungsbeziehungen zum IAB.

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https://youtu.be/bfpVhowmcYg

Card: Arbeitgeber haben einen Spielraum bei der Lohnsetzung

In seinem Vortrag am IAB gab Card einen Einblick in die Ideengeschichte des monopsonistischen Arbeitsmarkts. Auf einem solchen Arbeitsmarkt stehen vielen Beschäftigten, die ihre Arbeit anbieten, wenige – im Extremfall lediglich ein – Arbeitgeber als Nachfrager von Arbeit gegenüber. Mobilitätskosten, Präferenzen für einen spezifischen Arbeitsplatz oder mangelnde Informationen führen laut Card dazu, dass Beschäftigte nicht ohne Weiteres von Job zu Job wechseln, was zu einem monopsonistischen Arbeitsmarkt führt. Arbeitgeber können dadurch niedrigere Löhne setzen, als es bei vollkommenem Wettbewerb der Fall wäre, ohne dass sich die Beschäftigten – wie von der klassischen ökonomischen Theorie postuliert – zu einem anderen Arbeitgeber wechseln, der sie besser bezahlt.

Eine Theorie monopsonistischer Arbeitsmärkte war bereits Mitte der 1930er Jahre von der Ökonomin Joan Robinson entwickelt worden, geriet aber ab den 1950er Jahren weitestgehend in Vergessenheit. Erst nach und nach rückte der Spielraum des Arbeitgebers bei der Lohnsetzung wieder in den Fokus der Arbeitsmarktökonomik.

Derzeit erlebt die Monopson-Forschung eine Renaissance, was Card auf die Kombination mehrerer Faktoren zurückführt: empirische Befunde, die nicht mit Modellen vollkommenen Wettbewerbs vereinbar sind; theoretische Arbeiten durch Vorreiter wie Alan Manning, der mit seinem Werk 2003 erschienenen Standardwerk „Monopsony in Motion“ ein ökonomisches Modell von Arbeitsmärkten mit unvollkommenem Wettbewerb vorlegte; schließlich die bessere Verfügbarkeit von Daten über Arbeitgeber, Beschäftigte und Löhne.

 

Foto von Allan Manning

Allan Manning (links) ist Professor für WIrtschaftswissenschaften an der London School of Economics.

Manning: Arbeitgeber schöpfen ihre potenzielle Marktmacht nur zum Teil aus

Alan Manning zeigte sich erfreut über die vielen jungen Forschenden, die unvollkommenen Wettbewerb auf Arbeitsmärkten als Thema aufgegriffen hätten. Er stellt im Workshop ein aktuelles Projekt vor, an dem er zusammen mit Prof. Dr. Elke Jahn und Prof. Dr. Michael Oberfichtner vom IAB sowie Prof. Dr. Boris Hirsch von der Leuphana Universität Lüneburg arbeitet. Im Zentrum des Projektes steht dabei das Konzept der potenziellen Marktmacht und die Frage, ob Arbeitgeber ihre Marktmacht vollständig nutzen, um niedrigere Löhne zu zahlen. Erste Ergebnisse zeigen, dass Arbeitgeber nur einen Teil ihrer Marktmacht tatsächlich ausschöpfen. Insbesondere Arbeitgeber, die Tarifverträge anwenden und einen Betriebsrat haben, nutzen ihre Marktmacht nur in vergleichsweise geringem Maße.

Die Marktmacht von Arbeitgebern thematisiert Manning auch in einem Videointerview am Rande des Workshops. Ferner spricht er über den Zusammenhang zwischen  unvollkommenem Wettbewerb und Mindestlöhnen sowie über seine Forschungsbeziehungen zum IAB.

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https://youtu.be/HZCzRQDTCXY?feature=shared

Die Forschungsfragen zu unvollkommenem Wettbewerb auf Arbeitsmärkten sind vielfältig

In Vorträgen und auf Postern stellten insgesamt 19 Forschende aus dem In- und Ausland ihre laufenden Projekte vor. Die Forschungsprojekte decken dabei die gesamte Breite der aktuellen Forschungsfragen rund um unvollkommen Wettbewerb auf Arbeitsmärkten ab – von unterschiedlichen Ansätzen zur Messung der Marktmacht über die Arbeitsmarkteffekte von Mindestlöhnen bis zu den Auswirkungen eines geringeren lokalen Arbeitsangebots auf Arbeitgeber und Kommunen. Drei beispielhafte Fragen aus diesem Spektrum lauten: Wie wirkt sich Marktmacht auf Lohnungleichheiten zwischen Gruppen aus? Welche Rolle spielen Rekrutierungskosten? Inwieweit hängen die Auswirkungen des technologischen Wandels von der Marktmacht der Arbeitgeber ab? (Eine Übersicht der im Workshop vorgestellten Forschungsprojekte finden Sie im Infokasten unten.)

Insgesamt zeigten die beiden Tage, wie vielfältig die Ursachen für die Marktmacht von Arbeitgebern und deren Auswirkungen sind. Dabei wurde immer wieder deutlich, dass unvollkommene Arbeitsmärkte politische Eingriffe notwendig machen und zugleich einen Einfluss darauf haben, wie sich diese politischen Eingriffe real auswirken.

Von Wissenschaftler*innen vorgestellte Forschungsprojekte

  • Maria Balgova (Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit):
    Firm Concentration & Endogenous Amenity Provision: The Case of Schedule Flexible Work Arrangements
  • Ihsaan Bassier (London School of Economics):
    Collective Bargaining and Spillover
  • Erick Baumgartner (Università Bocconi):
    Payroll Tax, Employment and Labor Market Concentration
  • Justin Bloesch (Columbia Business School):
    When do Firms Profit from Wage Setting Power? New vs. Classical Monopsony
  • Nikhil Datta (University of Warwick):
    The Measure of Monopsony: The Labour Supply Elasticity to the Firm and its Constituents
  • Gökay Demir (Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit):
    Labor Market Frictions and Spillover Effects from Publicly Announced Sectoral Minimum Wages
  • Sabien Dobbelaere (Vrije Universiteit Amsterdam):
    Organised Labour, Labour Market Imperfections, and Employer Wage Premia
  • Martin Friedrich (IAB):
    Firm Expansion in Imperfect Labor Markets
  • Giulia Giupponi (Università Bocconi):
    Company wage policy in a low-wage labor market
  • Hedvig Horvath (University College London):
    The Effects of Pay Decentralisation on Teachers’ Pay and Teacher Retention
  • Atilla Lindner (University College London):
    Firm-level Technological Change and Skill Demand
  • Ellena Mattana (Aarhus Universitet):
    An Empirical Framework for Matching with Imperfect Competition
  • Ellen Muir (Harvard University):
    Wage dispersion, involuntary unemployment and minimum wages in the presence of market power
  • Steffen Müller (Institut für Wirtschaftsforschung Halle):
    Identifying rent-sharing using firms’ energy input mix
  • Michael Oberfichtner (IAB & Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg):
    The wage elasticity of recruitment
  • Alison (Xinyue) Pei (Duke University):
    Monopsony in the High-Skilled Migrant Labor Market – Evidence from H-1B Petition Data
  • Martin Popp (IAB):
    Minimum Wages in Concentrated Labor Markets
  • Garima Sharma (Massachusetts Institute of Technology):
    Monopsony and Gender
  • Alexander Willen (Norwegian School of Economics):
    The Effect of Labor Market Competition on Firms, Workers, and Communities

Fotos: Johannes Weiß

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20230824.01

Friedrich, Martin; Jahn, Elke ; Oberfichtner, Michael; Weiß, Johannes (2023): Unvollkommener Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt: Ursachen, Ausmaß und Folgen, In: IAB-Forum 24. August 2023, https://www.iab-forum.de/unvollkommener-wettbewerb-auf-dem-arbeitsmarkt-ursachen-ausmass-und-folgen/, Abrufdatum: 29. April 2024