Über die Lohnkostenzuschüsse des Teilhabechancengesetzes wird die Beschäftigung von langzeitarbeitslosen Leistungsbeziehenden gefördert. Eine Clusteranalyse und biografische Fallstudien zeigen nun: Die geförderten Personen unterscheiden sich in ihren soziodemografischen Merkmalen, ihren (Erwerbs-)Biografien sowie in den Faktoren, die zu ihrer Langzeitarbeitslosigkeit beitragen.

Die Förderinstrumente „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“, kurz EvL (§ 16e SGB II), und „Teilhabe am Arbeitsmarkt“, kurz TaAM (§ 16i SGB II), des 2019 eingeführten Teilhabechancengesetzes richten sich an langzeitarbeitslose erwerbsfähige Leistungsbeziehende. „Arbeitsmarktferne“ Leistungsberechtigte, die über EvL gefördert werden, müssen seit mindestens zwei Jahren arbeitslos sein. Die Förderung über TaAM setzt voraus, dass die Geförderten mindestens sechs Jahre lang Leistungen bezogen haben und nur kurzzeitig erwerbstätig waren. Sie gelten als „besonders arbeitsmarktfern“.

Bei beiden Instrumenten sollen ausschließlich Personen gefördert werden, die ohne den Lohnkostenzuschuss kaum Chancen auf eine Beschäftigung hätten. Sie unterscheiden sich in der Förderdauer und Höhe der Lohnkostenzuschüsse für einstellende Betriebe sowie in der vorrangigen Zielsetzung. Während EvL Teilhabe durch die über die Förderzeit hinausgehende Arbeitsmarktintegration der Geförderten anstrebt, steht bei TaAM im Vordergrund, den Geförderten bereits durch die Aufnahme der geförderten Beschäftigung Teilhabechancen zu eröffnen. Im Folgenden werden die Zusammensetzung und die biografischen Hintergründe der Geförderten beleuchtet.

Zwischen Januar 2019 und Dezember 2022 haben 28.567 Personen über EvL und 79.352 Personen über TaAM ein gefördertes Arbeitsverhältnis aufgenommen. Die jeweiligen Teilnehmenden sind in vielfacher Hinsicht heterogen. Die Geförderten können in fünf beziehungsweise sechs erwerbsbiografische und soziodemografische Typen unterteilt werden, die in der Abbildung aufgeführt sind (lesen Sie hierzu auch das Discussion Paper 27/2020 und einen 2022 erschienenen Beitrag von Anton Nivorozhkin und Markus Promberger).

Alternativtext: Die Abbildung zeigt die Typen der Geförderten im Rahmen des Teilhabechancengesetzes. In zwei Balken werden die Clusteranteile der Geförderten der Maßnahmen Eingliederung von Langzeitarbeitslosen und Teilhabe am Arbeitsmarkt dargestellt. Dabei wird zwischen sechs Typen unterschieden: Typ A: Ostdeutsche Verlierer*innen der Wiedervereinigung, Typ B: Westdeutsche Verlierer*innen des Strukturwandels, Typ C: Strukturwandel Ost und West und kumulierte Arbeitsmarktbarrieren, Typ D: Überwiegend alleinstehende jüngere Männer, Bildungsnachteile und Arbeitsmarktferne, Typ E: Migrationsspezifische Arbeitsmarktrisiken und Typ F: Frauenspezifische Arbeitsmarktrisiken. Der Typ D macht bei der Maßnahme Eingliederung von Langzeitarbeitslosen zum Beispiel 34 Prozent aus.

In dieser Typologie wurden Variablen wie Alter, Geschlecht, Familienstand, Region, Dauer der Arbeitslosigkeit, Qualifikation und Bildung berücksichtigt. Daneben gibt es weitere Faktoren, die nicht oder nur eingeschränkt in den Daten erfasst werden, jedoch für Arbeitsmarktbeteiligung und -erfolg von hoher Bedeutung sind; insbesondere sind dies Gesundheit und Erwerbsmotivation. Vor diesem Hintergrund wird die statistische Typologie im Folgenden mit Beispielbiografien und Befunden aus qualitativen Interviews mit 33 Geförderten erweitert.

Alternativtext: Die Tabelle ist eine Texttabelle, die das Sample der 33 interviewten Geförderten beschreibt. Sie zeigt deren Zusammensetzung nach den Eigenschaften Geschlecht, Alter, Haushaltstyp, Region, Berufsabschluss, Migrationshintergrund und Schwerbehindertenstatus. Beispielsweise sind 13 Befragte weiblich.

Typ A: Ostdeutsche „Verlierer*innen“ der Wiedervereinigung

Im Typ A sind ältere Erwerbslose beiderlei Geschlechts mit Berufsausbildung vertreten, meist alleinstehend und mit langen Erwerbslosigkeitsphasen. Der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund ist gering. Die Erwerbslosigkeit ist biografisch stark mit den wirtschaftlichen Umbrüchen der deutschen Wiedervereinigung assoziiert, wie auch das folgende Beispiel zeigt:

Herr Krämer (TaAM) wurde Ende der 1950er Jahre in einer Großstadt in der DDR geboren. Er besuchte die Schule bis zur zehnten Klasse, machte eine Kraftfahrerausbildung und ließ sich bei der Armee verpflichten. Herr Krämer heiratete eine alleinerziehende Mutter und bekam ein weiteres Kind mit ihr. Die Ehe wurde geschieden und Herr Krämer arbeitete als Kraftfahrer für eine staatliche Behörde. Als sie nach der Wende aufgelöst wurde, wurde Herr Krämer „das erste Mal arbeitslos“. Er machte eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, bei der er als Kraftfahrer tätig war. Über Kontakte fand er wieder eine Stelle bei einer Behörde, bei der er bis zu einem schweren Autounfall arbeitete. Seither hatte Herr Krämer einen Schwerbehindertengrad und einen Amtsbetreuer. Nach 2,5 Jahren Krankschreibung arbeitete er wieder als Kraftfahrer bis zu einem zweiten Autounfall im Dienst. Er wechselte zu verschiedenen Speditionen, die insolvent gingen. Weil er die Arbeitsbedingungen für LKW-Fahrer nicht mehr „halten“ konnte, kündigte er schließlich. Beim Jobcenter wurde ein „verbales Gutachten“ erstellt, dem zufolge er nicht mehr Autofahren könne. Daraufhin wurden ihm keine Fahrerjobs mehr angeboten und er kam „von einer MAE-Maßnahme zur anderen“.

Herr Krämers Beispiel zeigt einerseits den Einschnitt in die stabile Erwerbsbiografie durch die Wiedervereinigung. Anders als andere Interviewte in dem Cluster fand Herr Krämer jedoch wieder Arbeit. Allerdings führten seine unfallbedingten gesundheitlichen Einschränkungen später zu andauernder Arbeitslosigkeit. Solche Charakteristika – eigene Gesundheitsprobleme oder in der Familie sowie andere Lebenskrisen oder Schicksalsschläge — sind für viele Geförderte typisch, nicht nur bei Typ A.

Typ B: Westdeutsche „Verlierer*innen“ des Strukturwandels

Typ B, die westdeutsche Entsprechung zum Typ A, zeigt im Schnitt ähnliche statistische Merkmale, unterscheidet sich jedoch durch den Wohnort in Westdeutschland und den anderen wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Hintergrund.

Herr Janssen (TaAM) wurde Anfang der 1960er Jahre in einem westeuropäischen Staat geboren, machte dort den Realschulabschluss und eine duale Ausbildung als Industriefacharbeiter in einem Betrieb, in dem er dann mehrere Jahre arbeitete. Über seine Firma wurde er in eine nahegelegene Mittelstadt in Westdeutschland versetzt, in der er seither lebt. Als dieser Betrieb Ende der 2000er Jahre größtenteils geschlossen wurde, pendelte Herr Janssen für eine neue Stelle in die nächste Stadt. Zeitgleich ging die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin zu Ende. Als auch seine nächste Arbeitsstelle schloss, fand Herr Janssen über eine Zeitarbeitsfirma Arbeit in einer 100 Kilometer entfernten Großstadt, bis auch dieser Betrieb umzog. Da er nicht aus der Region wegziehen wollte, arbeitete Herr Janssen über Zeitarbeitsfirmen als Staplerfahrer oder Logistikmitarbeiter „von Eintagsjobs bis ein halbes Jahr“, wie er sagte. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wollte er schlecht bezahlte Stellen nicht mehr annehmen. Auch eine Umschulung vom Jobcenter lehnte er ab, da er glaubte, in seinem Alter stelle ihn niemand mehr ein.

Auch hier zeigen die Befragten ein großes Spektrum an Arbeitsmarktbarrieren: Alter, Krankheit, gescheiterte Selbständigkeit beispielsweise. Doch Typ B, ebenso wie Typ A, unterscheiden sich entscheidend von den anderen Typen darin, dass alle Fälle einen erwerbsbiografischen Abstiegsprozess durchlaufen, der mit Betriebsschließungen, Jobwechseln und wirtschaftlichem Strukturwandel verbunden ist. Dass eine erfolgreiche Anpassung an diese geänderten Bedingungen nicht gelingt, erklärten die Befragten dieses Typs mit ihrem fortgeschrittenen Alter und eingeschränkter Mobilitätsbereitschaft.

Typ C: Kumulierte Arbeitsmarktrisiken vor dem Hintergrund des Strukturwandels

Bei diesem Typ treffen Effekte von Strukturwandel in Ost- und Westdeutschland mit verschiedenen weiteren Arbeitsmarktrisiken zusammen. Im Unterschied zu den vorangegangenen Typen stehen dabei geringe Bildung und Ausbildung im Vordergrund sowie damit zusammenhängend prekäre (gering bezahlte und instabile) Beschäftigung.

Frau Pfeiffer (TaAM) wurde Anfang der 1960er Jahre in einer westdeutschen Kleinstadt geboren und wuchs nahe der Mittelstadt auf, in der sie heute lebt. Frau Pfeiffer besuchte die Hauptschule bis zur siebten Klasse und begann mit 14 Jahren in einer Eisdiele zu arbeiten, bis auffiel, dass sie noch zu jung war. Daraufhin machte sie eine Friseurlehre, die sie abbrach. Sie wurde schwanger und heiratete jung, später bekam sie ein zweites Kind. Ihre Arbeitsstätten bezeichnete sie als „ellenlange“ Liste. Sie arbeitete in Raststätten, Friseursalons, verkaufte „nebenbei Schmuck“, hatte „Tupper gemacht“ und geputzt. Ihre erste Ehe wurde geschieden, eine zweite Ehe ebenso. Seit Ende der 2000er Jahre bezog Frau Pfeiffer Leistungen vom Jobcenter. Nebenher verdiente sie sich – vermutlich informell – etwas Geld mit Haareschneiden dazu.  Außerdem arbeitete sie einige Monate ehrenamtlich als ambulante Pflegehilfe.

Die Fälle in diesem Typ unterscheiden sich untereinander durch ihre Familienlage, Erwerbsneigung und psychosozialen Ressourcen, die Chancen, aus prekären wirtschaftlichen Aktivitäten zumindest längere Erwerbsepisoden zu bilden, sowie das Vorkommen weiterer Arbeitsmarktbarrieren. Charakteristisch ist jedoch die Verbindung von geringem Humankapital (keine beruflichen oder schulischen Abschlüsse) mit den Beschäftigungsrisiken im geringqualifizierten Arbeitsmarktsegment sowie dessen wirtschaftsgeschichtliche Wandlungs- und Schrumpfungsprozesse.

Typ D: Alleinstehende junge Männer mit Bildungsnachteilen, Erwerbsferne, und mit teils psychosozialen Einschränkungen und schwierigen Übergängen ins Erwerbsleben

Für Typ D typisch sind späte und holprige Übergänge in Ausbildung und ins Berufsleben bei jungen Männern, die oft mit Bildungsnachteilen, Arbeitsmarktferne und Gesundheitsproblemen zusammenhängen.

Herr Gomez (EvL) wurde Mitte der 1980er Jahre in einem lateinamerikanischen Staat geboren. Als Kleinkind zog er mit seiner deutschen Mutter in eine westdeutsche Großstadt. Nach dem Hauptschulabschluss erwarb er die Fachhochschulreife am Berufskolleg. Herr Gomez zog in ein deutschsprachiges Nachbarland, da er „über Internet dort jemanden kennen gelernt hatte“ und begann ein technisches Fach zu studieren, schloss das Studium jedoch nicht ab. Gründe dafür seien „zu viele Computerspiele und zu wenig Lernen“ gewesen. Daraufhin machte er über die dortige Arbeitsverwaltung eine verkürzte Ausbildung im IT-Bereich, zog aber zunächst für ein Jahr zurück nach Deutschland und arbeitete dann, wieder im Nachbarland, zwei Jahre lang bei einem Betrieb, bei dem er zuvor ein Praktikum absolviert hatte. Nach einer betriebsbedingten Kündigung und nahe am Burn-out zog Herr Gomez zu einer Verwandten in eine süddeutsche Großstadt. Wegen psychischer Probleme machte er erst eine stationäre, dann eine ambulante Therapie. Schließlich nahm Herr Gomez an einer Maßnahme des Jobcenters teil. Er arbeitete erst in der Großküche eines Beschäftigungsträgers und begann dann, da es dort Schnittstellen zur Stadtverwaltung gab, ein Praktikum in deren IT-Abteilung.

Auch andere Fälle aus diesem Cluster zeigten mangelnden Fokus beispielsweise aufgrund von Suchtverhalten und dadurch noch verstärkte soziale Einschränkungen sowie psychische Erkrankungen, die sowohl durch die Arbeitslosigkeit als auch durch Überforderung in früheren Arbeitsstellen verstärkt wurden. Bei Typ D liegt eine Trias aus Bildungsnachteilen, Erwerbsferne und psychosozialen Einschränkungen vor, die zum Misslingen des erwerbsbiografischen Übergangs in Ausbildung und Beschäftigung beitragen.

Typ E: Migrationsspezifische Arbeitsmarktrisiken

Bei Typ E, überwiegend Familienväter mit Migrationshintergrund, treten zu verschiedenen anderen Arbeitsmarktbarrieren migrationsspezifische Arbeitsmarktrisiken wie nicht bewältigte Kultur- und Sprachdifferenzen hinzu.

Herr Ahmed (EvL) wurde Ende der 1960er Jahre in einem vorderasiatischen Land geboren. Dort besaß er ein Textilunternehmen, in dem auch seine Frau arbeitete. Als sich der Krieg Mitte der 2010er im Land zuspitzte und er sich um die Sicherheit seiner Familie sorgte, floh er mit seiner Frau und den drei Kindern im Teenageralter in ein Nachbarland. Nach Deutschland kam Herr Ahmed zunächst alleine. Nachdem er einen Aufenthaltstitel erhalten hatte, holte er seine Familie über die Familienzusammenführung nach. Herr Ahmed besuchte Deutschkurse, um sich besser verständigen und eine Arbeitsstelle finden zu können. Während des Interviews sprach er fließend Deutsch. Dazu sagte er: „Wir müssen […] nach vorn schauen. Das ist wichtig für die Kinder.“

Nicht alle Interviewten aus diesem Cluster lernten so schnell und gut Deutsch wie Herr Ahmed, was stark mit dem Alphabetisierungsgrad und der vorherigen Bildungsbiografie zusammenhing. Die Arbeitsmotivation war gleichwohl auch bei ihnen sehr hoch.

Typ F: Mit Mutterschaft assoziierte Arbeitsmarktrisiken

In diesem Typus hängen die Biografie – und die erwerbsbiografischen Brüche darin – neben diversen anderen Faktoren vor allem mit Mutterschaft, Alleinerziehenden-Status oder Problemen bei der Rückkehr nach einer familienbedingten Erwerbsunterbrechung zusammen.

Frau Schulze wurde Anfang der 1980er Jahre in einer süddeutschen Großstadt geboren. Nach Abschluss der mittleren Reife begann sie eine Ausbildung im Gastgewerbe, die sie bald wegen häufiger Spätschichten und deren gesundheitlichen Folgen wieder abbrach Bei einer Ausbildung im rechtspflegerischen Bereich schloss sie die Prüfung nicht ab. Frau Schulze machte eine verkürzte technische Ausbildung und arbeitete dann in einer Druckerei. Die Stelle musste sie nach mehreren Jahren wegen Stress auf ärztliches Anraten aufgeben. Frau Schulze machte über das Jobcenter eine Umschulung im digitalen Bereich, als sie feststellte, dass sie schwanger war. Ihr Kind war eine Frühgeburt, später wurde bei ihm ADHS diagnostiziert.  Vom Vater des Kindes erhielten sie Unterhalt, aber keine Unterstützung. Sie sagt, sie sei „von vornherein alleinerziehend“ gewesen. Als ihr Kind in den Kindergarten kam, arbeitete Frau Schulze in Teilzeit in einem Supermarkt. Noch in der Probezeit wurde ihr gekündigt, weil ihr Kind eine Woche krank war. Frau Schulze war einige Monate arbeitslos, bevor sie über das Jobcenter eine Schulung zur Verkäuferin begann. Da die Arbeitszeiten im Verkauf nur schwer mit der Kinderbetreuung vereinbar waren, bewarb sich Frau Schulze auf andere Stellen und fand einen Minijob im Büro eines mittelständischen Betriebs, der zur geförderten Teilzeitstelle erweitert wurde.

Vor allem bei alleinerziehenden Müttern war entscheidend, zu welchem Zeitpunkt sie ein Kind bekamen. Während Geburten im Teenager- oder jungen Erwachsenenalter oft Schul- oder Ausbildungsabschlüsse verhinderten oder verzögerten, stellten die in höherem Alter meist ein zusätzliches Vermittlungshemmnis dar. Häufige Arbeitgeberwechsel sind teils auf schlechte Arbeitsbedingungen oder mit den Betreuungspflichten unvereinbare Arbeitszeiten zurückzuführen.

Charakteristisch für diesen Typ ist die Verbindung aus „mutterschaftsbezogenen“ Risiken und entsprechenden sozialen Rollen- und Zeitkonflikten mit verschiedenen anderen Arbeitsmarktbarrieren.

Unterschiede zwischen den Teilnehmenden an EvL und TaAM

Aufgrund der Voraussetzungen für die jeweilige Maßnahmeteilnahme unterschieden sich die Typen zwischen TaAM und EvL vor allem in der Dauer der vorangegangenen Arbeitslosigkeit und dem Grad der Erwerbsferne. Während bei allen TaAM-Fällen eine sehr lange, oft kaum unterbrochene Phase der Arbeitslosigkeit vorlag, fiel diese bei den Teilnehmenden an EvL deutlich kürzer aus oder war durch einen stärkeren Wechsel zwischen Beschäftigung und Leistungsbezug gekennzeichnet. Dadurch identifizierten sich die interviewten Teilnehmenden an EvL auch seltener als „langzeitarbeitslos“, während diese Zuschreibung von den Teilnehmenden an TaAM generell bestätigt wurde.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Langzeitarbeitslosigkeit bei einem Teil der Teilnehmenden an EvL ohne Förderung verstetigen und sie in die Zielgruppe von TaAM wandern könnten. Ein anderer Teil der Teilnehmenden an EvL fand jedoch auch früher ohne entsprechende Unterstützung der Jobcenter mittels eigener Ressourcen und Netzwerke selbst wieder eine Arbeitsstelle. Dies passt auch zu den Ergebnissen des aktuellen Beitrags von Stefan Tübbicke und Zein Kasrin im IAB-Forum, in dem sie schlussfolgern, dass bei EvL nicht nur arbeitsmarktferne Leistungsberechtigte gefördert werden.

Fazit

Die bereits in der statistischen Analyse gefundene hohe Heterogenität der Risikolagen und Erwerbsprobleme der Teilnehmenden konnte insgesamt durch die qualitativ-biografische Analyse bestätigt und vertieft beschrieben werden. Viele Arbeitsmarktbarrieren finden sich durchweg über alle Typen – Gesundheitsprobleme, Lebenskrisen und negative Familienereignisse etwa.

Deutliche, konstitutive Differenzen zeigen sich allerdings ebenso: Besonders bei den älteren Teilnehmenden ist die wirtschaftliche Entwicklung mit Betriebsschließungen und Strukturwandel relevant. Bei den Jüngeren sind es Bildungsarmut, misslingende erwerbs- und bildungsbiografische Übergänge sowie psychosoziale Probleme, die als Faktoren bei der Entstehung und Persistenz von Arbeitslosigkeit wirken. Alleinerziehende, Mütter und Migrant*innen weisen zusätzliche gruppenspezifische Arbeitsmarktrisiken auf.

Bei der Fülle an Arbeitsmarktnachteilen stellt sich die Frage, ob diese allein durch eine geförderte Beschäftigung und begleitendes Coaching langfristig überwunden werden können, oder ob zusätzliche stärker beschäftigungsbegleitende Angebote ergänzend nötig wären. Inwiefern sich die Teilhabechancen der Geförderten durch die Beschäftigung verändern, erläutern die Autor*innen dieses Beitrags in einem weiteren, zeitgleich ebenfalls im IAB-Forum erschienenen Beitrag.

Daten und Methoden

Die Befunde stammen aus zwei Teilprojekten der IAB-Evaluation des Teilhabechancengesetzes. Im Teilprojekt „Vertieftes Monitoring“ wurde die Struktur der Geförderten anhand eines statistischen Klassifikationsverfahrens untersucht, das sich auf anonymisierte Sozialversicherungsmeldungen und Maßnahmedaten aus den administrativen Prozessen der Bundesagentur für Arbeit stützt. Die ermittelte Typologie ist mehrdimensional aufgebaut, berücksichtigt werden dabei Daten zu soziodemografischen Differenzen sowie unterschiedliche Erwerbshistorien.

Im Teilprojekt „Biografische Fallstudien“ wurden zwischen 2020 und 2023 biografisch-narrative Interviews mit 13 Teilnehmenden an EvL und 20 Teilnehmenden an TaAM geführt. Neben Fragen zu ihrer geförderten Beschäftigung standen ihre (Erwerbs-)Biografien im Fokus. Die Auswahl der Fälle erfolgte größtenteils entlang der statistischen Typologie der Maßnahmeteilnehmenden. Aus jedem dieser Typen wurde eine Stichprobe an Geförderten gezogen; diese wurden dann postalisch und telefonisch kontaktiert. Bei Einverständnis wurden narrative erwerbsbiografische Interviews geführt. Auf diesem Weg schwerer erreichbare Geförderte wurden zusätzlich über Jobcenter vermittelt.

Das entstandene Sample gibt die Breite der möglichen Fallkonstellationen wieder, ist jedoch nicht im statistischen Sinne repräsentativ. Für den vorliegenden Beitrag wurden die Fälle anonymisiert. Bei allen verwendeten Namen handelt es sich um Pseudonyme.

In aller Kürze

  • Die Teilnehmenden an den Maßnahmen des Teilhabechancengesetzes sind jenseits ihrer anhaltenden Erwerbslosigkeit hochgradig heterogen.
  • Kritische Wirtschaftsentwicklung, Bildungsarmut, geschlechtsspezifische und migrationsbezogene Nachteile tragen zu anhaltender Arbeitslosigkeit bei.
  • Außerdem verstärken Lebenskrisen, gesundheitliche Einschränkungen und schlechte Arbeitsbedingungen diese Effekte.

Literatur

Nivorozhkin, Anton; Promberger, Markus (2020): Employment Subsidies for Long-term Welfare Benefits Recipients: Reconciling Programmes Goals with Needs of Diverging Population Groups. IAB-Discussion Paper Nr. 27.

Nivorozhkin, Anton; Promberger, Markus (2022): Verschiedene Gruppen, unterschiedliche Bedarfe: Eine Typologie der Teilnehmer: innen an den neuen Maßnahmen der geförderten Beschäftigung. Sozialer Fortschritt, 71(8), S. 531–551.

Tübbicke, Stefan; Kasrin, Zein (2023): Teilhabechancengesetz: Die Maßnahme „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ erreicht ihre Zielgruppe am besten, In: IAB-Forum, 15.03.2023

Englert, Kathrin; Globisch, Claudia; Gottwald, Markus; Kupka, Peter (2023): Umsetzung des § 16i SGB II Teilhabechancengesetz durch die Jobcenter: Zwischen Sozialem Arbeitsmarkt und Integrationsinstrument. IAB-Kurzbericht Nr. 10.

Promberger, Markus; Raab, Miriam (2023): Wie gestaltet sich die Erwerbsintegration im Rahmen des Teilhabechancengesetzes? Einschätzungen aus Sicht der Geförderten. In: IAB-Forum, 11.09.2023

 

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doi: 10.48720/IAB.FOO.20230911.02

Promberger, Markus; Raab, Miriam (2023): Teilhabechancengesetz: Die Biografien und Lebenssituationen der Geförderten unterscheiden sich, In: IAB-Forum 11. September 2023, https://www.iab-forum.de/teilhabechancengesetz-die-biografien-und-lebenssituationen-der-gefoerderten-unterscheiden-sich/, Abrufdatum: 1. May 2024