Das aktuelle Transfersystem in Deutschland bietet Personen mit geringen Einkommen vielfach zu wenig finanzielle Anreize, ihre wöchentliche Arbeitszeit und damit ihren Verdienst zu erhöhen. Neben etwas großzügigeren Hinzuverdienstregelungen bedarf es auch einer aktiveren Unterstützung im Einzelfall.

Aktuell wird intensiv über die Höhe des Bürgergeldes diskutiert. Die jüngsten Erhöhungen, so ein verbreitetes Argument, hätten dazu geführt, dass es sich vielfach nicht mehr lohne, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. Doch abgesehen davon, dass das Bürgergeld aus verfassungsrechtlichen Gründen ohnehin nur wenig nach unten angepasst werden könnte, stellt die Höhe des Bürgergeldes nicht den wichtigsten Fehlanreiz dar – denn mit Arbeit hat man mehr Einkommen als ohne. Dies setzt in manchen Fällen voraus, dass zusätzlich zum Erwerbseinkommen ein etwaiger Anspruch auf Wohngeld und Kinderzuschlag tatsächlich wahrgenommen wird.

Viel wichtiger erscheint ein anderer Aspekt: Für Geringverdienende lohnt es sich häufig kaum, ihre Arbeitszeit auszuweiten, wenn sie gleichzeitig bedarfsgeprüfte Leistungen wie Bürgergeld, Wohngeld oder Kinderzuschlag beziehen. Dies liegt zum größten Teil an den Regelungen, wie das Erwerbseinkommen auf die Sozialleistungen angerechnet wird. Eine Reform dieser Regelungen könnte dazu beitragen, dass mehr Leistungsbeziehende die Zahl ihrer Arbeitsstunden erhöhen.

Allerdings darf das Potenzial verbesserter finanzieller Anreize nicht überschätzt werden: Allzu großzügige Anrechnungsregelungen würden zu einer starken Ausweitung des Leistungssystems mit deutlich mehr Leistungsbeziehenden und entsprechend hohen Kosten führen. Es käme im Ergebnis zu einer breiten Subventionierung des Niedriglohnsektors. In diesem Fall wären auch Personen mit höheren Verdiensten anspruchsberechtigt. Hier würden sich die Arbeitsanreize verringern.

Der Lockerung der Anrechnungsregelungen sind also Grenzen gesetzt und rein monetäre Anreize werden nur in begrenztem Umfang zu zusätzlicher Erwerbstätigkeit führen, wie auch Studienergebnisse zu simulierten Reformen der Hinzuverdienstmöglichkeiten von Kerstin Bruckmeier und Jürgen Wiemers nahelegen.

Um Menschen, die Bürgergeld beziehen, in eine nachhaltige Beschäftigung zu bringen, sind daher neben finanziellen Anreizen weitergehende Unterstützungs- und Qualifizierungsmaßnahmen erforderlich, wie sie das Bürgergeld auch vorsieht. Bereits Erwerbstätige, die ergänzend Sozialleistungen beziehen, sollten dabei ebenfalls in den Blick genommen werden. Die Kombination von Anreizen bei passiven Transfers und aktiven Unterstützungsleistungen sollte also im Zentrum der Reformbemühungen stehen.

Das komplexe Transfersystem setzt nur geringe finanzielle Anreize, die Arbeitszeit auszuweiten

Für Geringverdienende, die mit ihrem Lohn für sich und ihre Familie sorgen müssen, stellt sich das System aus Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag komplex und intransparent dar. Zudem bestehen nur geringe finanzielle Anreize, die Arbeitszeit auszuweiten. Wenn mehr Stunden gearbeitet werden, beträgt das Einkommensplus häufig weniger als 20 Prozent, von einem zusätzlichen Euro Bruttoverdienst verbleiben also weniger als 20 Cent netto.

Die sogenannte Grenzbelastung des Einkommens liegt für Geringverdienende aus einkommensschwachen Haushalten damit häufig bei 80 Prozent und mehr, wie die Abbildung am Beispiel einer Familie mit zwei Kindern verdeutlicht. Neben den Sozialabgaben und der Einkommensteuer bestimmen vor allem die Hinzuverdienstregeln zur Anrechnung von Erwerbseinkommen auf die Sozialleistungen die Höhe der Nettoeinkommenssteigerung.

Beim Bürgergeld wurden die Regelungen zum 1. Juli 2023 reformiert. Seitdem bleiben bei Bruttoeinkommen zwischen 520 und 1.000 Euro 30 Prozent des Nettolohns anrechnungsfrei, davor waren es 20 Prozent. Höhere Einkommen werden beim Bürgergeld allerdings mit 90 bis 100 Prozent angerechnet.

Wechselt eine Familie mit steigendem Erwerbseinkommen aus dem Bürgergeld in das Wohngeld und den Kinderzuschlag, sinkt die Grenzbelastung zunächst. Sie ist aber dennoch deutlich höher als bei Geringverdienenden, die keine ergänzenden Leistungen beziehen. Vor allem die starke Ausweitung des Wohngeldes Anfang 2023 hat zu einem breiten Einkommensintervall geführt, bei dem sich durch die Abschmelzung von Wohngeld und Kinderzuschlag eine Grenzbelastung von häufig über 80 Prozent ergibt.

Damit sind die Anreize zur Ausweitung einer Erwerbstätigkeit im Niedrigeinkommensbereich auch niedriger als für Haushalte mit höheren Einkommen. Dort steigt die Grenzbelastung maximal bis zu etwa 50 Prozent (lesen Sie dazu auch einen 2023 erschienenen Beitrag von Florian Dorn und anderen). Auch nach der partiellen Absenkung der Grenzbelastung beim Bürgergeld im vergangenen Jahr besteht also weiterhin Reformbedarf.

Die Abbildung zeigt beispielhaft für einen Paarhaushalt mit zwei Kindern im Vorschulalter und einem Alleinverdienenden die zu verschiedenen Bruttoerwerbseinkommen zwischen 0 und 5.000 Euro jeweils gehörenden verfügbare Einkommen aus Transferleistungen und Nettolohn und ihre Höhe. Bei einem Bruttolohn von 0 Euro setzt sich das verfügbare Einkommen nur aus Bürgergeld und Kindergeld zusammen. Zusätzlich ist die „effektive Grenzbelastung“ dargestellt. Die effektive Grenzbelastung gibt an, welcher Anteil eines zusätzlich verdienten Euros Bruttoeinkommen dem Haushalt über das Steuer- und Transfersystem durch steigende Steuern und Sozialversicherungsbeiträge oder durch sinkende Transferleistungen entzogen wird. Sie liegt für den Beispielhaushalt häufig über 80 Prozent.

Finanzielle Anreize wirken, aber nur in begrenztem Umfang

Wäre der Selbstbehalt bei zusätzlichem Erwerbseinkommen höher, so wären auch die Arbeitsanreize größer. Allerdings: Auch ein Selbstbehalt von 30 Prozent bedeutet bei einem Mindestlohnjob faktisch nur einen Stundenlohn von 3,60 Euro. Ein deutlich höherer Selbstbehalt wird, wie bereits angedeutet, nicht möglich sein. Denn wenn die Transferentzugsraten sehr stark reduziert werden, nehmen die Kosten und die Zahl der Leistungsberechtigten zwangsläufig immens zu.

In einer solchen Situation würde Beschäftigung – insbesondere im Niedriglohnsektor – durch aufstockende Leistungen umfassend subventioniert. Der Arbeitsmarkt würde sich entsprechend anpassen, es entstünde also Lohndruck nach unten. Das lässt sich etwa am Beispiel der stark subventionierten Minijobs beobachten, wo die Bruttolöhne niedriger liegen als in entsprechender sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Eine starke Ausweitung rein passiver Leistungen wäre daher nicht erstrebenswert.

Attraktivere Hinzuverdienstregeln für Jobs mit höherer Stundenzahl sind sinnvoll, reichen jedoch allein nicht aus

Eine Reform der Hinzuverdienstregeln sollte Anreize setzen, eine Erwerbstätigkeit mit möglichst hoher Stundenzahl aufzunehmen. Idealerweise würde sich eine Reform nicht auf das Bürgergeld beschränken, sondern auch Wohngeld und Kinderzuschlag beziehungsweise Leistungen aus einer möglichen Kindergrundsicherung einbeziehen, um Sprungstellen im Tarifverlauf zu vermeiden.

Ein einheitliches oder aufeinander abgestimmtes Leistungssystem könnte transparentere Hinzuverdienstregelungen und verbesserte Hinzuverdienstmöglichkeiten schaffen – mit einer Grenzbelastung deutlich unter 100 Prozent, insbesondere für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Die Transferentzugsraten sollten so gestaltet werden, dass sie zu einer Grenzbelastung zwischen 60 und 70 Prozent bei höheren Verdiensten führen.

Um die Zahl der Leistungsbeziehenden nicht deutlich auszuweiten, sollten die Hinzuverdienstmöglichkeiten im Gegenzug bei geringen Wochenarbeitszeiten reduziert werden. Dazu könnten die ersten 100 Euro, die im Bürgergeld anrechnungsfrei hinzuverdient werden können, bei geringfügig Beschäftigten auf 50 Euro reduziert und die Grenzbelastung von derzeit 80 Prozent unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze erhöht werden. Damit würden Beschäftigungsverhältnisse mit einer höheren Stundenzahl gegenüber geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen deutlich attraktiver als bisher.

Mit einer großzügigeren Hinzuverdienstregelung beim Bürgergeld für Beschäftigungsverhältnisse mit einer höheren Wochenarbeitszeit würde das Wohngeld faktisch von der Grundsicherung verdrängt. Erwerbstätige, die bereits mit einer erheblichen Stundenzahl arbeiten, könnten die Grundsicherungsleistung als „Erwerbszuschuss“ erhalten. Personen ohne Beschäftigung oder mit einer geringfügigen Beschäftigung erhalten dann die Grundsicherungsleistungen wie bisher als Bürgergeld. Für Erwerbstätige ersetzt ein Erwerbszuschuss, der bei der Leistungshöhe und -berechnung den Regeln zur Grundsicherung entspricht, die Grundsicherungsleistungen, das Wohngeld und den Kinderzuschlag (eine ausführliche Analyse dazu finden Sie im IAB-Forschungsbericht 9/2018 von Kerstin Bruckmeier und anderen).

Ergänzend zu einer allgemeinen Absenkung der Transferentzugsraten könnte ein zeitlich begrenzter Selbstbehalt als „Anschubhilfe“ für diejenigen eingeführt werden, die eine Arbeit aufnehmen oder ihre Arbeitszeit erhöhen, wie Enzo Weber 2023 in einem Beitrag für Focus online vorgeschlagen hat. Dies könnte zusätzliche Impulse für eine positive Entwicklung am Arbeitsmarkt setzen, ohne dass Beschäftigung von Leistungsbeziehenden dauerhaft und umfassend subventioniert wird.

Forschungsergebnisse zeigen, dass derartige Impulse substanzielle Wirkung haben können, auch weil damit eine Negativdynamik mit einem Veralten der Arbeitserfahrung, einer mit Arbeitslosigkeit verbundenen Stigmatisierung oder einem Verharren im Niedrigeinkommensbereich durchbrochen werden kann.

Auch der Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und sozialen Dienstleistungen ist wichtig

Eine Reform sollte sich aber nicht auf eine Verbesserung der rein passiven Leistungen beschränken, sondern diese mit einer aktiven Komponente kombinieren. Monetäre Anreize und eine wirksame aktive Unterstützung im individuellen Fall eröffnen Chancen, Menschen nachhaltig in Arbeit zu bringen. Denn Anreize für eine Ausweitung der Arbeitszeit helfen nur, wenn die Betroffenen in die Lage versetzt werden, tatsächlich länger zu arbeiten.

Damit der Übergang in eine nachhaltige und möglichst vollzeitnahe Beschäftigung gelingt, ist neben der Arbeitsuche nicht zuletzt der Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und sozialen Dienstleistungen entscheidend. Dabei geht es zum Beispiel darum, Qualifikationsdefizite abzubauen oder eine passgenaue Kinderbetreuung zu organisieren.

Die aktive Komponente ist auch für Zweitverdienende in den Bedarfsgemeinschaften – häufig Frauen – wichtig. Denn allzu oft geraten Frauen in eine Sackgasse, wenn der Mann der Hauptverdiener ist. Verbesserte Hinzuverdienstmöglichkeiten helfen hier nicht unbedingt weiter. Im Gegenteil: Das höhere Sozialleistungseinkommen für einen Haushalt kann dazu führen, dass Frauen dann sogar weniger arbeiten. Denn das zusätzliche Transfereinkommen erhöht den finanziellen Spielraum, die Arbeitszeit zu reduzieren. Deshalb ist in solchen Fällen eine gezielte Ansprache und Unterstützung sinnvoll, um die Arbeitsmarktintegration beider Partner zu stärken.

Mehr als ein Drittel derjenigen, die Grundsicherung bezogen und im Jahr 2022 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen haben, waren in den folgenden sechs Monaten nicht kontinuierlich beschäftigt. Mit besseren finanziellen Anreizen allein würde es damit häufig bei einer Subventionierung von Kurzzeitjobs bleiben. Für die Entlastung von Transfersystem und Arbeitsmarkt ist aber nicht nur die Jobaufnahme, sondern auch die Nachhaltigkeit der Jobs entscheidend.

Berufliche Weiterentwicklung, Arbeitszeitausweitung, stärkere Beteiligung von Zweitverdienenden, nachhaltige Arbeitsmarktintegration: Hier ergeben sich zusätzliche Aufgaben über die Vermittlung von Arbeitslosen hinaus. Auf diese Herausforderungen sollte sich auch die Arbeitsmarktpolitik einstellen. Schließlich wird sich die Förderung für diesen Adressatenkreis oft von der typischen Förderung Arbeitsloser unterscheiden, wie eine Studie von Anne Schröter und Susanne Heiland aus dem Jahr 2016 nahelegt.

Fazit

Für Geringverdienende, die ergänzend Sozialleistungen beziehen, werden durch die Regelungen zum Selbstbehalt bei Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag unterm Strich in vielen Fällen zu wenige finanzielle Anreize gesetzt, die Arbeitszeit auszuweiten. Eine Reform, die mit einem höheren und transparenteren Selbstbehalt bei zusätzlichem Erwerbseinkommen einhergeht, würde insgesamt zu mehr gearbeiteten Stunden und höheren Verdiensten beitragen.

Die Wirkung rein monetärer Anreize wird am Ende allerdings begrenzt bleiben. Der Selbstbehalt kann nicht beliebig ausgedehnt werden, ohne die Kosten und die Zahl der Leistungsbeziehenden stark zu erhöhen und den Niedriglohnsektor umfassend zu subventionieren. Eine Reform sollte sich deshalb nicht auf rein passive Leistungen beschränken, sondern dies mit einer aktiven Komponente kombinieren. Ein solcher Ansatz böte am ehesten Gewähr dafür, Menschen nachhaltig in Arbeit zu bringen.

In aller Kürze
  • Für Geringverdienende, die ergänzend Sozialleistungen beziehen, werden durch die Regelungen zum Selbstbehalt bei Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag zu wenige finanzielle Anreize gesetzt, ihre Arbeitszeit auszuweiten.
  • Durch eine Reform, die mit einem besseren und transparenteren Selbstbehalt bei zusätzlichem Erwerbseinkommen einhergeht, sind positive Arbeitsanreize zu erwarten.
  • Der Selbstbehalt kann nicht beliebig ausgedehnt werden, ohne die Kosten und die Zahl der Leistungsbeziehenden stark zu erhöhen und den Niedriglohnsektor umfassend zu subventionieren. Die Wirkung rein monetärer Anreize wird daher am Ende begrenzt bleiben.
  • Eine Reform sollte sich deshalb nicht auf rein passive Leistungen beschränken, sondern monetäre Anreize mit einer aktiven Komponente kombinieren, um Menschen nachhaltig in Arbeit zu bringen.

Literatur

Bruckmeier, Kerstin; Mühlhan, Jannek; Wiemers,  Jürgen (2018): Erwerbstätige im unteren Einkommensbereich stärken. Ansätze zur Reform von Arbeitslosengeld II, Wohngeld und Kinderzuschlag. IAB-Forschungsbericht Nr. 9.

Bruckmeier, Kerstin; Wiemers, Jürgen (2022): Neuregelung der Hinzuverdienstmöglichkeiten für Transferbeziehende: keine leichte Aufgabe. Zeitgespräch. In: Wirtschaftsdienst, Jg. 102, H. 2, S. 90–94. DOI:10.1007/s10273-022-3107-6.

Dorn, Florian; Gstrein, David; Neumeier, Florian; Peichl, Andreas (2023): Die Mittelschicht in Deutschland: Zugehörigkeit, Entwicklung und Steuerlast. ifo Schnelldienst 8/2023. 76. Jahrgang, S. 29–36.

Schröter, Anne; Heiland, Susanne (2016): Sackgasse SGB II: Eine qualitative Panelstudie zur Überwindung der Bedürftigkeit aus Sicht von Aufstocker-Familien, Reihe Arbeit und Wirtschaft in Bremen, No. 13, Institut Arbeit und Wirtschaft, Universität Bremen und Arbeitnehmerkammer Bremen.

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2024): Integrationen und Verbleib nach Integration von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. 25.01.2024.

Weber, Enzo (2023): Diese Maßnahmen braucht es jetzt, damit sich Arbeit wieder lohnt. In: Focus online, 27.12.2023.

 

Bild: fotogestoeber/stock.adobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240402.01

Bruckmeier, Kerstin; Weber, Enzo (2024): Geringverdienende im Leistungsbezug: monetäre Anreize und aktive Unterstützung für eine bessere Arbeitsmarktintegration, In: IAB-Forum 2. April 2024, https://www.iab-forum.de/geringverdienende-im-leistungsbezug-monetaere-anreize-und-aktive-unterstuetzung-fuer-eine-bessere-arbeitsmarktintegration/, Abrufdatum: 30. April 2024