Die wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskrieges und der Covid-19-Pandemie sind für viele Betriebe in Deutschland zu spüren. Das IAB-Betriebspanel, eine jährliche Befragung von gut 15.500 Betrieben, gibt unter anderem Aufschluss darüber, inwiefern die Wirtschaft in den alten und die Wirtschaft in den neuen Bundesländern unterschiedlich betroffen sind, und welche Branchen besonders stark mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen haben. Im Gespräch mit der Redaktion des IAB-Forum fassen Emanuel Bennewitz, Ute Leber und Barbara Schwengler ihre wichtigsten Erkenntnisse zusammen.

Welche Ergebnisse des IAB-Betriebspanels haben Sie am meisten überrascht?

Porträtfoto Emmanuel Bennewitz

Emanuel Bennewitz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Technologietransfer an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes.

Emanuel Bennewitz: Mich hat überrascht, dass die westdeutschen und die ostdeutschen Betriebe vom Angriffskrieg auf die Ukraine in fast gleichem Maße wirtschaftlich betroffen waren. Im Normalfall beobachten wir bei den im IAB-Betriebspanel betrachteten Kennziffern sichtbare Unterschiede zwischen West und Ost. Nicht aber in diesem Fall. Sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern berichtete jeweils etwa die Hälfte der Unternehmen von negativen wirtschaftlichen Auswirkungen. Und sie nannten dabei auch die gleichen Problemlagen.

Barbara Schwengler

Barbara Schwengler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich „Betriebe und Beschäftigung“ am IAB.

Barbara Schwengler: Außerdem waren wir doch sehr beeindruckt, ja fast erschrocken darüber, wie stark das Thema Fachkräfteengpässe an Fahrt aufgenommen hat. Mit dem Abklingen der Covid-19-Pandemie hat in Deutschland der Fachkräftebedarf wieder deutlich zugenommen. Das ist für sich genommen ist noch kein Problem. Problematisch wird es erst dann, wenn man dem Fachkräftebedarf die unbefriedigte Fachkräfteversorgung der Betriebe gegenüberstellt. Der Anteil der nicht besetzten Fachkräftestellen an allen angebotenen Fachkräftestellen, wir nennen das die Nichtbesetzungsquote, erreichte im Jahr 2022 mit 45 Prozent ein enorm hohes Niveau.

Am stärksten hatten die Betriebe bei den wirtschaftlichen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs mit höheren Kosten für Energie und Treibstoffe zu kämpfen.

Herr Bennewitz, wenn Sie die wirtschaftlichen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs ansprechen – welche Problemlagen waren das genau?

Bennewitz: Am stärksten hatten die Betriebe tatsächlich mit den höheren Kosten für Energie und Treibstoffe zu kämpfen. Und dies machte sich dann auch in den Lieferketten bemerkbar. Wahrscheinlich haben etliche Hersteller die gestiegenen Kosten weitergegeben. Daher waren auch die gestiegenen Kosten für nachgelagerte Vorleistungen oder Rohstoffe und deren Bezug brennende Themen für die Betriebe. Aber auch in den Lieferantenbeziehungen und in der Logistik im Allgemeinen konnten wir feststellen, dass viele Betriebe ihre Schwierigkeiten hatten.

Besonders das Bauwesen hat mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen.

Frau Leber, wie kommt es, dass die von Ihrer Kollegin genannte Nichtbesetzungsquote in den Betrieben besonders letztes Jahr so stark gestiegen ist?

Dr Ute Leber

Dr. Ute Leber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich „Betriebe und Beschäftigung“ am IAB.

Ute Leber: Die Nichtbesetzungsquote hat sich seit 2013 beinahe jedes Jahr erhöht. Nur durch die Covid-19-Pandemie wurde der Anstieg zwischenzeitlich unterbrochen. Und obwohl deutschlandweit der Fachkräftebedarf im Gesundheits- und Sozialwesen am größten war, war es das Baugewerbe, welches 2022 die größten Schwierigkeiten hatte, den eigenen Fachkräftebedarf zu decken.

Woran das liegt, lässt sich nicht pauschal beantworten. Für das Baugewerbe dürfte ein Grund in dem bis 2022 anhaltenden Boom liegen, den die Branche in den letzten Jahren erfahren hatte. Da konnte das Angebot an Fachkräften einfach nicht mit der Nachfrage nach Fachkräften mithalten. Allerdings hat sich die Situation im Bausektor 2023 deutlich verändert. Die Baukonjunktur ist vor allem wegen der gestiegenen Zinsen erheblich schlechter geworden.

Wenn man eher branchenübergreifend auf die Nichtbesetzungsquote blickt, dürften Ursachen sicher auch in Passungsproblemen im Ausbildungsmarkt zu finden sein. Aber auch die Ruhestandswelle in der Baby-Boomer-Generation spielt bereits eine Rolle, ebenso die Digitalisierung der Arbeitswelt. Fachkräfte von heute müssen in den digitalen Technologien völlig neue Fertigkeiten erlernen, um auch morgen als Fachkraft eingesetzt werden zu können. Das sehen wir auch daran, dass die Betriebe im IAB-Betriebspanel bei allen digitalen Technologien einen erhöhten Bedarf an Weiterbildungen sehen.

Ihren Daten für 2022 ist außerdem zu entnehmen, dass viele Beschäftigte kündigen. Wie groß ist das Problem aus Ihrer Sicht?

Bennewitz: Wir interpretieren die hohe Zahl an Kündigungen durch die Beschäftigten nicht nur negativ. Unserer Meinung nach deutet dies auf eine Erholung des Arbeitsmarktes hin. Je stabiler die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen, desto höher die freiwillige Personalfluktuation. Dieses Zusammenspiel konnte in der Vergangenheit schon häufig mit den Daten des IAB-Betriebspanels beobachtet werden. Erst in jüngster Vergangenheit war mit der Covid-19-Pandemie ein deutlicher Rückgang in der Zahl der Kündigungen durch die Beschäftigten festzustellen. Man hat eher auf Beschäftigungssicherheit gesetzt. Jetzt, nach der Pandemie, kam es wieder vermehrt zu freiwilligen Personalabgängen.

Schwengler: Schlägt man den Bogen zum Fachkräftemangel, dann können wir uns gut vorstellen, dass der Wettbewerb um Fachkräfte deutlich intensiver geworden ist und viel mehr Anreize zur Abwerbung von Fachkräften aus anderen Betrieben gesetzt werden. Wir sprechen hier von sogenannten Pull-Faktoren. Oder anders formuliert: Je größer der Fachkräftemangel, desto größer auch die Zahl attraktiverer Beschäftigungsalternativen für Fachkräfte und somit deren Bereitschaft, den Arbeitgeber zu wechseln.

Bundesweit wurden letztes Jahr über drei Viertel aller Ausbildungsabsolventen übernommen.

Haben Ihre Befragungen neben den vielfältigen Problemen und Herausforderungen auch positive Erkenntnisse zu Tage gefördert?

Bennewitz: Definitiv gibt es auch erfreuliche Entwicklungen. Gerade weil sich die deutsche Wirtschaft zunehmend von den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie erholt. Eine positive Entwicklung ist die aus Sicht der Beschäftigten eben erwähnte gestiegene Personaldynamik. Auch das Weiterbildungsgeschehen zieht wieder an, liegt aber noch unter dem Vorkrisenniveau. Dazu möchte ich die hohe Übernahmequote von Ausbildungsabsolventen durch ihren Ausbildungsbetrieb erwähnen. Bundesweit wurden letztes Jahr über drei Viertel aller Ausbildungsabsolventen übernommen – das ist wirklich ein starkes Zeichen.

Leber: Ein mehr aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive positives Ergebnis sehe ich im Anteil der Betriebe, die im Geschäftsjahr 2021 profitabel, also gewinnbringend, gewirtschaftet haben. Hier hatte es im Jahr 2020 aufgrund der Pandemie einen deutlichen Einbruch gegeben. Im Geschäftsjahr 2021, das noch immer durch die Pandemie beeinflusst war, erhöhte sich der Anteil der rentablen Betriebe wieder deutlich. Dies zeigt die Anpassungsfähigkeit der Betriebe auch an schwierige Rahmenbedingungen.

Literatur

Bennewitz, Emanuel; Klinge, Silke; Leber, Ute; Schwengler, Barbara (2023): Auswirkungen des Angriffskrieges auf die Ukraine auf die Betriebe in Deutschland – Ergebnisse des IAB-Betriebspanels 2022. IAB-Forschungsbericht Nr. 15.

 

Bild: YouraPechkin/stock.adobe.com

doi: 10.48720/IAB.FOO.20231103.01

Keitel, Christiane; Schulz, Vincent (2023): Viele unbesetzte Stellen – und der russische Angriffskrieg: aktuelle Befunde aus dem IAB-Betriebspanel, In: IAB-Forum 3. November 2023, https://www.iab-forum.de/interview-betriebspanel/, Abrufdatum: 27. April 2024