Das bedingungslose Grundeinkommen, so sehen es viele seiner Befürworter, eröffnet den Menschen den Weg vom „Reich der Notwendigkeit“ ins „Reich der Freiheit“, indem es sie vom ökonomischen Arbeitszwang befreit. Wer so argumentiert, verkennt, dass Arbeit ein Grundelement der menschlichen Existenz ist. Zugleich entlässt er die Arbeitgeber aus ihrer Verantwortung, Vollzeitbeschäftigten existenzsichernde Löhne zu bezahlen.

Unter dem bedingungslosen Grundeinkommen versteht man zunächst ein von eigener Arbeit wie auch von eigener Bedürftigkeit entkoppeltes, allen zustehendes existenzsicherndes Grundeinkommen.

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens geht bis in das 16. Jahrhundert zurück, eine Zeit, in der die meisten Menschen in bitterster Armut lebten und die soziale Kluft gegenüber Adel und Klerus größer nicht hätte sein können. Angesichts der damaligen wirtschaftlichen und politischen Umbrüche und ihrer negativen sozialen Folgen haben politische Reformer darüber nachgedacht, wie sich solche Konflikte entschärfen ließen. Dafür müsste jedem Menschen eine von der Gemeinschaft gewährleistete Grundversorgung zur Verfügung stehen, ohne Ansehen von Person und Situation. Diese Idee skizzierte Thomas More, der englische Staatsmann und Humanist, in seiner 1516 veröffentlichten Schrift „Utopia“.

Die Idee hat seither eine wechselvolle Geschichte durchlaufen. Seit nunmehr einigen Jahrzehnten hat sie den Dunstkreis philosophischer Denkschriften verlassen und ist zum Dauerbrenner sozialpolitischer Debatten in Europa avanciert, an denen sich auch das aufgeklärte Bürgertum nicht selten mit Herzblut beteiligt. Zugleich regt sich an vielen Stellen Widerspruch: in Ministerien und Gewerkschaften, in den etablierten politischen Parteien, aber auch in weiten Teilen der arbeitenden Bevölkerung und der Wissenschaft.

Zuspruch findet sie vor allem bei jungen Menschen und Studierenden, im künstlerischen Milieu und unter Angestellten karitativer Organisationen. Vereinzelt propagieren sogar prominente Personen aus der Wirtschaft das bedingungslose Grundeinkommen, allen voran – aber mitnichten als einziger – der mittlerweile verstorbene Drogeriekettenbesitzer Götz Werner.

Das Prinzip und die konkrete Ausgestaltung eines bedingungslosen Grundeinkommens sind hoch umstritten

Doch nicht nur der Grundsatz an sich, sondern auch die konkrete Ausgestaltung ist hoch umstritten: Wie hoch soll das Grundeinkommen sein, wie soll es finanziert werden? Wer soll es finanzieren? Welche Sozialleistungen sollen durch das Grundeinkommen abgelöst werden? Nur das Bürgergeld, oder auch die Leistungen für Ältere, Kranke, Kinder? In welchem Maß suchen Menschen noch nach Arbeit und beruflicher Bildung, wenn der materielle Erwerbsdruck abnimmt? Wie ändern sich das volkswirtschaftliche Arbeitsangebot, das Steueraufkommen und die Steuerzusammensetzung, die umlaufende Geldmenge und andere volkswirtschaftlich relevante Größen?

Bemerkenswert ist auch der sich immer wieder ändernde Kontext, in dem diese Diskussion stattfindet. In den 1980er und 1990er Jahren wurde das bedingungslose Grundeinkommen vor allem im Hinblick auf eine vermeintlich drohende, technologisch bedingte Massenarbeitslosigkeit diskutiert. Doch davon geht derzeit niemand mehr ernsthaft aus. Vielmehr sind es heutzutage vor allem Armut und die vielfach als stigmatisierend empfundene Wirkung bedarfsgeprüfter Sozialleistungen, die als Argumente für ein bedingungsloses Grundeinkommen ins Feld geführt werden.

Lebens- und Erwerbsverläufe sind heute uneinheitlicher als früher

Hinzu kommen allerdings weitere, weniger offensichtliche Faktoren: Die kulturellen Gewissheiten und Erwartungen hinsichtlich der Verbindlichkeit und Stabilität von Berufsbildungswegen, Arbeitsverhältnissen, sozialen Rollen und biografischen Übergangsmustern sind in den letzten Jahrzehnten und ihren Krisen zurückgegangen.

Wir wissen nicht, ob wir in dem einmal erlernten Beruf ein Leben lang arbeiten werden, und das „Male-Breadwinner-Modell“ ist nicht nur kulturell obsolet, sondern ein Vollzeitjob alleine reicht heutzutage oft auch gar nicht mehr aus, um eine drei- oder vierköpfige Familie zu ernähren. Zudem hat sich neben dem Normalarbeitsverhältnis ein Konglomerat flexibler und teilweise prekärer Beschäftigungsverhältnisse herausgebildet.

Bildungs-, Ausbildungs- und Familiengründungsphasen dauern länger als noch vor wenigen Jahrzehnten, überschneiden sich stärker und enden biografisch später, auch weil immer mehr junge Menschen studieren und die Familiengründung zeitlich oft mit Studium und Berufseinstieg zusammenfällt. Die Situation von Menschen, die keiner Vollzeit-Erwerbstätigkeit nachgehen – etwa, weil sie sich zeitweise vorrangig auf ihre Rolle als Eltern konzentrieren möchten, eine Ausbildung machen, in Teilzeit arbeiten oder bereits in Rente sind – ist oft unsicherer, zeitlich stärker eingegrenzt, weniger sozial verbindlich oder mit geringeren Einkommen verbunden. Das achtjährige Gymnasium, die häufige Teilzeitarbeit bei Studierenden, der Erwerbsdruck auf junge Eltern, die Verschiebung des Renteneintritts sind Beispiele hierfür.

Hinzu kommt: Eine Erwerbsbiografie ist in vielen Fällen nicht mit beruflicher Stabilität oder Aufstieg verbunden, sondern kann durch Zeiten von Erwerbslosigkeit und Armut unterbrochen sein. Die Chancen, dass ein einmal erlernter Beruf einen lebenslang sicheren Sozialstatus impliziert, schwinden zusehends, sofern dies nicht ohnehin schon früher eher Fiktion denn Realität war. Auch gehen vielerorts die nach 1945 entstandenen Wachstums- und Verteilungskompromisse ihrem Ende entgegen oder werden unter kritischen Bedingungen neu verhandelt.

Angesichts all dieser Unwägbarkeiten mag ein allsorgender Staat mit einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle als attraktive Alternative zum herrschenden Prinzip der marktförmig vermittelten Erwerbsarbeit erscheinen – gerade für Menschen, die sich am Arbeitsmarkt (noch) nicht etabliert haben. Zudem ist marktförmig vermittelte Erwerbsarbeit im Modell des bedingungslosen Grundeinkommens nicht ausgeschlossen, sondern eine Möglichkeit, zusätzlich zum Grundeinkommen interessante Dinge zu tun und sein Einkommen zu erhöhen. Kein Zwang mehr, auch nicht der stumme Zwang der Verhältnisse. Der Eintritt ins Reich der Freiheit?

Arbeit ist eine anthropologische Notwendigkeit

Wer diese Hoffnung hegt, verkennt indes die Tatsache, dass wir in einer Arbeitsgesellschaft leben. Damit verbunden sind zwei wenig diskutierte, für die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens jedoch hoch relevante sozialphilosophische Grundauffassungen.

Erstens sehe ich Arbeit, anders als Aristoteles oder Hannah Arendt, nicht als verachtenswerte oder abzuschaffende Mühsal, auch nicht als historisch begrenzte Form oder bald obsolete Art der Produktion, sondern als anthropologische Notwendigkeit, auf deren Basis sich unterschiedliche kulturell-historische Ausformungen bilden. Sie haben teils auch massive negative Aspekte, was aber die Arbeit an sich nicht diskreditiert, sondern uns aufruft, dafür zu sorgen, dass Arbeit sinnstiftend und existenzsichernd wird, wo sie es bisher nicht ist.

Ich sehe, zweitens, die Arbeitsgesellschaft seit 1918 als sozialen Kompromiss, in dem Lebenschancen gegen Zeit und psychophysische Leistungen – konkret: ein existenzsichernder Lohn gegen Arbeit – getauscht werden. Dieser Tausch findet unter grundsätzlich machtasymmetrischen Bedingungen statt, wie Claus Offe und Helmuth Wiesenthal bereits 1980 in einem vielbeachteten Aufsatz argumentiert haben. Demnach wird diese Asymmetrie zwar durch Institutionen abgemildert, bleibt aber in der Verantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern als Tauschpartnern.

Mein erstes Argument gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen knüpft an mein Verständnis von Arbeit als vielschichtiger Grundform menschlichen Handelns an. Aristoteles, Bürger einer antiken Sklavenhaltergesellschaft, unterschied hingegen zwischen „ponos“, der Mühsal oder Last, und „poiesis“, dem schöpferischen Tätigsein. Der Begriff „Arbeit“ entspricht in seinen sprachgeschichtlichen Wurzeln exakt der Mühsal und Last, die der Begriff „ponos“ ausdrückt und von Aristoteles als eines freien Mannes unwürdig empfunden und den Frauen und Sklaven zugeschrieben wurde.

Nach 1945, als sich manche westeuropäische Philosoph*innen in ihrem Navigieren zwischen den Klippen von Marxismus, Sozialdarwinismus und Existenzialismus auf die Antike rückbesannen, wurde diese Trennung von Arbeit und Tätigkeit erneut formuliert. So nahm etwa Hannah Arendt Arbeit als „etwas zu Überwindendes“, als eine „Last“ wahr, während die von der Mühsal befreite, jedoch Sinn, Schönheit und vernünftige Ordnung produzierende Tätigkeit in Kunst und Politik das wahre Ziel menschlicher Entwicklung bilden sollte – bei Aristoteles gipfelnd in der politischen Tätigkeit, der res politica, der wahren Aufgabe der freien Bürger.

So manches Argument, das für das bedingungslose Grundeinkommen ins Feld geführt wird, basiert auf dieser Auffassung. Demnach nehmen uns die Maschinen mehr und mehr die Arbeit ab, so dass wir uns nurmehr von der Orientierung an der Mühsal und dem ökonomischen Arbeitszwang befreien und, wenigstens grundfinanziert, dem sinnhaften Tätigsein zuwenden müssten – gleichsam aus dem Reich der Notwendigkeit kommend das Reich der Freiheit betreten müssten.

Gelinde gesagt habe ich Zweifel, ob dieses paradiesische Bild der menschlichen Existenz gerecht wird. Die philosophische Anthropologie, namentlich Helmuth Plessner, weist darauf hin, dass Menschen gewissermaßen Doppelwesen sind. Sie sind einerseits Teil der Natur, ausgestattet mit Sinnen und Muskeln, einem Leib, der in der Lage ist, durch seine sensorischen, kognitiven und physischen Aktivitäten das eigene Überleben sicherzustellen, und sich nicht nur aktiv anzupassen, sondern auch gestaltend auf die Umwelt einzuwirken.

Diese Kreatürlichkeit teilen wir mit anderen lebendigen Wesen, allerdings mit gewissen Unterschieden – der Mangelhaftigkeit (Arnold Gehlen), besser Unspezifität unserer sensorischen und physiologischen Ausstattung, unserer Fähigkeit zur Symbolproduktion (Ernst Cassirer), Sprache (Aristoteles) und Sozialität (Thomas von Aquin) und unserem Denkapparat (Helmuth Plessner). Mindestens letzteres schließt jedoch ein, dass wir uns gedanklich aus uns selbst herausbewegen können und reflektierend auf uns selbst zurückblicken können – und unsere Physis nicht einfach der sinnlichen Steuerung überlassen, sondern denken, mit allen positiven und negativen Folgen.

Doch wir können unsere Kreatürlichkeit nicht hinter uns lassen, unser Angewiesensein auf Nahrung, Kleidung und Schutz, die wir selbst in Interaktion mit der Natur und unseren Mitwesen und Mitmenschen produzieren. Das ist nicht nur nackte Lebensnotwendigkeit und Mühsal, sondern gleichzeitig Quelle von Sinn, Stolz, sozialer und zeitlicher Lebensstruktur und Zufriedenheit (Jahoda).

Die Sicherung unseres Lebensunterhaltes im Stoffwechsel mit unserer natürlichen und sozialen Umgebung stellt somit eine „conditio humana“ dar, die jedoch ihrerseits sozialisiert und kulturalisiert ist: Wir arbeiten in Arbeitsteilung und Kooperation – und dies schon seit zehntausenden von Jahren. In unserer Entwicklung haben sich historisch spezifische Formen der Organisation des Stoffwechsels mit der Natur und der Arbeitsteilung und Kooperation herausgebildet; in Wechselwirkung zwischen unserem Denken und Handeln und unserem Ökosystem.

Doch was passiert, wenn wir uns nicht mehr mühen müssen? Die Mühe, die Arbeit gehört dazu. Erst wozu wir uns durchringen müssen, was uns Mühe kostet, was wir üben müssen, lernen müssen, verbessern müssen, bedenken müssen, perfektionieren können, um Gestaltungsfreiheit zu gewinnen, gibt uns Zufriedenheit und Sinn (Max Weber).

Wir können also Mühe und Sinn nicht voneinander trennen. Wenn wir uns durch ein „unverdientes“ Einkommen davon emanzipieren, verlieren wir diesen Grundzusammenhang menschlicher Existenz zugunsten eines eigenartigen Schuldverhältnisses – dass uns die Gesellschaft unsere Existenz schuldet, ohne Gegenleistung.

Wenn die Arbeit – was durch Arbeitsteilung und Entfremdung historisch der Fall sein kann und oft ist – zu viel Mühe und zu wenig Sinn macht, dann ist es eher an der Zeit, die Arbeit zu verändern, Arbeitsbedingungen zu verbessern, Arbeitsprozesse zu reintegrieren, geistige und körperliche Elemente der Arbeit miteinander zu versöhnen, Arbeit, Bildung und persönliche Entwicklung stärker zu verbinden, den Respekt vor unserer eigenen Kreatürlichkeit und Kreativität und der uns umgebenden Umwelt wieder stärker in den Fokus zu nehmen.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen entbände die Arbeitgeber von ihrer lohnpolitischen Verantwortung

Ein Grundzug dieses Tauschverhältnisses von Arbeitgebern und Beschäftigten ist die Erwartung, dass das Arbeitsvermögen einer Vollzeitarbeitskraft getauscht wird gegen einen menschenwürdigen, kulturell akzeptierten und existenzsichernden Lohn, oder anteilig, im Falle von Teilzeitarbeit.

Dieses im Prinzip zweiseitige Verhältnis ist etwas aufgefächert worden. So haben sich Arbeit und Kapital historisch teilweise dafür entschieden, die Aushandlung der Bedingungen dieses Verhältnisses spezialisierten Korporationen zu überlassen: Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Der Staat regelt zusätzlich die Mindestbedingungen.

Doch die primäre Verantwortung für die Existenzsicherung der Beschäftigten liegt in der zumindest ethischen Verpflichtung des Arbeitgebers, diesen existenzsichernden Lohn zu bezahlen.

Das bedingungslose Grundeinkommen stellt demgegenüber den Arbeitgeber teilweise von dieser Verpflichtung frei, denn die Verantwortung für die Existenzsicherung wandert zum Staat, der sich die Kosten aber – nach einem auszuhandelnden Schlüssel – letztlich von den Wirtschaftssubjekten zurückholen oder mit der Notenpresse finanzieren müsste, mit erwartbar negativen Folgen.

Ein vergleichsweise einfacher Regulierungsmechanismus würde durch einen weit komplexeren ersetzt, die Verantwortung würde verlagert. Kulturelle und soziale Errungenschaften, die in zweihundert schwierigen und konfliktreichen Jahren erreicht wurden, würden von den Füßen auf den Kopf gestellt.

Der existenzsichernde Lohn kann notfalls mit Streik und Protest vor dem Werkstor eingefordert werden. Der Adressat ist anwesend und greifbar – und durch den Arbeitskampf beeinflussbar. Der Adressat für das bedingungslose Grundeinkommen ist weit weg und in den Arbeitsprozess nicht involviert.

Freiheit heißt für Arbeitgeber und Beschäftigte, miteinander zu produzieren, und sich bei Uneinigkeit direkt und auf kurzem Wege miteinander auseinanderzusetzen, in einem gesellschaftlichen Rahmen autonom zu verhandeln und zu entscheiden. Das bedingungslose Grundeinkommen verschiebt diesen Prozess und entlastet damit die Unternehmen von ihrer Verpflichtung, aus dem Marktertrag ihrer Aktivitäten für Vollzeitbeschäftigte existenzsichernde Löhne zu bezahlen (auch wenn sich über das, was „existenzsichernd“ ist oder nicht, sicherlich streiten lässt). Die Verantwortung wird dem Staat aufgebürdet.

Arbeit, so steht zu befürchten, würde entwertet statt anerkannt, Komplexität gesteigert statt reduziert, Verantwortung verwischt statt klar zugeordnet, wenn wir uns tatsächlich entscheiden sollten, zu einem solchen System überzugehen.

Mit dem Mindestlohn und dem Bürgergeld hat Deutschland bereits zwei prinzipiell funktionierende Mindestsicherungssysteme

Eigentlich haben wir bereits zwei verschiedene Mindestsicherungssysteme: Das erste ist der gesetzliche Mindestlohn, das zweite die Grundsicherung für Arbeitsuchende, heute das Bürgergeld, für Menschen, die kein Arbeitsentgelt bekommen, oder deren Arbeitseinkommen zum Leben nicht ausreicht.

Das Bürgergeld ist allerdings, wie seine Vorläufer, an bestimmte Voraussetzungen gebunden und erfordert eine Gegenleistung, und zwar, sich – mit Unterstützung der Gesellschaft – um eine existenzsichernde Erwerbsarbeit zu bemühen. Einiges gab es an der Grundsicherung zu verbessern, auch das Bürgergeld ist nicht unumstritten, in der Praxis wird sich immer wieder Verbesserungsbedarf herauskristallisieren. Letzteres gilt auch für die Erwerbsarbeit und die Wirtschaft insgesamt. Doch all dies ist kein Grund, ein unterm Strichfunktionierendes und legitimes System abzuschaffen.

Fazit

Gleichwohl sollten wir die Probleme, die der Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen letztlich zugrunde liegen, ernst nehmen: die Verbesserung der sozio-ökonomischen Lage und sozialen Sicherung von prekär Beschäftigten, ja generell von Menschen in prekären Lebenssituationen, Soloselbständigen mit geringem Einkommen, Kunstschaffenden mit Kurzzeitverträgen, einkommensarmen Studierenden, aber auch die Frage, wie die Grundsicherungsträger den Leistungsberechtigten begegnen.

Man wird das Bürgergeld und seinen Anspruch auf „Augenhöhe“ zwischen Jobcentern und Leistungsberechtigten in der Praxis beobachten und den Wohlfahrtsstaat weiterentwickeln müssen. Auch Arbeitsverhältnisse, mit denen keine positive Anerkennung oder Identifikation der Beschäftigten verbunden ist, gehören auf den Prüfstand – gerade in Zeiten eines breiten Arbeitskräftemangels.

Doch ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle macht für eine Arbeitsgesellschaft keinen Sinn: Arbeit ist ein Grundelement menschlicher Existenz. Und die primäre Verantwortung für das Arbeitsverhältnis liegt bei Arbeitgebern, Beschäftigten und ihren Organisationen.

In aller Kürze

  • Der Beitrag formuliert zwei Thesen gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen.
  • Zum einen ist Arbeit, das heißt die Produktion und Reproduktion der eigenen Existenz, eine menschliche Grundaufgabe und Basis des menschlichen Selbstverständnisses.
  • Zum anderen würden die Arbeitgeber durch ein bedingungsloses Grundeinkommen von ihrer Verantwortung für einen (im Falle von Teilzeit anteiligen) existenzsichernden Lohn gegen entsprechende Arbeitsleistung entbunden.

Literatur

Aquin, Thomas v. (2008): Über die Herrschaft der Fürsten. Reclam, Stuttgart (Orig. um 1270)

Arendt, Hannah (2009): Vita activa oder Vom tätigen Leben. Zürich (Dt. Orig. 1960)

Aristoteles (2010): Politik. Schriften zur Staatstheorie. Reclam, Stuttgart

Cassirer, Ernst (1923): Philosophie der symbolischen Formen. Bd. 1 – Die Sprache. Meiner: Hamburg

Gehlen, Arnold (2016): Der Mensch: Seine Natur und seine Stellung in der Welt. Klostermann: Frankfurt (Orig. 1940).

Jahoda, Marie (1981): Work, employment and unemployment: Values, theories, and approaches in social research. American Psychologist 36, S. 184–191

More, Thomas (1986): Utopia. (üb. v. Gerhard Ritter). Büchergilde Gutenberg: Frankfurt am Main und Wien (Orig. 1516)

Offe, Claus/Wiesenthal,Helmut (1980). Two logics of collective action: Theoretical notes on social class and organizational form. In: Zeitlin, M. (Hrsg.): Political power and social theory, S. 67–115.

Plessner, Helmuth (2019). Die Stufen des organischen und der Mensch. de Gruyter: Berlin (Orig. 1928)

Weber, Max (1995): Zur Psychophysik der industriellen Arbeit. In: Baier, Horst; Schluchter, Wolfgang; Frommer, Sabine:  Zur Psychophysik der industriellen Arbeit: Schriften und Reden 1908–1912. Tübingen: Mohr.

Danksagung

Mein Dank geht an drei eloquente Befürworter*innen des bedingungslosen Grundeinkommens: Malcolm Torry, Ursula Huws und Marek Bosch, von denen ich viel gelernt habe.

 

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20230710.01

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Promberger, Markus (2023): Das bedingungslose Grundeinkommen passt nicht in unsere Arbeitsgesellschaft. Ein sozialphilosophischer Einwurf, In: IAB-Forum 10. Juli 2023, https://www.iab-forum.de/das-bedingungslose-grundeinkommen-passt-nicht-in-unsere-arbeitsgesellschaft-ein-sozialphilosophischer-einwurf/, Abrufdatum: 29. April 2024