Die Zahl der Beschäftigten und das Arbeitsvolumen haben im ersten Halbjahr 2023 ein neues Rekordniveau erreicht. Personalengpässe bestehen dennoch fort und drohen sich in den kommenden Jahren weiter zu verschärfen – trotz lahmender Wirtschaft. Die Gründe dafür sind ebenso zahlreich wie die negativen Konsequenzen für den Wohlstand. Ohne eine nachhaltige Steigerung der Produktivität werden sich diese Probleme nicht lösen lassen.

Schon seit längerem steigt die Beschäftigung in Deutschland selbst bei niedrigem Wirtschaftswachstum. Damit wächst qua definitionem auch die Arbeitsproduktivität nur langsam. Zur Erläuterung: Zwischen 2015 und 2022 ist die Zahl der Beschäftigten zwar um 7,7 Prozent gestiegen, die Zahl der Arbeitsstunden jedoch nur um 5 Prozent (siehe Abbildung 1). Pro Kopf wird also weniger gearbeitet. Auch deswegen ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Beschäftigten in diesem Zeitraum nur um insgesamt 0,5 Prozent gewachsen. Zum Vergleich: Das BIP pro Arbeitsstunde stieg in diesen sieben Jahren mit insgesamt 3,1 Prozent deutlich stärker (siehe Abbildung 2).

Digitale Technologien waren bislang kein Jobkiller

Im geringen Produktivitätswachstum pro Beschäftigten spiegelt sich die Tatsache wider, dass sich Arbeitskräftebedarf und Wirtschaftswachstum in erheblichem Umfang, wenn auch nicht gänzlich, voneinander entkoppelt haben. Dies zeigt aber auch: Entgegen lang gehegter Befürchtungen waren digitale Technologien in den letzten Jahren kein Jobkiller! Denn die technologischen Entwicklungen haben bislang gesamtwirtschaftlich keinen Produktivitätsschub ausgelöst – und damit unterm Strich auch keinen Arbeitsplatzabbau.

Abbildung 1 zeigt die zeitliche Entwicklung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden in Deutschland für den Zeitraum 2015 1. Quartal und 2023 2. Quartal. Es handelt sich um saisonbereinigte Quartalsdaten. Die Zahl der Beschäftigten steigt in dem Zeitraum von 38,5 Millionen auf 42 Millionen an, das Arbeitsvolumen stieg von 12,9 Milliarden auf 13,8 Milliarden Stunden an. In der Coronakrise gingen die Zahl der Beschäftigten und das Arbeitsvolumen zurück, wobei der Rückgang im Arbeitsvolumen relativ gesehen weitaus stärker ausfiel.

Abbildung 2 zeigt die zeitliche Entwicklung des realen Bruttoinlandsproduktes (BIP) pro Beschäftigten und pro Arbeitsstunde in Deutschland für den Zeitraum 2015 und 2022. Es handelt sich um einen Index zur Basis 2015=100 auf Basis von Jahresdaten. Der Index für das BIP je Beschäftigten liegt 2022 bei 100,5 und zeigt damit nur ein minimales Wachstum seit 2015 an. Im Coronajahr 2020 war ein Rückgang des BIP pro Beschäftigten auf einen Wert von 97,6 zu verzeichnen. Das BIP pro Arbeitsstunde stieg bis 2022 auf einen Wert von 103 und weist keinen Einbruch im Jahr 2020 auf.

Drei Faktoren tragen entscheidend dazu bei, dass die Beschäftigung trotz des vergleichsweise geringen BIP-Wachstums nicht mehr schrumpft. Dies ist insofern bemerkenswert, als konjunkturelle Abschwünge bis Anfang der 2000er Jahre regelmäßig mit einem Rückgang der Beschäftigung verbunden waren.

Erstens, auf diesen Punkt ist schon häufig hingewiesen worden, tendieren Unternehmen angesichts des zunehmenden Fachkräfte- und Arbeitskräftemangels schon seit Jahren dazu, ihre Arbeitskräfte auch in Krisenzeiten zu halten. In der Corona-Krise mit ihren schweren wirtschaftlichen Verwerfungen wurden sogar weniger Beschäftigungsverhältnisse beendet als davor! Unternehmen versuchen eher bei kurzfristig ungünstiger Geschäftsentwicklung Möglichkeiten der Arbeitszeitverkürzung zu schaffen. Denn sie wissen, dass qualifizierte Beschäftigte bei verbesserter Geschäftslage schwer wiederzugewinnen sind.

Zweitens gibt es angesichts der raschen Transformation von Wirtschaft und Arbeitsmarkt – und angesichts der alles in allem doch eher moderaten Lohnentwicklung – sehr viele Bereiche, die Personal einstellen möchten, um künftige Bedarfe zu decken, für die es absehbar eine Nachfrage gibt. Auch geht gerade die Einführung neuer Technologien oft mit erhöhter Beschäftigung einher. Dies betrifft beispielsweise IT-Unternehmen, die neue Technologien entwickeln und vermarkten.

Auch Unternehmen, deren Beschäftigte zu festen Zeiten, teilweise mit intensivem Kundenkontakt, für eine kontinuierliche Leistungserstellung notwendig sind, stellen häufig verstärkt ein. Beispiele hierfür sind Betriebe in der Infrastruktur-Grundversorgung oder Callcenter im Bankgewerbe, die mit hoher zeitlicher Verfügbarkeit das Online-Banking unterstützen.

Einstellungen sind für Unternehmen dieser Art Investitionen in ihre künftige Leistungsfähigkeit. Personalengpässe können dort dazu führen, dass ein kurzfristig steigender Arbeitsanfall dann unter Umständen nicht mehr bewältigt werden kann. Wenn Unternehmen versuchen, verstärkt Personal auch auf Vorrat einzustellen, verstärken sich jedoch wiederum die gesamtwirtschaftlichen Personalengpässe.

Die Beschäftigung entwickelt sich in Richtung produktivitätsschwächere Bereiche

Und drittens, auf diesen Punkt wird nur selten hingewiesen, wächst die Beschäftigung vor allem in Bereichen mit geringerer Produktivität, etwa bei personalintensiven Dienstleistungen. Dies betrifft zum einen Dienstleistungen zur Betreuung technologischer Innovationen, die zwar an sich die Produktivität steigern sollen, wo aber für eine Übergangszeit Beschäftigte eingesetzt werden müssen, um die Kundschaft bei der Nutzung neuer Technologien zu unterstützen (ein Beispiel sind Selbstbedienungsterminals in Supermärkten). Das wiederum begrenzt die tatsächlichen Produktivitätsfortschritte der neuen Technologien.

Zum anderen betrifft dies die Bereiche Pflege, Erziehung und Gesundheit. Dort ist die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zwischen März 2015 und März 2023 um 21 Prozent gestiegen – und damit um 8 Prozentpunkte stärker als in der Gesamtwirtschaft. Gleichwohl bestehen in diesen Bereichen weiterhin Personalengpässe. Denn es handelt sich um personalintensive Aufgaben der gesellschaftlichen Grundversorgung mit vergleichsweise geringen Produktivitätsfortschritten. Gründe für den steigenden Personalbedarf sind die Alterung der Gesellschaft, die Herausforderungen im Bildungssystem (Stichworte sind hier die sich verschlechternden Schulleistungen und hohe Unterstützungsbedarfe für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler) und der steigende Kinderbetreuungsbedarf von erwerbstätigen Eltern.

Um mehr Beschäftigte für diese Bereiche zu gewinnen, wurden die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung beispielsweise in der Pflege zumindest punktuell verbessert. Dennoch bestehen dort weiterhin teils gravierende Personalengpässe. Denn gerade Tätigkeiten mit engem Personenkontakt müssen in Präsenz erfolgen und erfordern häufig Schicht- und Wochenendarbeit. Wer Versorgungssicherheit bei steigender Teilzeittätigkeit und historisch vergleichsweise hohen Krankenständen garantieren will, muss zwingend zusätzliche Beschäftigte für die entsprechenden Tätigkeiten gewinnen.

Infrastrukturdefizite und eine älter werdende Erwerbsbevölkerung bremsen das Wachstum

Neben den drei genannten Gründen gibt es weitere Wachstums- und Beschäftigungshemmnisse. Allgemein bekannt ist, dass Infrastrukturdefizite die wirtschaftliche Dynamik und damit die Produktivitätsentwicklung bremsen. Während der Pandemie hatte sich die Transformation von Wirtschaft und Beschäftigung in vielen Bereichen verlangsamt. Seit dem Ende der Pandemie werden wieder vermehrt attraktive Jobs mit besseren Verdienstmöglichkeiten und höherer Produktivität angeboten. Dadurch verstärken sich aber Personalengpässe an anderer Stelle, was wiederum dort das Wachstum der Produktivität hemmen kann.

Als ein Hemmschuh für die Produktivitätsentwicklung wirkt zudem die älter werdende Erwerbsbevölkerung. Denn Ältere sind tendenziell weniger bereit, den Job zu wechseln, unter anderem weil sie in vielen Fällen mit ihrem jetzigen sicheren Job recht zufrieden sind und eher ihre Arbeitszeit etwas verkürzen wollen, aber auch weil sie seltener neue Jobangebote erhalten als Jüngere. Der in allen Altersgruppen verbreitete Wunsch nach Arbeitszeitverkürzung – Stichwort Vier-Tage-Woche – verstärkt die Personalengpässe, sofern dies nicht mit entsprechenden Produktivitätsfortschritten einhergeht.

Im Umkehrschluss heißt dies: Personalengpässe sind selbst zum Wachstumshemmnis geworden, sowohl statisch, weil die Beschäftigten in der Produktion fehlen, als auch dynamisch, weil wachstumsfördernde und produktivitätssteigernde Investitionen wegen Personalmangels nicht umgesetzt werden.

Schließlich sei ein weiterer Faktor genannt, der Produktivität „frisst“: Oftmals passen bestehende Qualifikationen nicht zu den Tätigkeitsanforderungen und Arbeitslose sind teilweise räumlich nicht so mobil, dass sie passende Stellen annehmen (können). Diese Passungsprobleme führen dazu, dass offene Stellen häufig nicht besetzt werden können.

Fazit

Bei der Problematik fehlender Arbeitskräfte und schwacher Produktivitätsentwicklung stehen wir derzeit erst am Anfang, da die Erwerbsbevölkerung bisher noch deutlich gewachsen ist. Erst im weiteren Verlauf der 2020er Jahre wird die Erwerbsbevölkerung wohl trotz positiven Wanderungssaldos tatsächlich demografiebedingt schrumpfen.  Wenn sich die Produktivitätsentwicklung nicht schnell verbessert, steht Deutschland vor einem wesentlich massiveren Arbeitskräftemangel als derzeit.

Eine besondere Herausforderung wird es sein, Arbeitsplätze mit Tätigkeiten in engem Personenkontakt in Präsenz und mit geringer Arbeitszeitsouveränität der Beschäftigten zu besetzen. Beispiele hierfür sind die großen Rekrutierungsprobleme in der Gastronomie, in Bäckereien oder in Verkehrsbetrieben. Hier muss es bessere Arbeitsbedingungen beziehungsweise einen Technologieschub geben, um drohenden Personallücken entgegenzuwirken. Diese Technologien müssen allerdings gut funktionieren und von den Beschäftigten wie von der Kundschaft als hilfreich erlebt werden, so dass sie effektiv und gerne genutzt werden. Andernfalls sind massive Einschränkungen im Dienstleistungsangebot nicht zu vermeiden.

Insbesondere Personalengpässe in der Kinderbetreuung und Pflege können Personalengpässe an anderen Stellen nochmals verschärfen, weil dann viele Erwerbspersonen ihre Kinder selbst betreuen oder ihre Angehörige selbst pflegen müssen. Damit droht uns ein sich selbst verstärkender Strudel und der Arbeitskräftemangel wird uns noch stärker einschränken als bisher schon.


Kurzfassungen dieses Beitrags sind am 26.12.2023 im Handelsblatt beziehungsweise am 17.1.2024 in der Badischen Zeitung erschienen.


Bild: CHW/stock.adobe.com;
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240110.01

Fitzenberger, Bernd (2024): Warum Arbeitskräfte trotz Rekordbeschäftigung und Rezession knapp sind, In: IAB-Forum 10. Januar 2024, https://www.iab-forum.de/warum-arbeitskraefte-trotz-rekordbeschaeftigung-und-rezession-knapp-sind/, Abrufdatum: 27. April 2024