Die Corona-Krise war eine Belastung für die gesamte Bevölkerung. Studien zeigen, dass die Lebenszufriedenheit während der Pandemie in nahezu allen Bevölkerungsgruppen abnahm. Ein Forschungsteam aus dem IAB nimmt nun junge Erwachsene genauer in den Fokus. In einem englischsprachigen Beitrag für das IAB-Forum zeigen sie auf, wie sich die Pandemie insbesondere bei jungen Arbeitslosen auf die psychische Gesundheit auswirkte. Die Redaktion hat dazu bei Hans Dietrich und Alexander Patzina nachgefragt.

Warum sind junge Arbeitslose aus Ihrer Sicht besonders betroffen von der Krise?

Portraitfoto Hans Dietrich

Dr. Hans Dietrich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich „Bildung, Qualifizierung und Erwerbsverläufe“ am IAB.

Hans Dietrich: Bei jungen Menschen ist die Arbeitslosenquote während der Pandemie stärker als in allen anderen Altersgruppen gestiegen. Junge Erwerbslose erlebten den Arbeitsmarkt als weniger aufnahmebereit, die Betriebe reduzierten vielfach die Ausbildungsangebote und die Möglichkeiten für befristete oder geringfügige Beschäftigung. Darüber hinaus waren etwa Unterstützungs- und Beratungsangebote für junge Menschen während der Pandemie nicht nur schwerer zu erreichen. Persönliche Beratung war in vielen Agenturen und Jobcentern zeitweise überhaupt nicht möglich. Dies konnte sich gerade für junge Menschen etwa mit Sprachproblemen oder geringeren Bildungskompetenzen, die sich am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn befinden, als belastend erweisen.

Wir sahen bei jungen Menschen sowohl deutliche Unterschiede bei der subjektiven Lebenszufriedenheit als auch bei den Indikatoren für Angst und Depressionen.

Wie hat sich laut Ihren Untersuchungen Arbeitslosigkeit auf die psychische Gesundheit von jungen Erwachsenen ausgewirkt?

Portraitfoto Alexander Patzina

Dr. Alexander Patzina ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich „Bildung, Qualifizierung und Erwerbsverläufe“ am IAB.

Alexander Patzina: Junge Menschen, die nicht erwerbstätig waren, waren psychisch stärker belastet als Personen im gleichen Alter, die über eine Arbeit verfügten. Das gilt für den gesamten Untersuchungszeitraum, also zwischen Januar 2021 und März 2022. Wir sahen dabei sowohl deutliche Unterschiede bei der subjektiven Lebenszufriedenheit als auch bei den Indikatoren für Angst und Depressionen, die wir als wichtige Erscheinungsformen psychischer Belastung betrachten. Junge Menschen, die sich noch in allgemeiner oder beruflicher Bildung befanden, wurden bei unserer Studie allerdings nicht berücksichtigt.

Das Auf und Ab der Inzidenzraten führte auch zu einem Auf und Ab in der Lebenszufriedenheit.

Hat sich das im Zeitverlauf der Pandemie geändert?

Dietrich: Tatsächlich spiegelte die psychische Belastung der jungen Menschen den Pandemieverlauf: Das Auf und Ab der Inzidenzraten führte auch zu einem Auf und Ab in der Lebenszufriedenheit und bei den Indikatoren für Angst und Depression. Dabei waren junge Erwerbslose insgesamt stärker betroffen als Erwerbstätige.

Patzina: Obgleich junge Erwerbslose auch während der Pandemie stärkere psychische Belastungswerte aufweisen, zeigen  unsere bevölkerungsrepräsentativen Daten, dass junge Erwerbstätige im vierten Quartal 2021 – also während des zweiten Lockdowns – stärker negativ auf den Pandemieverlauf reagiert haben als Nichterwerbstätige. Für die Gruppe der Erwerbslosen finden wir sogar einen leichten „Gewöhnungsprozess“ während der Pandemie. Das heißt, im Zeitverlauf reagierte diese Gruppe junger Menschen nicht mehr so stark auf das weitere Inzidenzgeschehen und die damit verbundenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens.

Welche Gefahren resultieren aus den psychischen Beeinträchtigungen insbesondere bei jungen Arbeitslosen?

Dietrich: Je länger jemand erwerbslos ist, desto stärker sinken seine Chancen auf eine Wiederbeschäftigung, insbesondere in qualitativ hochwertigen Jobs. Das erhöht für arbeitslose Menschen zusätzlich den psychischen Druck.

Patzina: Bei den jungen Menschen kommt neben der Verfestigung von psychischen Problemlagen zusätzlich etwas ins Spiel, das wir den arbeitsmarktbezogenen Scarring-Effekt nennen: Arbeitslosigkeit kann sich viele Jahre lang negativ auf die weitere Erwerbskarriere auswirken. Dies kommt bei Jüngeren besonders zum Tragen, da sie noch ihre gesamte Erwerbskarriere vor sich haben. Unsere gemeinsamen Forschungsarbeiten deuten zudem darauf hin, dass junge Erwerbslose, die unter psychischen Belastungen leiden, sowohl längere Suchdauern nach einer neuen Tätigkeit aufweisen als auch in schlechter bezahlten Jobs landen. Das zeigt die Gefahr, dass diese Gruppe bereits zu Beginn ihres Berufslebens vom Arbeitsmarkt abgehängt wird.

Es wäre wichtig, insbesondere die Beratungskräfte noch stärker für psychosoziale Problemlagen bei jungen Erwerbslosen zu sensibilisieren.

Was können die Arbeitsagenturen und Jobcenter tun?

Dietrich: Hier spielen die Beratungskräfte in den Arbeitsagenturen und Jobcentern eine wichtige Rolle. Den Betroffenen sollte eine frühzeitige psychologische Unterstützung ermöglicht werden. Zudem sollten mehr geeignete Förderangebote geschaffen werden, insbesondere auch niederschwellige Angebote.

Literatur

Patzina, Alexander: Dietrich, Hans: Brunner, Laura (2022): Unemployment and the mental health of young people during the second phase of the Covid-19 pandemic in Germany, In: IAB-Forum, 15.09.2022.

DOI:10.48720/IAB.FOO.20220915.02

 

Keitel, Christiane (2022): Junge Arbeitslose waren während der Pandemie psychisch besonders stark belastet, In: IAB-Forum 15. September 2022, https://www.iab-forum.de/junge-arbeitslose-waren-waehrend-der-pandemie-psychisch-besonders-stark-belastet-2/, Abrufdatum: 26. April 2024