Der Klimawandel und ein möglicher Gasmangel machen eine höhere Energieeffizienz ebenso unabdingbar wie den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien. Zugleich droht sich der Fachkräftemangel im Handwerk und in der Baubranche zum entscheidenden Hindernis für den erforderlichen Strukturwandel zu entwickeln.  Wie lassen sich angesichts dessen mehr junge Leute und erfahrene Berufstätige für einschlägige Aus- und Weiterbildungsangebote gewinnen? Diese Frage stand im Mittelpunkt eines gemeinsamen Webinars von OECD und IAB.

Auf Basis von Analysen und Erfahrungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) diskutierten Experten und Expertinnen aus Wissenschaft, Politik und Praxis am 11. November 2022, wie Politik und Betriebe mehr junge Leute und erfahrene Berufstätige für Aus- und Weiterbildungsangebote gewinnen können, die zur Steigerung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien beitragen. In der gemeinsamen Veranstaltung von OECD und IAB ging es auch um die Möglichkeiten, mithilfe der Digitalisierung die Effizienz von Nachhaltigkeitsinvestitionen im Gebäudehandwerk zu steigern und gleichzeitig die relevanten Berufe attraktiver zu machen.

Andreas Schleicher: „Mehr als die Hälfte der Jobs sind heute digitalintensiv.“

Der OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher wies während seines Impulsvortrags auf die wachsende Bedeutung der Digitalisierung in der Berufsbildung hin. Mehr als die Hälfte der Jobs seien heute digitalintensiv. Dieser Umstand müsse bei der Ausbildung junger Menschen in den Vordergrund gestellt werden. Weiterhin gelte es, „das Monopol akademischer Ausbildung zu brechen“ und eine Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Studium zu schaffen. „Wertschätzung wird letztendlich das entscheidende Maß sein, um Entscheidungen von Menschen jeder Altersgruppe entsprechend zu beeinflussen“, stellte Schleicher fest, denn „die Welt belohnt uns nicht mehr allein für das, was wir wissen, sondern für das, was wir mit dem Wissen tun können.“ Ebendiese Wertschätzung werde insbesondere auch bei der Umsetzung der grünen Transformation dringend benötigt. Schließlich werden Menschen gebraucht, die die dafür notwendigen Anlagen installieren.

Kornelia Haugg: „Die berufliche Bildung ist nicht unattraktiv geworden.“

Kornelia Haugg, Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), sieht das deutsche Bildungssystem gut aufgestellt. Verbesserungsbedarf bestünde bei der Berufsorientierung an Gymnasien, auch die Grundschulen seien bisher nicht im Fokus der Beratung. Haugg geht davon aus, dass die berufliche Bildung insgesamt nicht unattraktiv geworden ist: „Wenn wir die Zahlen ansehen, müssen wir berücksichtigen, dass die Anzahl der jungen Menschen abnimmt.“ In den Erziehungs- und Gesundheitsberufen sei zuletzt sogar ein Zuwachs an jungen Menschen zu verzeichnen gewesen. Der akademische Sektor stagniere hingegen eher, so Haugg.

Holger Schwannecke: „Handwerkliche Berufe sind der Schlüssel, um politische und klimapolitische Ziele auf die Straße zu bringen.“

Energieeffizienz, Digitalisierung und neue Mobilität kann nur mit ausreichend und gut qualifizierten Handwerkskräften gelingen. „Handwerkliche Berufe, und damit die Beschäftigten dort, sind der Schlüssel, um politische und klimapolitische Ziele auf die Straße zu bringen“, zeigte sich Holger Schwannecke überzeugt. Der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks pflichtete OECD-Bildungsdirektor Schleicher ausdrücklich bei, dass es in Deutschland an Wertschätzung für die berufliche Bildung fehle. Dies sei ein schleichender Prozess, der auch durch politische Leitentscheidungen in der Bildungspolitik initiiert worden sei. Das sei nicht hinnehmbar: „Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass es zwei Wege gibt, Karriere zu machen und Erfüllung zu finden – und beide sind gleich viel wert.“

Lutz Bellmann: „Bei der Einkommensentwicklung haben Akademiker ganz klare Vorteile.“

Prof. Dr. Lutz Bellmann, bis 2021 Leiter des Forschungsbereichs „Betriebe und Beschäftigung“ am IAB und heute Professor an der Universität Torun in Polen, zog eine gemischte Bilanz des Berufsberatungsjahres 2021/2022. Einerseits sei die Zahl der Berufsausbildungsstellen in dieser Zeit um 4 Prozent gestiegen. Dennoch habe die Covid-19-Pandemie die Situation verschärft, da insgesamt ein Rückgang von 5 Prozent zu verzeichnen sei. Die Zahl der gemeldeten Bewerber und Bewerberinnen hat im Vergleich mit den Jahren 2012 und 2013 kontinuierlich abgenommen. Auch im vergangenen Jahr war die Zahl rückläufig, wenn auch weniger stark.

Elementare Sektoren mit Anlagenmechatronikern für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik würden zwar kontinuierlich mehr Ausbildungsstellen besetzen, hätten aber gleichwohl erhebliche Besetzungsprobleme, so Bellmann. Er sprach sich daher auch für eine bessere Entlohnung von Auszubildenden aus, zumal Akademiker bei der Einkommensentwicklung ganz klare Vorteile hätten.

Florian Meyer-Delpho: „Wir haben einen massiven Mangel und ein massives Wertschätzungsproblem.“

Florian Meyer-Delpho ist Geschäftsführer und Gründer von Installion. Die Plattform dient der Vermittlung zwischen Auftraggebern und Installateuren und ist auf die Montage von Photovoltaik-Anlagen, Batteriespeichern und E-Ladestationen spezialisiert. Auch er sprach sich für mehr Wertschätzung für handwerkliche Tätigkeiten aus. Seit Februar 2022 würden ihn viele Anfragen zum Aufbau von Photovoltaikanlagen erreichen. Der Mangel an qualifizierten Fachkräften sei jedoch enorm. Dafür müsse eine Lösung gefunden werden.

Meyer-Delpho schlug vor, geringer Qualifizierte mit pragmatischen Ausbildungen schnell in Fachkräftetätigkeiten zu bringen. Die meisten Betriebe in diesem Bereich haben nach seiner Einschätzung zwischen drei und acht Mitarbeiter. Damit sei die Branche fragmentiert und könne sich entsprechende Fortbildungen nicht leisten – hier seien auch die Ministerien in der Verantwortung, Unterstützung zu leisten. Auch durch Zuwanderung könne die Lage etwas entschärft werden.

Weitere Informationen

Einen Videomitschnitt der Veranstaltung finden Sie auf dem OECD-Blog.

doi: 10.48720/IAB.FOO.20230113.01

Kaltwasser, Lena (2023): Berufsbildung für die „Grüne Transformation“, In: IAB-Forum 13. Januar 2023, https://www.iab-forum.de/berufsbildung-fuer-die-gruene-transformation/, Abrufdatum: 26. April 2024