Das Netzwerk der europäischen Arbeitsmarktforschungsinstitute (ELMI) eröffnete am 30. und 31. Oktober 2023 seine erste Konferenz in Luxemburg. Die Veranstaltung brachte national und international führende Forschende aus den Bereichen Arbeitsökonomie und Sozialwissenschaften zusammen. Im Fokus des Programms standen die Herausforderungen des digitalen, grünen und sozialen Wandels für den Arbeitsmarkt, für die Gesellschaft sowie für Aus- und Weiterbildung. 

Das neue Netzwerk ELMI fördert die Vertiefung multidisziplinärer Forschungskooperationen und den Austausch bewährter Verfahren im Bereich Datenmanagement und Datenzugang. Zudem setzt sich ELMI das Ziel, die Diskussion mit politischen Entscheidungstragenden und Interessenvertretenden sowie den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis zu stärken.

Die diesjährige Konferenz präsentierte Arbeiten von international renommierten Forschenden, welche die zukünftigen Veränderungen durch Digitalisierung und Robotisierung analysierten. In sechs Workshops wurden die Themen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet.

Neben Forschenden der Mitbegründer von ELMI, dem Luxemburger Institut für Sozioökonomische Forschung (LISER) und dem Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB), tauschten auch Referierende zahlreicher anderer führender europäischer Forschungsinstitute ihre Ergebnisse am Konferenzort in der Halle des Poches à Fonte in Esch-sur-Alzette aus.

Prof. Dr. Christina Gathmann: Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) ist in der Wirtschaft weiter verbreitet als der Einsatz von Robotern

Prof. Dr. Christina Gathmann

Prof. Dr. Christina Gathmann, Leiterin der Abteilung “Arbeitsmarkt” am Luxemburger Institut für Sozioökonomische Forschung (LISER)

In ihrem Eröffnungsvortrag stellte Prof. Dr. Christina Gathmann, Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt am diesjährigen Gastgeber-Institut LISER, eine neue Methode zur Messung des Einsatzes von Robotern und Künstlicher Intelligenz (KI) durch eine automatisierte, auf maschinellem Lernen basierende Auswertung von Patentdaten vor.

Die Patentdaten werden mit Arbeitsmarktdaten für Deutschland verknüpft, um die Auswirkungen von Robotern und KI auf Berufs-, Unternehmens-, Regional- und Individualebene zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigen, dass der Einsatz von KI seit 2015 deutlich zugenommen hat und in einem viel breiteren Spektrum von Branchen stattfindet als der Einsatz von Robotern. Aufgrund seiner produktivitätssteigernden Wirkung regt der KI-Einsatz die Nachfrage nach Arbeit an, ersetzt aber auch Routinetätigkeiten und Arbeitsplätze, die ein mittleres Qualifikationsniveau erfordern. Insgesamt deuten die Ergebnisse auf einen starken Automatisierungseffekt der KI hin, der auch die Produktivität und damit die Löhne der verbleibenden Beschäftigten erhöhen kann.

Nicolas Schmit: Qualifikationen sind dieses Jahr das zentrale Thema

Nicolas Schmit

Nicolas Schmit, EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte

Nicolas Schmit, EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte,  schickte eine Videobotschaft. Darin betonte er, dass der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften auf dem europäischen Arbeitsmarkt das drängendste Problem des Jahres sei. Der Aufstieg der künstlichen Intelligenz und der “grünen” Fähigkeiten habe bereits jetzt erhebliche Auswirkungen auf den europäischen Arbeitsmarkt , die sich noch verstärken werden.

Prof. David Hémous, PhD: Wie kann die Richtung der Innovation die Arbeits- und Energiemärkte beeinflussen?

Prof. David Hémous

Prof. David Hémous, PhD, UBS Center for Economics in Society an der Universität Zürich

In seiner Grundsatzrede warf Prof. David Hémous, PhD, vom UBS Center for Economics in Society an der Universität Zürich die Frage auf, wie die Richtung der Innovationen die Arbeits- und Energiemärkte gestalten könnte. Er zeigte, dass die Richtung der Innovation endogen ist und durch politische Anreize geformt wird – obwohl er auch betonte, dass ein stark gerichteter, politikbasierter Ansatz zur Innovation ineffizient sein kann.

Auf die Begrüßungs- und Hauptvorträge folgten Podiumsdiskussionen zu verschiedenen Themen wie Migration, Arbeitnehmende, Qualifikationsanpassungen und den Auswirkungen von Qualifikationen auf Unternehmen.

Prof. Bernd Fitzenberger, PhD: Fachkräftemangel, demografischer Wandel, Bildungsentscheidungen und Matching auf dem Berufsbildungsmarkt

Prof. Bernd Fitzenberger

Bernd Fitzenberger, PhD, Direktor des IAB und Professor an der FAU Nürnberg

Bernd Fitzenberger, PhD, Direktor des IAB und Professor an der FAU Nürnberg, thematisierte den Rückgang der betrieblichen Berufsausbildung in Deutschland und seine Ursachen. Zwischen 2009 und 2021 verringerte sich die Zahl der Ausbildungsanfängerinnen und -anfänger um 16 Prozent. Dieser Trend ist mit einem stärkeren Rückgang der Bewerberinnen und Bewerber im Vergleich zur Zahl der offenen Lehrstellen verbunden. Demografische Veränderungen, die zu einem Rückgang der Kohortengröße führten, spielen hier eine große Rolle.

Nicht zuletzt trägt auch der wachsende Anteil von Jugendlichen mit einem höheren Schulabschluss und ein Rückgang der Einstiegsquote in die Lehre bei einem bestimmten Schulabschluss zu dieser Entwicklung bei. Darüber hinaus bewies Fitzenberger, dass die „Matching-Effizienz” auf dem Lehrstellenmarkt im Laufe der Zeit gesunken ist. Genauer gesagt ist es unwahrscheinlicher geworden, dass eine angebotene Lehrstelle mit einem Bewerbenden für einen bestimmten Beruf in einer bestimmten Region besetzt wird.

Podium: Die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen von Qualifikationslücken und-defiziten

Dr. Peter Spittal von der University of Bristol stellte eine neue empirische Messung der arbeitnehmerspezifischen Arbeitsmarktchancen vor. Mit diesem Ansatz lässt sich das Ausmaß messen, in dem Arbeitnehmende in der Lage sind, in verschiedene Berufszweige zu wechseln – je nachdem, wie gut ihre Berufserfahrung zu verschiedenen Arten von Arbeitsplätzen passt. So können Schlüsselqualifikationen ermittelt werden, die die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen oder behindern.

Hiromi Yumoto

Hiromi Yumoto, Universität Birmingham

Hiromi Yumoto von der Universität Birmingham präsentierte neue Erkenntnisse über die Auswirkungen firmenspezifischer Lohnprämien auf das Lohngefälle zwischen Flüchtlingen und Einheimischen. Ihre Forschungsergebnisse zeigen, dass Flüchtlinge im Vergleich etwa die Hälfte der Löhne von einheimischen Arbeitnehmenden verdienen. Diese Lohnunterschiede sind in erster Linie auf individuelle Merkmale zurückzuführen.

Die Unternehmenssortierung (d. h. Unterschiede zwischen den Unternehmen) machen hingegen 14 Prozent der Lohnunterschiede zwischen Einheimischen und Flüchtlingen aus. Dies weist auf mögliche Diskrepanzen zwischen dem Qualifikationsniveau von Flüchtlingen und ihren Löhnen hin, die auf ihren begrenzten Zugang zu besserbezahlten Unternehmen zurückzuführen sind. Denn bei einem bestimmten Qualifikationsniveau arbeiten Flüchtlinge eher in Unternehmen mit einem niedrigeren Gesamtlohnniveau. Folglich könnten Flüchtlinge eine höhere Rendite für ihre Qualifikationen erzielen, wenn sie besseren Zugang zu besser bezahlten Unternehmen hätten.

Dr. Susanne Forstner

Dr. Susanne Forstner, Institut für Höhere Studien in Wien

Dr. Susanne Forstner vom Institut für Höhere Studien in Wien sprach über Lohnunterschiede aufgrund von Erwartungen und Einstellungen zur Arbeit – insbesondere pessimistischere Erwartungen an den Arbeitsmarkt in ostdeutschen Regionen im Vergleich zu westdeutschen Regionen. Arbeitnehmende in Ostdeutschland neigen häufiger zu der Annahme, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren könnten und nicht in der Lage wären, eine neue Beschäftigung zu finden. Aufgrund dieser Befürchtung könnten die Löhne niedriger sein und weniger Arbeitsplätze geschaffen werden. Eine positivere oder sogar realistischere Einschätzung der persönlichen Chancen und Möglichkeiten könnte nach Ansicht von Forstner das Gesamteinkommen der Arbeitnehmer im Laufe ihres Lebens erhöhen.

Panel: Qualifikationsbedarf der Unternehmen und Technologieeinsatz

Dr. Fabien Petit

Dr. Fabien Petit, University College London

Dr. Fabien Petit vom University College London beleuchtete eine neue Methode zur Bewertung der Anzahl von Online-Jobangeboten im Zusammenhang mit digitalen Technologien in ganz Europa.

Dr. Terry Gregory vom LISER präsentierte die Ergebnisse seines Forschungspanels, die zeigen, dass der Gesamtabbau von Routinejobs in Deutschland durch die Digitalisierung und die Einführung neuer Technologien vorangetrieben wird. Er betonte zudem, dass die größten der fortschrittlichsten Unternehmen die Transformation der Arbeit in allen Sektoren vorantreiben, da sie Weiterbildungsmaßnahmen und andere Anpassungen nutzen.

Dr. Boris Ivanov

Dr. Boris Ivanov, IAB

Dr. Boris Ivanov vom IAB zeigte anhand von Mikrozensus-Daten ab den 1970er Jahren, dass Arbeitnehmende ihre Arbeitsweise häufig nicht an die sich wandelnden Anforderungen des Arbeitsmarktes anpassen. Diese mangelnde Anpassung kann es erschweren, wieder in den Arbeitsmarkt zurückzufinden, wenn sie ihren Arbeitsplatz verloren haben.

Panel: Künstliche Intelligenz und Qualifikationsbedarf

Dr. Michael Stops vom IAB beleuchtete die frühe Phase der KI-Einführung in Deutschland. Er zeigte, dass Betriebe mit KI-Fachkräftebedarf in den Jahren 2015 bis 2019 einen etwas größeren Beschäftigungszuwachs bei hochkomplexen Tätigkeiten aufwiesen als Betriebe ohne KI-Fachkräftebedarf. Außerdem stellte er für denselben Beobachtungszeitraum fest, dass Betriebe mit AI-Qualifikationsbedarf ihre Nachfrage nach anderen als AI-Qualifikationen in größerem Umfang reduziert haben.

Dr. Eduard Storm vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung sprach über eine spätere Phase der KI-Einführung in Deutschland von 2017 bis 2021. Er kam zu dem Schluss, dass die Löhne in Regionen mit einer größeren Nachfrage nach KI-bezogenen Qualifikationen höher sind.

Dr. Aida Garcia Lazaro von der University of Bath erörterte deskriptive Evidenzen für die Verbreitung von Qualifikationsanforderungen im Zusammenhang mit AI-Technologien und Cybersicherheit im Vereinigten Königreich, insbesondere für den verarbeitenden Sektor, wobei die Ergebnisse positive Trends bestätigen.

Ausblick

Das ELMI-Netzwerk wird weiterhin die Auswirkungen des digitalen, grünen und sozialen Wandels auf den Arbeitsmarkt und die zur Bewältigung dieser Herausforderungen erforderlichen Qualifikationen untersuchen. So wird das Thema „Qualifikationen” beispielsweise auf der nächsten ELMI-Konferenz 2024 im Fokus stehen. Am 1. Und 2. Oktober 2024 kommen die ELMI-Institute in Brüssel zusammen und präsentieren den politischen Entscheidungstragenden und der Europäischen Kommission die neuesten politikrelevanten Forschungsergebnisse zum Thema „Sicherung qualifizierter Arbeitskräfte in Europa”. Die nächste ELMI-Veranstaltung wird sich dagegen mit einem anderen Thema befassen: Am 31. Januar 2024 wird der ELMI Policy Round Table über die „Arbeitsmarktintegration ukrainischer Flüchtlinge” diskutieren. Mehr Informationen dazu finden Sie auf der ELMI-Website.

 

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20231208.02

Winters, Jutta; Schulz, Vincent (2023): ELMI-Konferenz: Digitaler, grüner und sozialer Wandel auf den europäischen Arbeitsmärkten, In: IAB-Forum 8. Dezember 2023, https://www.iab-forum.de/elmi-konferenz-digitaler-gruener-und-sozialer-wandel-auf-den-europaeischen-arbeitsmaerkten/, Abrufdatum: 27. April 2024