Von der Covid-19-Pandemie waren Über-60-Jährige mehrfach betroffen. Einerseits wegen des höheren Risikos für einen schweren Infektionsverlauf. Andererseits wegen des pandemiebedingten Einbruchs der Minijobs, die gerade für ältere Beschäftigte und Rentenbeziehende eine häufige Erwerbsform darstellen. Annette Trahms und Basha Vicari haben in einer aktuellen Studie die Auswirkung der Pandemie auf die Erwerbs- und Lebenslagen der 60- bis 70-jährigen Beschäftigten untersucht. Die Redaktion des IAB-Forum hat dazu bei ihnen nachgefragt.

Frau Trahms, Frau Vicari, die Corona-Krise war ja, auch aufgrund der Kontaktbeschränkungen, für viele Menschen eine Zeit des unfreiwilligen Rückzugs. Hat sie die Über-60-Jährigen veranlasst, auch den Arbeitsmarkt verstärkt zu verlassen?

Portraitbild von Dr. Basha Vicari

Dr. Basha Vicari ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich “Bildung, Qualifizierung und Erwerbsverläufe“ am IAB und Leiterin der Projektgruppe “Nationales Bildungspanel (NEPS)”.

Basha Vicari: In unserer Studie betrachten wir die Erwerbs- und Lebenslagen der Über-60-Jährigen im Mai 2020, also gegen Ende des ersten Lockdowns. Zu der Zeit gab es in der Tat im privaten Bereich einen massiven Rückzug, viele Menschen waren von Sorgen und Ängsten geplagt. Wir sehen deshalb bei den Älteren durchaus pandemiebedingte freiwillige und unfreiwillige Rückzüge vom Arbeitsmarkt, allerdings sind das eher Einzelfälle. Gleichzeitig sind in einigen überwiegend systemrelevanten Branchen ehemalige Beschäftigte aus dem Ruhestand zurückgeholt worden. Wir sehen sogar einen ganz leichten Beschäftigtenzuwachs bei älteren Beschäftigten und können deshalb von einer insgesamt stabilen Erwerbslage sprechen.

Also haben die Arbeitsmarktfolgen der Infektionsschutzmaßnahmen die älteren Beschäftigten insgesamt nicht härter getroffen als die übrige Erwerbsbevölkerung?

Vicari: Eine bestimmte Gruppe von Rentnerinnen und Rentner hat es leider schon stärker getroffen: Die Minijobbenden. Viele der Älteren, die im Ruhestand etwas hinzuverdienen wollen oder müssen, nutzen diese Erwerbsform. Gerade auf die Minijobs haben sich jedoch die wirtschaftlichen Folgen der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen besonders stark ausgewirkt. Dazu kommt, dass Minijobbende kein Kurzarbeitergeld erhalten haben. Die Schließung ganzer Branchen wie Einzelhandel oder Gastronomie haben sie deshalb besonders hart gespürt, vor allem wenn sie auf den Hinzuverdienst angewiesen waren. Das hat natürlich alle Minijobbenden getroffen, nicht nur die Älteren. Für ältere Beschäftigte ist es aber deutlich schwieriger, nach dem Verlust eines Minijobs wieder in den Arbeitsmarkt zurück zu kehren.

Finanzielle Sorgen aufgrund der Corona-Krise sehen wir vor allem bei Älteren aus Haushalten mit niedrigem Einkommen.

Gibt es weitere Themen, von denen sich die erwerbstätigen Älteren durch die Corona-Krise besonders belastet fühlten?

Portrait Annette Trahms

Annette Trahms ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich “Bildung, Qualifizierung und Erwerbsverläufe“ am IAB.

Annette Trahms: Da Ältere zur besonders vulnerablen Gruppe gehörten, haben wir uns angeschaut, ob sie sich aufgrund der Pandemie im besonderen Maße Sorgen um ihre eigene Gesundheit machten. Tatsächlich sehen wir, dass sich bei den 60-70-Jährigen vor allem die Personen stärker um ihre Gesundheit gesorgt haben, die auch ihren allgemeinen Gesundheitszustand als schlecht einschätzten.

Ähnliche Verstärkungseffekte sehen wir für finanzielle Sorgen aufgrund der Corona-Krise. Die größten finanziellen Sorgen machten sich in dieser Zeit Ältere aus Haushalten mit niedrigem Einkommen. Dass Hinzuverdienstmöglichkeiten durch die Minijobs für einen Teil der Älteren weggefallen sind, hat sicherlich den finanziellen Druck in diesen Haushalten verstärkt.

Ältere haben im Mai 2020 deutlich häufiger und mit mehr Arbeitsstunden im Home-Office gearbeitet als vor der Pandemie.

Eine der wichtigsten Maßnahmen des Infektionsschutzes war das Arbeiten von zu Hause aus. Die Über-60-Jährigen gehören, wie Sie gerade sagten, in der Pandemie zur besonders vulnerablen Gruppe. Wie haben sie das Home-Office genutzt?

Trahms: Ältere haben im Mai 2020 tatsächlich deutlich häufiger und mit mehr Arbeitsstunden im Home-Office gearbeitet als vor der Pandemie – zumindest, wenn sie die Möglichkeit dazu hatten. Personen in Minijobs hatten dies wesentlich seltener als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Auch die Branche spielte eine Rolle: Im Handel, Transport und Gastgewerbe, aber auch im Gesundheits- und Sozialwesen gab es zum Beispiel vergleichsweise wenig Möglichkeiten fürs Home-Office.

Was übrigens interessant ist: In unseren Analysen sehen wir nicht, dass die Älteren, die angegeben haben, sich vermehrt Sorgen um die eigene Gesundheit zu machen, das Home-Office häufiger genutzt haben als andere – obwohl diese Maßnahme ja vorrangig dem Infektionsschutz gedient hat.

Immer mehr Menschen wollen oder müssen auch im höheren Alter arbeiten.

Inzwischen ist der betriebliche Bedarf an Arbeitskräften wieder deutlich gestiegen, wir sehen in vielen Branchen sogar eine Arbeitskräfteknappheit. Welche Lehren können Politik und Betriebe aus der Pandemie ziehen, wie sie Ältere länger in Beschäftigung halten könnten?

Vicari: Insgesamt geht die Entwicklung schon in die richtige Richtung. Viele Betriebe haben das Potenzial der älteren Beschäftigten längst erkannt, und zwar nicht nur, um die Fachkräftelücke zu schließen, sondern auch weil Ältere oft über spezifisches Know-How verfügen und dieses an jüngere Beschäftige weitergeben können. Dass sich während der Pandemie der positive Beschäftigungstrend der vorpandemischen Jahre bei den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Über-60-Jährigen fortgesetzt hat, ist ein gutes Zeichen dafür.

Für diesen stetigen Beschäftigungszuwachs gibt es zwei einfache Gründe: Einerseits kommen die geburtenstarken und beschäftigungsaffinen Jahrgänge nach und nach in dieses Alter. Andererseits steigt das gesetzliche Renteneintrittsalter kontinuierlich an. Wer heute also die 60 überschreitet, geht im Schnitt später in Rente als frühere Jahrgänge.

Das ist aber kein Selbstläufer, oder?

Vicari: Nein. Die Betriebe und die Politik müssen sich weiterhin bemühen, die Menschen so lange wie möglich in Erwerbstätigkeit zu halten. Denn obwohl immer mehr Menschen auch im höheren Alter arbeiten wollen oder müssen, lag das durchschnittliche Renteneintrittsalter zuletzt bei etwa 64 . Und die, die nebenher weiter erwerbstätig sind, machen trotz steigender Tendenz nur einen kleinen Teil der Rentnerinnen und Rentner aus.

Wir dürfen bei all dem auch die Menschen nicht vergessen, die aktuell vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden, etwa weil sie gesundheitliche Probleme haben. Frühzeitige gesundheitliche Prävention am Arbeitsplatz kann ihnen helfen, länger fit im Job zu bleiben. Auch durch flexible Arbeitszeiten, Home-Office oder maßgeschneiderte Weiterbildungen können Betriebe dafür sorgen, Über-60-Jährige zu halten. Nicht weniger ist die Politik gefragt. Gerade die Gruppe, die ihren Beruf nicht bis zum gesetzlichen Renteneintritt ausüben kann, könnten wir durch gezielte Umschulungs- und Weiterbildungsangebote dabei unterstützen, eine neue, dem Gesundheitszustand angepasste Tätigkeit zu finden.

 

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doi: 10.48720/IAB.FOO.20230404.01

 

 

 

Keitel, Christiane (2023): „Ältere Minijobbende hat die Pandemie besonders hart getroffen“, In: IAB-Forum 4. April 2023, https://www.iab-forum.de/aeltere-minijobbende-hat-die-pandemie-besonders-hart-getroffen/, Abrufdatum: 26. April 2024