Wirtschaftliche Krisen führen regelmäßig zu einem Defizit im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit, weil die Beitragseinnahmen zurückgehen und die Ausgaben wegen höherer Arbeitslosenzahlen und vermehrter Kurzarbeit steigen. Deshalb soll in guten Zeiten eine Reserve gebildet werden, mit der ein solches Defizit finanziert werden kann. Angesichts der Erfahrungen aus der Corona-Krise wird hier die notwendige Höhe der Rücklage diskutiert.

Die Corona-Krise führte infolge immenser Kurzarbeitszahlen und steigender Arbeitslosigkeit zu großen Defiziten im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit (BA). So stieg die Zahl der Personen in Kurzarbeit von 380.000 im Januar 2020 auf über sechs Millionen im April 2020. Die Zahl der Arbeitslosen erhöhte sich weniger dramatisch von 2,32 Millionen im August 2019 auf 2,96 Millionen im August 2020; die Arbeitslosenquote stieg im gleichen Zeitraum von 5,2 auf 6,4 Prozent.

Einen bedeutenden Teil des hierdurch entstandenen Defizits konnte die BA durch die zuvor aufgebaute Rücklage abdecken. Dennoch musste der Bund in der Corona-Krise mit Zuschüssen im zweistelligen Milliardenbereich einspringen, um den Haushalt der BA auszugleichen. Den bisher höchsten Stand erreichte die Rücklage Ende 2019 mit 25,8 Milliarden Euro. Allerdings waren die Defizite der BA in den Jahren 2020 und 2021 mit insgesamt 49,1 Milliarden Euro fast doppelt so hoch.

Die Rücklage der BA trägt erheblich zur Stabilisierung der Konjunktur bei

Die Corona-Krise hat gezeigt: Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Einbrüche kommt der Rücklage in der Arbeitslosenversicherung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Denn auf diese kann in Rezessionen zurückgegriffen werden, was erheblich zur Stabilisierung der Konjunktur beiträgt (lesen Sie dazu den IAB-Kurzbericht 3/2017 von Karl Heinz Hausner und Enzo Weber).

Dadurch wird zudem die eigenständige Finanzierungs- und Handlungsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung als Teil des deutschen Sozialversicherungssystems sichergestellt. Diese wäre ohne Rücklage in jeder Rezession auf ein Darlehen des Bundes angewiesen. Sie müsste die folgende Aufschwungphase darauf verwenden, die Darlehen Schritt für Schritt zurückzuzahlen. Damit wäre die BA mehr oder weniger dauerhaft verschuldet.

Bislang empfiehlt das IAB eine Rücklage in Höhe von 0,65 Prozent des BIP

Im oben erwähnten Kurzbericht hatte das IAB bisher einen Zielwert für die Rücklage von 0,65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) empfohlen. Dieser Wert entspricht dem mittleren konjunkturbedingten Defizit des BA-Haushalts in den drei Rezessionen seit der Wiedervereinigung (1993, 2002 bis 2004 und 2008 bis 2009). Damit soll die BA in einer typischen Rezession ihr Defizit durch Auflösung dieser Rücklage finanzieren können. Der Ansatz bezieht sich dabei auf deutliche Rezessionen mit stark erhöhten Ausgaben beziehungsweise verringerten Einnahmen der BA.

Mit der Corona-Krise ist nun eine weitere Rezession hinzugekommen. In den Corona-Jahren 2020 und 2021 betrug das kumulierte Defizit der BA knapp 50 Milliarden Euro. Dies entsprach 1,41 Prozent der Wirtschaftsleistung. Der bisherige Höchstwert lag bei 0,93 Prozent des BIP in der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 bis 2010 (siehe Abbildung). Würde man die Corona-Krise in den Berechnungen des IAB berücksichtigen, so wäre eine Erhöhung der notwendigen Reserve auf 0,83 Prozent des BIP anzustreben. Statt bisher 25 wären dann Reserven von circa 32 Milliarden Euro notwendig.

Die Abbildung zeigt die Entwicklung der Ein- und Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit von 2008 bis 2022. Zugleich ist dargestellt, wie stark der BA-Haushalt zur Stabilisierung der Konjunktur beiträgt. Diese war in den Krisenjahren 2009 und 2010 sowie 2020 und 2021 besonders stark und erreichte in der Spitze bis zu 0,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Dies war im Jahr 2020. In Zeiten guter Konjunktur kam es hingegen zu einem Einnahmeüberschuss, was sich leicht dämpfend auf die Konjunktur auswirkte. Quelle: © Haushaltsdaten der Bundesagentur für Arbeit

Der Ansatz des IAB richtet das Rücklagenziel am Defizit in einer typischen deutlichen Rezession aus. Zu bewerten ist daher, ob die Covid-19-Pandemie überhaupt in die Berechnung eingehen sollte. Es handelte sich hier um eine sehr spezielle Krise mit großflächigen Schließungen von Branchen, die einen dramatischen Anstieg der Kurzarbeitszahlen zur Folge hatten: Auf dem Höhepunkt der Pandemie bezogen sechs Millionen Personen Kurzarbeitergeld – mehr als viermal so viel wie während der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 bis 2010. Damit unterscheidet sich die coronabedingte Rezession von allen vorherigen Rezessionen.

Es lässt sich aber auch argumentieren, dass außergewöhnliche Krisen mit ganz verschiedenen spezifischen Ursachen immer wieder auftreten können und daher alle Rezessionen der vergangenen Jahrzehnte unabhängig von ihrer Ursache berücksichtigt werden sollten. Mit der Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hätte beispielsweise eine weitere außergewöhnliche Wirtschaftskrise hinzukommen können, falls es zu einer umfassenden Mangellage gekommen wäre.

Eine Rücklage für absolute Extremfälle wäre nicht sinnvoll

Somit lässt sich die Frage nach der optimalen Höhe der Rücklage nicht eindeutig beantworten, weil Dauer und Tiefe künftiger Rezessionen nicht bekannt sind und nur aus den Erfahrungen der Vergangenheit Schlussfolgerungen gezogen werden können. Einerseits erscheint es nicht sinnvoll und praktikabel, eine Rücklage an einem absoluten Extremfall wie einer weltweiten Pandemie auszurichten. Andererseits gingen die letzten beiden Rezessionen in Deutschland mit deutlich höheren Finanzierungsdefiziten (0,93% in den Jahren 2008 bis 2010 und 1,41% des BIP in den Jahren 2020 und 2021) einher als die Rezessionen früherer Jahre.

Ob man die coronabedingte Rezession in die Berechnung der anzustrebenden BA-Rücklage einbezieht, ist also eine Entscheidung, die sich nur unter erheblicher Unsicherheit treffen lässt. Angesichts der Erfahrungen mit der Corona-Krise sollte der bisherige Wert von 0,65 Prozent des BIP jedoch zumindest als Untergrenze für das Rücklagenziel der BA verstanden werden. Inwieweit man darüber in einem Bereich bis 0,83 Prozent hinausgeht, hängt von dem Gewicht ab, das man Rezessionen zuschreibt, die der Corona-Krise ähneln.

Literatur

Bruckmeier, Kerstin; Hausner, Karl Heinz; Weber, Enzo (2020): Arbeitslosenversicherung als Konjunkturstabilisator. Folgen der Corona-Krise für den Haushalt der Bundesagentur für Arbeit. Soziale Sicherheit, Jg. 69, H. 7, S. 248-252.

Hausner, Karl Heinz; Weber, Enzo (2017): Einnahmen und Ausgaben der Arbeitslosenversicherung: BA-Haushalt stabilisiert die Konjunktur. IAB-Kurzbericht Nr. 3.

Weber, Enzo (2017): Arbeitslosenversicherung: … dann hast Du in der Not. Wirtschaftsdienst, 97, 10, S. 685-686.

In aller Kürze

  • Rezessionen erfordern eine ausreichende Rücklage, um Defizite im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit abfedern zu können.
  • Die bisherige Empfehlung des IAB sah eine Rücklage in Höhe von 0,65 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) vor, was zurzeit etwa 25 Milliarden Euro entspricht. Diese orientierte sich am Durchschnitt der Rezessionen seit der Wiedervereinigung (ohne Corona-Krise).
  • Würde man die Corona-Krise in diese Berechnungslogik ebenfalls einbeziehen, ergäbe dies eine Erhöhung des Rücklagenziels auf 0,83 Prozent des BIP und damit aktuell auf etwa 32 Milliarden Euro.
  • Ob man allerdings die Corona-Krise mit ihren flächendeckenden Schließungen in diese Berechnung einbeziehen sollte, ist eine Frage, die politisch und unter Unsicherheit entschieden werden muss.
  • Zumindest sollte der bisherige Wert von 0,65 Prozent des BIP künftig eine Untergrenze für die Höhe der anzustrebenden Rücklage sein.

Bild: patpitchaya/stock.adobe.com

 

doi: 10.48720/IAB.FOO.20230306.01

Hausner, Karl Heinz; Weber, Enzo (2023): Braucht die Bundesagentur für Arbeit nach den Erfahrungen der Corona-Krise höhere Rücklagen?, In: IAB-Forum 6. März 2023, https://www.iab-forum.de/braucht-die-bundesagentur-fuer-arbeit-nach-den-erfahrungen-der-corona-krise-hoehere-ruecklagen/, Abrufdatum: 30. April 2024