Die neue Bundesregierung plant, eine sogenannte Ausbildungsgarantie einzuführen. Eine solche existiert bereits seit einigen Jahren in Österreich. Dort werden rund 8 Prozent aller Auszubildenden auf Staatskosten rein schulisch oder in Zusammenarbeit mit den Betrieben ausgebildet. Auf einer gemeinsamen Videokonferenz des IAB und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) diskutierten Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis, ob und inwieweit sich das österreichische Modell auch als Blaupause für Deutschland eignet.

Die neue Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag eine Ausbildungsgarantie einführen, die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglicht. Damit soll die duale Ausbildung in Deutschland gestärkt werden, wie Leonie Gebers, Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, bei einem gemeinsamen Webinar des IAB und des OECD Berlin Centre am 24. Januar 2022 erklärte. Dies nicht nur wegen der Auswirkungen der Pandemie, sondern auch aufgrund der bereits zuvor bestehenden Probleme im Bereich der dualen Ausbildung und der demografischen Entwicklung.

Die abnehmende Zahl junger Menschen verschärfe die bereits bestehenden Fachkräfteengpässe: „Wir müssen schauen, dass möglichst alle jungen Menschen eine qualifizierte Berufsausbildung bekommen“, betonte Gebers. Außerdem hätten zwei Drittel der Menschen in der Grundsicherung keine abgeschlossene Berufsausbildung.

Unterschiedliche nationale Strategien bei der Förderung von Jugendlichen mit schwachen Grundkompetenzen

Der Fokus ist dabei insbesondere auf die gezielte Unterstützung von Jugendlichen mit schwachen Grundkompetenzen zu richten. Eine Herausforderung, die sich nicht nur für Deutschland, sondern auch für andere Länder stellt. Dies zeigte El Iza Mohamedou, Leiterin des OECD Skills Centre, in ihrem Impulsvortrag auf. Darin nahm sie auch die unterschiedlichen nationalen Strategien im Umgang mit dieser Problematik in den Blick. Demnach zählen Deutschland, die Schweiz und Österreich zu den Ländern mit dem höchsten  Anteil an Schülern und Schülerinnen der Sekundarstufe II, die sich in kombinierten schulischen und betrieblichen Berufsausbildungsgängen  befinden.

Gleichwohl gibt es zwischen diesen drei Ländern mit dualem Ausbildungssystem neben vielen Gemeinsamkeiten auch Unterschiede im Detail. So kennt Österreich, ähnlich wie Deutschland, beispielsweise das Instrument der Berufsvorbereitenden Maßnahmen. Allerdings setzt Österreich stärker als Deutschland auf zusätzliche gezielte Subventionen und duale Ausbildungsmodelle mit Sonderregelungen, die sogenannte überbetriebliche Ausbildung.

Die Ausbildungsgarantie in Österreich zielt stets auf einen Übergang in betriebliche Ausbildung

In Österreich gibt es zudem, und hier dürfte wohl einer der deutlichsten Unterschiede zum deutschen System liegen, bereits seit 2008 eine Ausbildungsgarantie für bis zu 18-Jährige. Seit 2017 gilt diese bis zum Alter von 25 Jahren. Martin Kocher, vormalig Ökonomie-Professor an der Universität Wien und seit Anfang 2021 parteiloser Bundesminister für Arbeit in Österreich, zeigte sich in seinem Vortrag überzeugt, dass die Ausbildungsgarantie die duale Ausbildung stärke, die Sicherung des Fachkräftebedarfs unterstütze und auch schwächeren Jugendlichen den Zugang in eine Berufsausbildung ermögliche.

Das Angebot einer überbetrieblichen Ausbildung durch den Arbeitsmarktservice ziele stets auf einen Übergang in eine betriebliche Ausbildung, so Kocher. Tatsächlich kommt es nach seiner Einschätzung schon während der überbetrieblichen Ausbildung durch die Einbindung von Kooperationsbetrieben häufig zu einem Übergang in eine betriebliche Ausbildung.

In Deutschland können viele private Ausbildungsstellen nicht besetzt werden

IAB-Direktor Professor Bernd Fitzenberger wies darauf hin, dass die Anzahl der gemeldeten Ausbildungsstellen im aktuellen Ausbildungsjahr nach Angaben der Statistik der Bundesagentur für Arbeit um 3,6 Prozent zurückgegangen ist, im vorherigen Ausbildungsjahr um 7,3 Prozent. Noch stärker ist der Einbruch bei den gemeldeten Bewerberinnen und Bewerbern: Im aktuellen Ausbildungsjahr sank deren Zahl um 8,3 Prozent, ein Jahr zuvor um 7,6 Prozent.

Im September 2021 seien nach den Ergebnissen der IAB-Befragung „Betriebe in der Covid-19-Krise“ 39 Prozent aller von den privaten Betrieben angebotenen Ausbildungsstellen nicht besetzt gewesen, so Fitzenberger. Deshalb seien zusätzliche Angebote an berufsvorbereitenden Maßnahmen und überbetrieblichen Ausbildungsplätzen sinnvoll, wobei die Maßnahmen möglichst betriebsnah gestaltet werden müssten, um mehr Jugendliche an eine betriebliche Ausbildung heranzuführen.

Zugleich müsse ein fließender Übergang aus den Maßnahmen in eine betriebliche Ausbildung sichergestellt werden, erklärte Fitzenberger. Eine Ausbildungsgarantie, die die Betriebe eng einbindet, könne daher durchaus mehr Jugendliche für eine duale Ausbildung gewinnen.

Dr. Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, sieht die Einführung einer Ausbildungsgarantie kritisch. Da die Zahl der unbesetzten Lehrstellen größer sei als die der unversorgten Jugendlichen (anders als dies bis vor kurzem in Österreich der Fall war), sei sie schlicht unnötig und berge zudem die Gefahr einer Abkopplung vom Markt. Aus Dercks‘ Sicht reicht der bestehende Instrumentenkasten im Prinzip aus. Allerdings könnte die Mobilität der Auszubildenden, etwa durch Angebote wie ein Azubi-Ticket, noch verbessert werden.

Weitere Informationen zur Veranstaltung

Einen Videomitschnitt der Veranstaltung sowie alle Präsentationsfolien finden Sie im OECD Berlin Centre Blog.

doi: 10.48720/IAB.FOO.20220204.01

Bellmann, Lutz (2022): Vorbild Österreich: Ausbildungsgarantie als Brücke zu qualifizierter Beschäftigung?, In: IAB-Forum 2. Februar 2022, https://www.iab-forum.de/vorbild-oesterreich-ausbildungsgarantie-als-bruecke-zu-qualifizierter-beschaeftigung/, Abrufdatum: 26. April 2024