Die Corona-Krise ist zwar noch nicht endgültig überwunden, doch der Arbeitsmarkt in Deutschland erholt sich zunehmend. Professor Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am IAB, geht im Interview auf die wichtigsten Befunde der heute veröffentlichten IAB-Prognose 2021/2022 ein.

Herr Weber, auch wenn die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in den letzten Wochen stark gelockert wurden, ist die Pandemie noch nicht zu Ende. Wie wirkt sich das auf die deutsche Wirtschaft aus?

Die deutsche Konjunktur ist auf dem Weg, sich von dem schweren coronabedingten Einbruch zu erholen. Im ersten Quartal dieses Jahres ging die Wirtschaftsleistung zwar aufgrund des neuerlichen Lockdowns wieder deutlich zurück. Sie nahm im zweiten Quartal aber erneut spürbar zu. Die Weltwirtschaft hat sich im ersten Halbjahr kräftig erholt. Die meisten Corona-Einschränkungen wurden inzwischen gelockert, sodass in vielen Bereichen wieder eine normale Wirtschaftstätigkeit möglich ist. In manchen Bereichen, wie dem Veranstaltungs- und Messegewerbe, ist ein zeitlicher Vorlauf für die Geschäftstätigkeit erforderlich, sodass sich die wirtschaftliche Erholung teilweise erst nach und nach einstellen wird. Auch als Folge der Corona-Beschränkungen sind Material- und Lieferengpässe entstanden. Arbeitskräfte müssen zum Teil erst wieder eingestellt werden. Der Aufschwung verläuft daher jetzt zunächst noch gebremst.

Wie lange wird es dauern, bis die Wirtschaft wieder Vorkrisenniveau erreicht?

Wenn sich Materialengpässe nach und nach auflösen und keine erneuten Corona-Beschränkungen notwendig werden, besteht die Chance, dass die Auslastung des Produktionspotenzials im kommenden Jahr zügiger zunimmt. Für 2022 prognostizieren wir eine Zunahme der Wirtschaftsleistung um 3,8 Prozent. Das Vorkrisenniveau dürfte somit im Frühjahr 2022 wieder erreicht sein.

Porträtfoto von Prof. Dr. Enzo Weber

Prof. Dr. Enzo Weber leitet des Forschungsbereich „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am IAB.

Was ist Ihre Prognose für die Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Beschäftigung?

Corona war für den Arbeitsmarkt ein herber Schlag, aber es hätte schlimmer kommen können. Für die Prognosejahre 2021 und 2022 rechnen wir im Zuge des Aufholens nach dem Lockdown und der kräftigen Konjunktur mit einer Erholung des Arbeitsmarkts und gehen im nächsten Jahr von einem deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit um 290.000 Personen aus. Die Erwerbstätigkeit nimmt bereits im Jahresverlauf 2021 spürbar zu und liegt im Jahresdurchschnitt 2022 mit einem Plus von 560.000 klar über dem Vorjahr. Somit würden sich sowohl Arbeitslosigkeit als auch Erwerbstätigkeit im Lauf des nächsten Jahres wieder auf dem Vorkrisenniveau bewegen.

Welche Branchen gewinnen in der Erholungsphase an Beschäftigung?

Unter der Annahme, dass es im weiteren Verlauf der Covid-19-Pandemie zu keinem weiteren Lockdown kommen wird, rechnen wir für fast alle Wirtschaftsbereiche mit einem Beschäftigungsaufbau. Das größte Plus wird es 2022 im Bereich „Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit“ geben. Auch der von der Pandemie besonders betroffene Bereich „Handel, Verkehr, Gastgewerbe“ baut wieder Beschäftigung auf. Im Vergleich aller Wirtschaftsbereiche erwarten wir in der Branche „Information und Kommunikation“ die, bezogen auf die Größe, höchsten Zunahmen.

Vor welchen Herausforderungen steht der Arbeitsmarkt nach der Pandemie?

Corona-Einschränkungen werden den Arbeitsmarkt voraussichtlich nur noch in bestimmten Bereichen wie der Veranstaltungswirtschaft belasten. Bleiben wird aber die Herausforderung, die der strukturelle Wandel in Bereichen wie Automobilindustrie, Einzelhandel und Verkehr darstellt. Mit der digitalen und ökologischen Transformation der Wirtschaft dürften viele Arbeitsplätze nicht in derselben Form wieder entstehen. Mittelfristig wird der Erfolg des Arbeitsmarktes davon abhängen, wie gut diese Umbrüche bewältigt werden. Mit der sich erholenden Nachfrage nach Arbeitskräften werden auch Engpässe am Arbeitsmarkt wieder relevanter als zu Krisenzeiten. Das betrifft derzeit in Teilen auch Bereiche wie das Gastgewerbe, die während der Lockdowns viel Beschäftigung verloren haben und nun in kurzer Zeit wieder aufstocken müssen. Trotz der anziehenden Nachfrage droht sich aber Arbeitslosigkeit zu verfestigen. Dies gilt es unbedingt zu verhindern, eine klare Lehre aus der deutschen Wirtschaftsgeschichte seit den 1970er Jahren.

Literatur

Fuchs, Johann; Gartner, Hermann; Hellwagner, Timon; Hummel, Markus; Hutter, Christian; Wanger, Susanne; Weber, Enzo; Zika, Gerd (2021): IAB-Prognose 2021/2022. Arbeitsmarkt auf Erholungskurs. IAB-Kurzbericht Nr. 20.

Schludi, Martin (2021): IAB-Prognose 2021/2022: Der Arbeitsmarkt ist auf Erholungskurs, In: IAB-Forum 4. Oktober 2021, https://www.iab-forum.de/iab-prognose-2021-2022-der-arbeitsmarkt-ist-auf-erholungskurs/, Abrufdatum: 26. April 2024