Zu einem besseren Verständnis der Lohnfindung und Lohnverteilung sowie der beruflichen Qualifikationen beizutragen – das war das Ziel der internationalen Konferenz „Recent Developments in Wage Determination, Distribution, and Job Skills“ am IAB.

Die hochkarätig besetzte Tagung, die am 13. und 14. Juni 2023 am IAB stattfand, befasste sich mit dem deutlichen Anstieg der Lohnungleichheit und mit den Faktoren, die zu dieser Entwicklung beitragen. Dabei ging es um die Rolle individueller Determinanten der Lohnungleichheit, einschließlich Betriebszugehörigkeit und Arbeitsplatzmobilität, ebenso wie um Unternehmensmerkmale und Arbeitsmarktinstitutionen. Auch die Auswirkungen von Lohnverlusten nach Arbeitsplatzverlagerungen und der Lohnelastizität von Neueinstellungen waren Thema.

Das traditionelle Humankapitalmodell der Lohnfindung kann nicht erklären, warum Lohnunterschiede innerhalb oder zwischen Unternehmen bestehen, da die Unternehmen selbst als irrelevant angesehen werden. Bernd Fitzenberger, Direktor des IAB und Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), hob zur Eröffnung der Tagung hervor, dass es mittlerweile eine Reihe von Datensätzen gibt, die für die Forschung hochinteressante Erweiterungen des einfachen Ansatzes der Humankapitaltheorie erlauben.

Porträtfoto von Professor Bernd Fitzenberger

IAB-Direktor Bernd Fitzenberger hob hervor, dass es eine Reihe von Datensätzen gibt, die für die Forschung hochinteressante Erweiterungen des einfachen Ansatzes der Humankapitaltheorie erlauben.

Die Mikrodaten, die das IAB erstellt, nutzen auch externe Forscherinnen und Forscher für ihre eigenen Studien. Fitzenberger betonte in diesem Zusammenhang, es sei die Politik des IAB, diese Datenschätze nicht zu monopolisieren.

Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns hat den Anstieg der Ungleichheit der Arbeitseinkommen beendet

Eine Studie zu den Auswirkungen der Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015 auf den Arbeitsmarkt stellte Martin Biewen, Professor an der Universität Tübingen, vor. Er konnte dafür auf einen verknüpften Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Datensatz zurückgreifen. Dieser basiert auf Daten aus der Verdienststrukturerhebung 2014/2018 des Statistischen Bundesamtes, die das IAB gemeinsam mit der Gesetzlichen Unfallversicherung ausgewertet hat.

Die präsentierten Ergebnisse zeigen, dass die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns den Anstieg der Ungleichheit der Arbeitseinkommen beendet hat. In diesem Zusammenhang konnte Biewen auch keine nennenswerten Veränderungen bei der Arbeitszeit feststellen. Hervorzuheben sind die weitreichenden Spillover-Effekte auch auf Arbeitnehmergruppen, die nicht direkt von der Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns betroffen waren.

In der anschließenden Diskussion wurden die Ursache für diese Übertragungseffekte, die gesetzlichen Pflichten zur Dokumentation der Löhne und der Arbeitszeiten sowie die Rolle der Ankündigung der Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns in der Koalitionsvereinbarung der damaligen Bundesregierung vom 27. November 2013 erörtert.

Eine adäquate Entlohnung ist eine wichtige betriebliche Strategie bei der Personalrekrutierung

Michael Oberfichtner, Leiter des IAB-Forschungsbereichs „Betriebe und Beschäftigung“ und Professor an der FAU, konnte unter Verwendung von geo-referenzierten Daten der Arbeitsmarktregion Hamburg für den Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 30. Juni 2014 die große Bedeutung der Höhe des Lohnsatzes für die erfolgreiche Rekrutierung von Beschäftigten nachweisen. Nach seiner Einschätzung stellt die Festlegung der adäquaten Entlohnung eine wichtige betriebliche Strategie dar, um die Rekrutierung von Beschäftigten zu sichern.

Auf das Forschungspotenzial von Geodaten für Arbeitsmarkt- und Regionalanalysen ging Kerstin Ostermann, wissenschaftliche Mitarbeiterin im IAB- Forschungsbereich „Regionale Arbeitsmärkte“, ein. Sie konnte für einzelne räumlich eng abgegrenzte Bezirke von deutschen Großstädten sehr unterschiedliche Muster in der Lohnungleichheit für den Zeitraum von 2000 bis 2017 ermitteln. Interessanterweise ist das Niveau der Lohnungleichheit im Durchschnitt in ostdeutschen Großstädten niedriger als in westdeutschen Großstädten.

Das Foto zeigt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der internationalen Konferenz „Recent Developments in Wage Determination, Distribution, and Job Skills“ am IAB.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der internationalen Konferenz „Recent Developments in Wage Determination, Distribution, and Job Skills“ am IAB befassten sich mit dem deutlichen Anstieg der Lohnungleichheit und mit den Faktoren, die zu dieser Entwicklung beitragen. Foto: Kurt Pogoda

Beschäftigte aus größeren Betrieben müssen bei Entlassungen im Durchschnitt mit größeren Einkommens- und Lohnverlusten rechnen

Steffen Müller, Leiter der Abteilung „Strukturwandel und Produktivität“ am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle und Professor an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, präsentierte die Ergebnisse seiner Studie zu Einkommens- und Lohnverlusten aufgrund der Freisetzung von Beschäftigten. Die Basis seiner empirischen Analysen waren die auf verschiedenen administrativen Prozessen beruhenden Daten der Integrierten Erwerbsbiografien des IAB und von Insolvenzdaten der Bundesagentur für Arbeit für den Zeitraum 2007 bis 2009. Im Unterschied zur bisherigen Forschungsliteratur berücksichtigt Müller dabei  Entlassungen nicht nur durch größere, sondern auch durch kleinere Betriebe.

Die Ergebnisse zeigen, dass Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz verlieren und zuvor in einem größeren Betrieb gearbeitet haben, im Durchschnitt mit größeren Einkommens- und Lohnverlusten rechnen müssen. Der Grund dafür ist, dass diese Beschäftigten häufig in kleinere und mittlere Betriebe wechseln. In der Diskussion wurde betont, dass die Verlängerung des Arbeitslosengeldes für diese Arbeitnehmergruppe die potenzielle Suchdauer einer neuen Beschäftigung verlängern, aber auch die Einkommens- und Lohnverluste begrenzen könnte.

Frauen gehen seltener als Männer in Lohnverhandlungen mit dem Arbeitgeber

Wer gewinnt und wer verliert, wenn Lohnverhandlungen auf der Ebene einzelner Betriebe stattfinden? Diese Forschungsfrage stand im Mittelpunkt des Vortrags von Sydnee Caldwell, Professorin am Department of Economics der Universität von Kalifornien in Berkeley. Mit den Daten aus einer Befragung von 772 deutschen Betrieben zu ihren Entlohnungsstrategien, die mit detaillierten biografischen Informationen aus den Daten der Sozialversicherung verknüpft waren, konnte sie das Verhalten der Betriebe bei der Entlohnung ihrer Beschäftigten differenziert nach Geschlecht, Risikopräferenz und Produktivität untersuchen.

Caldwells Ergebnisse zeigen zum einen, dass die Betriebe nach wenigstens drei Jahren Dauer der Betriebszugehörigkeit eine gewisse Flexibilität bei der Entlohnung haben. Zum anderen werden produktive Beschäftigte und solche mit der Erwartung einer höheren Entlohnung besser entlohnt. Den Ergebnissen von Caldwell zufolge entwickeln Frauen seltener als Männer entsprechende Erwartungen. Sie gehen deshalb seltener in Lohnverhandlungen mit dem Arbeitgeber.

Die Zusammenarbeit mit kompetenteren Kolleg*innen führt zu einem positiven Lohneffekt

Christian Dustmann, Ökonomie-Professor am University College London, Direktor des dortigen Zentrums für Forschung und Analyse der Migration sowie Direktor der Rockwool-Stiftung Berlin, hatte die Keynote der Tagung übernommen. Er untersuchte die Rolle und die Bedeutung von Spillover-Effekten beim arbeitsplatznahen Lernen mit deutschen Sozialversicherungsdaten. Dabei unterschied er zwischen wissenserweiternden Effekten durch die Zusammenarbeit und Unterstützung von Kolleg*innen und wettbewerblichen Effekten durch die größere Konkurrenz mit kompetenten Kolleg*innen bei der Besetzung höherer Positionen.

Das Foto zeigt Christian Dustmann. Er ist Ökonomie-Professor am University College London, Direktor des dortigen Zentrums für Forschung und Analyse der Migration sowie Direktor der Rockwoll-Stiftung Berlin.

Christian Dustmann, Ökonomie-Professor am University College London, hatte die Keynote der Tagung übernommen. Foto: Kurt Pogoda

Dustmann konnte einen positiven Lohneffekt durch die Zusammenarbeit mit kompetenteren Kolleg*innen nachweisen. Dieser Effekt entsteht vor allem durch den Wechsel in Betriebe, in denen die Entlohnung höher ist. Frauen gelingt es auch aufgrund von Unterbrechungen ihrer Erwerbstätigkeit seltener als Männern, durch einen Wechsel des Arbeitsplatzes ihre relative Einkommensposition zu verbessern.

Diese Effekte sind stärker in Berufen mit hohem Wissensstand und hängen häufiger davon ab, wie groß der Anzahl der Beschäftigten ist, die auf die Unterstützung durch Kolleg*innen beim Wissenserwerb angewiesen sind. Außerdem unterschätzt die vorliegende Forschung sowohl private als auch gesellschaftliche Erträge der betrieblichen Bildung, wenn diese Übertragung von Wissen zwischen Beschäftigten unberücksichtigt bleibt.

Wie Unternehmen auf stark steigende Arbeitskosten reagieren, wirkt sich je nach Strategie unterschiedlich aus

Auf der Basis verknüpfter Daten der italienischen Sozialversicherung sowie betrieblichen Lohn- und Umsatzinformationen präsentierte Bernardo Fanfani, Assistenzprofessor an der Universität Turin, eine Studie zu den unterschiedlichen Reaktionen von Unternehmen bei stark steigenden Arbeitskosten. Verschiedene Strategien sind hier denkbar, wie die Erhöhung der Effizienz, die Erhöhung der Verkaufspreise, die Senkung der Anzahl der Beschäftigung oder die Verringerung des Gewinns.

Empirisch zeigt sich ein Rückgang der Umsätze der Unternehmen aufgrund der Verringerung ihrer Produktion, wobei sich ihre Produktivität insgesamt betrachtet nicht verändert hat. Es kommt nicht zur Schließung von Unternehmen. Negative Beschäftigungseffekte gibt es bei den Firmen mit der niedrigsten Produktivität, während die Firmen mit der höchsten Produktivität ihre Effizienz sogar noch steigern konnten.

Trotz höherer Bezahlung wechselten nach der Wiedervereinigung vergleichsweise wenige Beschäftigte aus der ehemaligen DDR nach Westdeutschland

Alexandra Spitz-Oener, Professorin an der Humboldt-Universität Berlin und stellvertretende Direktorin der Rockwool-Stiftung-Stiftung Berlin, stellte ihre Studie zur Migration von Beschäftigten aus Ostdeutschland nach Westdeutschland in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung vor, die aus der Zusammenarbeit mit dem Forschungsdatenzentrum der Bundesagentur für Arbeit im IAB hervorgegangen ist. Das Forschungsziel besteht darin, empirische Evidenz über soziale Netzwerke und Arbeitskollegen zu gewinnen, die aufgrund des politischen und ökonomischen Zusammenbruchs als besonders relevant erschienen.

Durch die Verwendung eines verknüpften Datensatzes von Beschäftigten aus der damaligen DDR mit Sozialversicherungsdaten für den Zeitraum der Wiedervereinigung war es erstmals möglich, die berufliche Entwicklung von Beschäftigten aus der ehemaligen DDR in Westdeutschland mit der Entwicklung derjenigen Ostdeutschen zu vergleichen, die sich nicht entschließen konnten, in Westdeutschland eine Beschäftigung zu suchen.

Trotz der höheren Bezahlung wechselten vergleichsweise wenige Beschäftigte aus der ehemaligen DDR nach Westdeutschland. Die empirischen Ergebnisse von Spitz-Oener beweisen, dass Beschäftigte aus der ehemaligen DDR häufiger eine Tätigkeit in einem westdeutschen Betrieb aufnahmen, wenn dort bereits ein ehemaliger Kollege oder eine ehemalige Kollegin einen Arbeitsplatz gefunden hatten. Mit deren Hilfe konnten Informationsdefizite und Unsicherheiten verringert werden.

Gastgeber und Moderator Lutz Bellmann, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre der FAU und Mitarbeiter in der Forschungsgruppe des IAB-Direktors, der auch Alexandra Spitz-Oener und Christian Dustmann angehören, ging abschließend noch einmal auf die Bedeutung verknüpfter Datensätze ein, bei der das IAB in besonderer Weise engagiert sei. Wie die Tagung gezeigt habe, lassen sich diese hervorragend nutzen, um die Humankapitaltheorie weiterzuentwickeln und einschlägige empirische Studien zu erstellen.

 

Bild: Andrey Popov/stock.adobe.com

DOI:  IAB.FOO.20231030.01

Bellmann, Lutz (2023): Aktuelle Entwicklungen bei der Verteilung der Arbeitseinkommen und Kompetenzen, In: IAB-Forum 30. Oktober 2023, https://www.iab-forum.de/aktuelle-entwicklungen-bei-der-verteilung-der-arbeitseinkommen-und-kompetenzen/, Abrufdatum: 27. April 2024