Ein Jahr nach Ende der beruflichen Reha sind sieben von zehn Auszubildenden sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Damit ergibt sich ein Plus von 15 Prozentpunkten innerhalb der letzten sechs Jahre. Zu diesem Ergebnis kommt ein aktueller IAB-Kurzbericht (11/2023). Die Redaktion des IAB-Forum hat bei Anton Nivorozhkin, Angela Rauch und Nancy Reims, den Autor*innen des Kurzberichts, nachgehakt.

Wie lassen sich Menschen charakterisieren, die eine berufliche Rehabilitation beginnen?

Portrait Nivorozhkin Anton

Dr. Anton Nivorozhkin ist Mitarbeiter im Bereich Erwerbslosigkeit und Teilhabe am IAB.

Anton Nivorozhkin: Ziel der beruflichen Ersteingliederung ist die Teilhabe am Arbeitsleben, die zumeist über Aufnahme und Abschluss einer Ausbildung erreicht werden soll. Hier finden sich vor allem Personen mit Lernbehinderungen, psychischen sowie geistigen Behinderungen. Menschen mit Lernbehinderungen stellten im Jahr 2020 mit 40 Prozent noch immer die größte Gruppe dar. Ihr Anteil sinkt allerdings seit Jahren erheblich, hingegen weisen zunehmend mehr geförderte Menschen psychische Behinderungen auf. Zuletzt waren es 27 Prozent. Gerade bei jungen Menschen steigt der Anteil der psychisch Erkrankten in beruflicher Rehabilitation deutlich an. Die Geförderten stehen am Anfang ihrer Erwerbsbiografie und sind im Schnitt 19 Jahre alt.

Gerade bei jungen Menschen steigt der Anteil der psychisch Erkrankten in beruflicher Rehabilitation deutlich an.

Wie erfahren diese Menschen über die Möglichkeiten, die die berufliche Rehabilitation für sie bietet?

Portrait Nancy Reims

Dr. Nancy Reims ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Erwerbslosigkeit und Teilhabe am IAB.

Nancy Reims: Üblicherweise führt der Weg zur beruflichen Rehabilitation über die Reha- oder Berufsberatung in den Schulen. In den letzten Schuljahren findet in den Förderschulen eine gruppenbezogene oder individuelle Beratung durch die Reha-Teams der Arbeitsagenturen statt, die allgemeine Berufsberatung besucht die Regelschulen. Eine solche Beratung kann aber auch bei der Arbeitsvermittlung oder über andere Kontakte mit Jobcenter oder Arbeitsagentur erfolgen. Die offizielle Anerkennung als Rehabilitandin oder Rehabilitand wird vom jeweiligen Reha-Team der Arbeitsagenturen zumeist unter Einbeziehung des Berufspsychologischen Service der BA durchgeführt. Ablehnungen gibt es selten.

Ein typischer Weg in die berufliche Rehabilitation führt über die Reha- und Berufsberatung in den Schulen.

Welche Wege führen in die berufliche Ersteingliederung?

Reims: Etwa die Hälfte der Geförderten beginnt eine berufliche Rehabilitation direkt nach der Schule, darunter kommen 26 Prozent aus der Förderschule und 21 Prozent aus anderen Schulformen. Im Rahmen unserer Erhebungen fällt auf, dass Personen mit psychischen Behinderungen bei der Ersteingliederung am Anfang der Rehabilitation mit durchschnittlich 20,7 Jahren am ältesten sind, am jüngsten sind jene mit Lernbehinderungen, sie sind durchschnittlich 17,4 Jahre alt. Dieser Altersunterschied lässt vermuten, dass junge Personen auf unterschiedlichem Wege in die berufliche Ersteingliederung finden. Je älter die Personen sind, desto eher kommen sie aus der Arbeitssuche, je jünger sie sind, desto wahrscheinlicher kommen sie direkt aus dem Schulsystem. Das deutet darauf hin, dass Menschen mit psychischen Behinderungen häufiger als andere während einer schwierigen Phase in der beruflichen Orientierung ins Reha-Verfahren kommen. Außerdem führen sie ihre Ausbildung sehr viel häufiger als andere integrativ aus – das heißt, die Personen verbringen während ihrer Ausbildung weniger Zeit im Betrieb und erlernen praktische Elemente vorab beim Bildungsanbieter.

Beeinflusst die Art der Behinderung die Arbeitsmarktintegrationschancen?

Portrait Angela Rauch

Angela Rauch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Erwerbslosigkeit und Teilhabe am IAB.

Angela Rauch: Sechs Monate nach Ende der Rehabilitation sind 47 Prozent beschäftigt, immerhin deutlich mehr als noch sechs Jahre zuvor, damals waren es erst 30 Prozent. Dies gilt vor allem für Personen mit psychischen Behinderungen: Hier verdoppelte sich zwischen 2014 und 2020 der Anteil derjenigen, die eine Erwerbstätigkeit aufgenommen haben, auf 42 Prozent. Aber auch der Beschäftigungsanteil bei Personen mit Lernbehinderungen stieg deutlich an und lag 2020 bei 62 Prozent. Auch dies dürfte mit der Arbeitsmarktentwicklung, dem technischen Fortschritt und dem Fachkräftebedarf zusammenhängen. Allerdings machen Menschen mit geistigen Behinderungen nur vereinzelt eine berufliche Ausbildung. Die meisten gehen nach Ende der Schulzeit oder Förderschulzeit und einem mehrwöchigen Eingangsverfahren in den Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung über. Beides wird noch im Rahmen der beruflichen Reha finanziert. Danach verbleiben sie langfristig oder sogar dauerhaft im sogenannten Arbeitsbereich dieser Werkstätten. Für Menschen mit geistiger Behinderung scheint der Weg in der Werkstatt und der Verbleib dort vorgezeichnet – nach dem Motto: einmal Werkstatt, immer Werkstatt. Denn in manchen Fällen wäre ein anderer Weg – also nicht über die Werkstätten – unter Umständen vorteilhafter gewesen. Hier sollte unserer Meinung nach insbesondere der Zugang zu Werkstätten deutlich beleuchtet werden.

Für Menschen mit geistiger Behinderung scheint der Weg in die Werkstatt und der Verbleib dort vorgezeichnet.

Hat sich die berufliche Rehabilitation im Laufe der Jahre verändert?

Rauch: Der Anteil an außerbetrieblichen Ausbildungen geht zurück, gleichzeitig können immer häufiger betriebliche Ausbildungen realisiert werden. Das gilt insbesondere für Menschen mit Behinderungen des Stütz- und Bewegungsapparates. Aber auch diejenigen mit psychischen oder Lernbehinderungen profitieren von dieser Entwicklung. Gleichzeitig sind aber die Zugangszahlen in die berufliche Rehabilitation in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Wir gehen davon aus, dass Gründe für den Rückgang zum einen die demografischen Veränderungen, zum anderen die gestiegene Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarkts sind. Verbunden mit dem immer stärker werdenden Fachkräftemangel hat das dazu geführt, dass immer mehr Betriebe Menschen mit Behinderungen nicht nur ausbilden, sondern im weiteren Verlauf auch beschäftigen.

Die Zahl derer, die die Maßnahmen beantragen, ist auch deswegen rückläufig, weil sie ohne Unterstützung in den Arbeitsmarkt finden.

Literatur

Reims, Nancy; Rauch, Angela; Nivorozhkin, Anton (2023): Ersteingliederung in der beruflichen Rehabilitation: Nach einer Reha findet ein höherer Anteil junger Menschen mit Behinderungen Arbeit. IAB-Kurzbericht 11/2023.

 

doi: 10.48720/IAB.FOO.20230605.01

Bild: Halfpoint/stock.adobe.com

Kaltwasser, Lena (2023): „Immer mehr Jugendliche sind nach der beruflichen Rehabilitation sozialversicherungspflichtig beschäftigt“, In: IAB-Forum 5. Juli 2023, https://www.iab-forum.de/immer-mehr-jugendliche-sind-nach-der-beruflichen-rehabilitation-sozialversicherungspflichtig-beschaeftigt/, Abrufdatum: 29. April 2024