Behinderungen sind Teil der Vielfalt menschlichen Lebens. Das IAB möchte dazu beitragen, die Erwerbssituation von Menschen mit Behinderung zu verbessern, indem es diese erforscht und die Erkenntnisse daraus in Wissenschaft und Praxis kommuniziert. Die IAB-Forscherinnen Nancy Reims und Angela Rauch sprechen im Interview über Herausforderungen und Ergebnisse der Inklusionsforschung am IAB.

Seit wann gibt es Inklusionsforschung am IAB?

Portrait Angela Rauch

Angela Rauch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Erwerbslosigkeit und Teilhabe am IAB.

Angela Rauch: Das IAB betreibt seit den 80er Jahren Inklusionsforschung, der Umfang hat sich mit der Einführung des Sozialgesetzbuches II im Jahr 2005 und der Ratifizierung der UN-Behindertenkonvention 2009 jedoch deutlich erhöht.

Inwiefern hilft die Forschung des IAB dabei, Chancengleichheit und berufliche Teilhabe für behinderte Menschen zu verbessern?

Portrait Nancy Reims

Dr. Nancy Reims ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Erwerbslosigkeit und Teilhabe am IAB.

Nancy Reims: Empirische Befunde machen Probleme deutlich sichtbar, mit denen behinderte Menschen am Arbeitsmarkt konfrontiert sind. Diese zu erkennen und zu beseitigen, ist die Voraussetzung dafür, um Chancengleichheit und berufliche Teilhabe herzustellen. Die Forschung des IAB trägt dazu bei, bestehende Defizite im System der beruflichen Rehabilitation aufzudecken und entsprechende Unterstützungsangebote und Anpassungen zu entwerfen.

Chancengleichheit kann nur hergestellt werden, wenn wir die besonderen Bedarfe behinderter Menschen erkennen und maßgeschneiderte Unterstützungsangebote anbieten.

Wie können nicht behinderte Menschen für die Belange der Betroffenen sensibilisiert werden?

Reims: Es muss ein Bewusstsein darüber geschaffen werden, dass es im Grunde jeden treffen kann. Die meisten Behinderungen oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen treten erst im Laufe eines (Erwerbs-)Lebens auf. Und oft assoziieren die Menschen damit nur sichtbare Behinderungen – aber auch ein Bandscheibenvorfall oder eine innere Erkrankung können eine Behinderung darstellen. Viele Behinderungen sind nicht sichtbar. Auch resultiert aus einem Grad der Behinderung nicht automatisch eine Erwerbsunfähigkeit. So muss eine Person, die zum Beispiel Diabetes hat, nicht zwangsläufig erwerbsunfähig sein, nur weil ein Grad der Behinderung festgestellt wurde. Zentral für eine Integration in den Arbeitsmarkt ist, welche möglichen Auswirkungen die gesundheitlichen Einschränkungen auf die Ausübung des Berufs haben können und welche Unterstützungsleistungen oder Hilfsmittel diese Integration gewährleisten können.

Ein großer Teil der Behinderungen tritt erst im Laufe des Erwerbslebens auf.

Wie schätzen Sie das Bewusstsein über die Förderungsangebote bei Betrieben und behinderten Menschen ein?

Rauch: Es ist wichtig, dass über berufliche Reha informiert wird – viele wissen gar nicht, welche Fördermöglichkeiten es gibt und wie man sie beantragen kann – das betrifft sowohl die Betroffenen als auch die Betriebe. Neben den Agenturen für Arbeit und den Jobcentern spielen hier auch die Leistungserbringer sowie die im Sozialgesetzbuch festgelegte „Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung“ eine Rolle. Auch Betriebe müssen noch offensiver angesprochen werden. Teilweise ist es jedoch schwierig, einen Kontext zu finden, mit dem die unterschiedliche Betriebslandschaft über die unübersichtliche Förderlandschaft informiert werden kann. Entsprechende Informationsveranstaltungen werden häufig nicht von denjenigen besucht, die mehr Informationen benötigen, sondern mehrheitlich von jenen, die ohnehin gut mit Informationen versorgt sind.

Es ist wichtig, dass über berufliche Reha informiert wird – viele wissen gar nicht, welche Fördermöglichkeiten es gibt und wie man sie beantragen kann.

Welche Fragen beschäftigen Sie in Zukunft?

Rauch: Im Moment interessieren uns unter anderem die Werkstätten für behinderte Menschen. Sind Menschen einmal in einer solchen Werkstatt, finden sie nur sehr selten den Weg in den Arbeitsmarkt. Denn in der Regel verblieben sie dort. Wir möchten wissen: Wie kommt es dazu, dass jemand diesen Weg wählt? Wir müssen die Mechanismen in diesem Entscheidungsprozess nachvollziehen, um die Situation adäquat bewerten und anschließend Handlungsempfehlungen für Verbesserungen abgeben zu können.

Wenn eine Person eine Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen aufnimmt, heißt das in der Regel, dass sie dort verbleibt.

Literatur

Rauch, Angela; Reims, Nancy (2020): Inklusion ins Erwerbsleben: Niemand darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden. IAB-Forum, 27.11.2020.

Collischon, Matthias; Hiesinger, Karolin; Pohlan, Laura (2023): Disability and Labor Market Performance. IZA discussion paper / Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit.

 

Bild: Firma V/stock.adobe.com

doi: 10.48720/IAB.FOO.202305023.01

Kaltwasser, Lena (2023): „Es kann jeden treffen“, In: IAB-Forum 23. Mai 2023, https://www.iab-forum.de/es-kann-jeden-treffen/, Abrufdatum: 27. April 2024