Das duale Studium hat in Deutschland erheblich an Bedeutung gewonnen: Im letzten Jahrzehnt hat sich die Zahl der dual Studierenden nahezu verdreifacht. Doch wer genau nimmt ein duales Studium auf und welche Rolle spielt der Bildungshintergrund bei dieser Entscheidung? Diesen Fragen gehen Bernhard Christoph, Alexander Patzina und Carina Toussaint im IAB-Kurzbericht 15/2023 nach. Sie haben auch der Redaktion des IAB-Forum dazu Rede und Antwort gestanden.

Ein duales Studium verbindet ein Hochschulstudium mit berufspraktischer Erfahrung. Wer entscheidet sich für einen solchen Bildungsweg?

Dr. Bernhard Christoph

Dr. Bernhard Christoph ist Mitarbeiter im Forschungsbereich „Bildung, Qualifizierung und Erwerbsverläufe“ am IAB

Bernhard Christoph: Die vom dualen Studium angesprochenen Studierenden sind häufiger männlich und haben keinen Migrationshintergrund – das heißt, sowohl sie selbst als auch ihre Eltern und Großeltern sind in Deutschland geboren.

Außerdem spricht das duale Studium – ganz ähnlich wie ein Fachhochschulstudium – eher sogenannte Bildungsaufsteiger an, also Personen, deren Eltern noch kein Studium absolviert haben. Wir vermuten, dass das duale Studium aufgrund seiner starken Praxisorientierung eher zu den Präferenzen und Erfahrungen dieser Studierendengruppe passt. Die mögliche Übernahme durch den Praxisbetrieb verspricht außerdem einen schnellen und reibungslosen Übergang in den Arbeitsmarkt. Das dürfte für diese Studierendengruppe besonders reizvoll sein. Kinder von Nicht-Akademikern können oft nicht im gleichen Umfang wie Akademikerkinder auf elterliche Ressourcen zugreifen und sind dementsprechend häufiger darauf angewiesen, finanziell möglichst schnell auf eigenen Beinen zu stehen.

Was die Schullaufbahn angeht, ähneln die dual Studierenden strukturell eher den Studierenden der Universitäten als denen der Fachhochschulen.

Welche Rolle spielen schulische Faktoren bei der Wahl des Bildungswegs?

Portrait Carina Toussaint

Carina Toussaint ist Mitarbeiterin im Forschungsbereich “Bildung, Qualifizierung und Erwerbsverläufe” am IAB.

Carina Toussaint: Was die Schullaufbahn angeht, ähneln die dual Studierenden strukturell eher den Studierenden der Universitäten als denen der Fachhochschulen. Sie haben ähnlich oft wie die Universitätsstudierenden ein Gymnasium besucht und haben auch ähnlich häufig eine Hochschulreife statt einer Fachhochschulreife. Zudem sind ihre Abiturnoten im Schnitt ähnlich gut wie die der Universitäts- und besser als die der Fachhochschulstudierenden.

Unsere Ergebnisse zum dualen Studium weichen somit zu den Befunden zur Aufnahme eines Universitätsstudiums ab, in denen die Unterschiede zwischen Kindern von Akademikern und Nicht-Akademikern geringer wären, wenn sich beide Gruppen in den schulischen Faktoren nicht unterscheiden würden. Das bedeutet, dass sich ein Teil der Differenzen nach der Bildungsherkunft auch auf Unterschiede in den schulischen Faktoren zurückführen lassen.

Kann das duale Studium also zu einer Verringerung der Bildungsungleichheit beitragen?

Alexander Patzina

Dr. Alexander Patzina ist Mitarbeiter im Forschungsbereich “Bildung, Qualifizierung und Erwerbsverläufe” am IAB und akademischer Rat am Lehrstuhl für Soziologie der Universität Bamberg.

Alexander Patzina: Hier sind unsere Ergebnisse nicht eindeutig. Einerseits spricht das duale Studium – wie bereits erwähnt – Personen an, deren Eltern noch nicht studiert haben. Andererseits wählen aber gerade besonders leistungsfähige Kinder aus Nicht-Akademikerhaushalten häufig ein duales Studium. Dabei könnten sie auch ein Studium an einer Universität aufnehmen, das langfristig oft bessere Einkommens- und Karriereperspektiven bietet und außerdem den Zugang zu besonders prestige- und einkommensträchtigen Fächern wie Medizin oder Rechtswissenschaften ermöglicht.

Die entscheidende Frage wäre also: Was würden diese Jugendlichen aus Nicht-Akademikerhaushalten tun, wenn es kein duales Studium gäbe?

Patzina: Genau. Würden sie in diesem Fall gar nicht studieren, sondern eine Berufsausbildung wählen, dann würde das duale Studium diesen Kindern tatsächlich den Weg in die höhere Bildung eröffnen und zum Abbau der Bildungsungleichheit beitragen.

Würden diese Jugendlichen – wie es ihren Leistungen entspricht – ohne das duale Studium überwiegend ein Universitätsstudium aufnehmen, könnte man nicht von einer Verringerung der Bildungsungleichheit sprechen. Ähnlich, wie wir es schon von der Berufsbildung kennen, würde das duale Studium dann die Kinder von Nicht-Akademikern eher weg vom Universitätsstudium mit seinen in der Regel besseren Verdienstmöglichkeiten lenken, hin zu einer weniger ertragsstarken Bildungsvariante. In diesem Fall würde also die alte Ungleichheit lediglich durch eine neue – wenn auch eine schwächere – ersetzt.

Für die Studierenden kombiniert das duale Studium die Vorteile der Berufsausbildung mit denen des Studiums.

Warum hat das duale Studium in den letzten Jahren so massiv an Bedeutung gewonnen?

Toussaint: Für die Studierenden kombiniert das duale Studium zentrale Vorteile der Berufsausbildung mit denen eines Studiums: Sie haben die Möglichkeit, vom Ausbildungsbetrieb übernommen zu werden und oft erhalten sie auch eine Vergütung während der Ausbildung. Gleichzeitig ermöglicht ihnen das duale Studium aber eine anspruchsvolle Tätigkeit mit vergleichsweise hoher Bezahlung.

Arbeitgeber erhalten durch das duale Studium akademisch qualifizierte Fachkräfte, die ein hohes betriebsspezifisches Kapital aufweisen und direkt nach dem Studium ohne umfangreiche zusätzliche Einarbeitung eingesetzt werden können. Insofern kann man hier durchaus von einer Win-Win-Situation sprechen, von der beide Seiten profitieren, was zweifelsohne zum Erfolg des dualen Studienmodells beigetragen hat.

Patzina: Eine wichtige Rolle für den Erfolg des dualen Studiums dürfte außerdem spielen, dass das Angebot an dualen Studiengängen deutlich gewachsen ist. Neben den Berufsakademien beziehungsweise dualen Hochschulen bieten inzwischen auch immer mehr Fachhochschulen duale Studiengänge an.

Christoph: Auch politisch ist das duale Studium in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich aufgewertet worden. Die früher üblichen Berufsakademie-Diplome waren lediglich sogenannte „staatliche Abschlussbezeichnungen“ – also keine vollwertigen Hochschulabschlüsse. Das hat sich heute in der Regel geändert. Dies erhöht das Ansehen der Abschlüsse und bietet den Absolventen auch bessere Möglichkeiten zur Weiterqualifikation, zum Beispiel durch das Absolvieren eines Masterstudiengangs.

Aus unserer Sicht ist es eher unwahrscheinlich, dass das Duale Studium die Berufsausbildung ersetzen wird.

Angesichts des Nachwuchsmangels in Ausbildungsberufen: Könnte es dazu kommen, dass die dualen Studiengänge die Berufsausbildung ersetzen?

Patzina: Das ist schwer zu prognostizieren. Wir vermuten, dass dies allenfalls punktuell der Fall sein wird. Auf Arbeitgeberseite dürfte besonders relevant sein, dass dual Studierende deutlich mehr verdienen als Beschäftigte mit einer Berufsausbildung. Wie wir in einer früheren Arbeit gezeigt haben, liegt der Unterschied bei um die 30 Prozent. Ein flächendeckendes Ersetzen der Berufsausbildung durch das Duale Studium wäre also ein erheblicher Kostenfaktor für die Betriebe. Beschäftigte mit Berufsausbildung durch solche mit dualem Studienabschluss zu ersetzen, macht für die Arbeitgeber daher wahrscheinlich vor allem dort Sinn, wo sich auch ihre Anforderungen an die Qualifikationen der Beschäftigten erhöhen. Dies dürfte vor allem solche Ausbildungsberufe betreffen, die auch bisher schon vergleichsweise hohe Qualifikationsanforderungen haben. In anderen Bereichen, wie etwa den klassischen Handwerksberufen oder der Gastronomie, wird die Berufsausbildung vermutlich auch weiterhin zentral für die Ausbildung geeigneter Fachkräfte bleiben.

Literatur

Ostermann, Kerstin; Patzina, Alexander (2019): Aktuelle Studienformen im Vergleich: Ein duales Studium begünstigt den Berufseinstieg. IAB-Kurzbericht Nr. 25.

Christoph, Bernhard; Patzina, Alexander, Toussaint, Carina (2023): Soziale Ungleichheit in den Bildungsentscheidungen nach dem Abitur: Kinder von Eltern ohne Hochschulabschluss nehmen eher ein duales Studium auf. IAB-Kurzbericht Nr. 15.

 

doi: 10.48720/IAB.FOO.20230809.01

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