Ist die Kurzarbeit in ihrer derzeitigen Ausgestaltung für langanhaltende und volatile Krisen ein geeignetes Instrument, um die Beschäftigung zu stabilisieren? Sind ergänzende Regelungen notwendig, damit die Anwendung und Abrechnung von Kurzarbeit im Fall einer massenhaften Nutzung wie der Covid-19-Pandemie vereinfacht werden können? Was können wir aus den Regelungen anderer Länder lernen? Diese und weitere Fragen diskutierten Experten und Expertinnen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Arbeitsverwaltung bei der Veranstaltung „Wissenschaft trifft Praxis „Kurzarbeitergeld in der Covid-19-Pandemie: Lessons Learned““. Sie fand am 26. Oktober dieses Jahres auf Einladung des IAB virtuell statt und wurde zudem live auf dem YouTube-Kanal des IAB gestreamt.

Fitzenberger: „Viele Länder haben schnell Programme aufgesetzt und diese aber auch schneller auslaufen lassen als Deutschland.“

Portraitfoto von Prof. Bernd Fitzenberger

Prof. Bernd Fitzenberger, Ph.D., ist IAB-Direktor und Inhaber des Lehrstuhls für Quantitative Arbeitsökonomik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Prof. Bernd Fitzenberger, Direktor des IAB, beleuchtete zu Beginn die internationalen Erfahrungen im Umgang mit Kurzarbeit während der Covid-19-Pandemie. In den USA hätten 30 von 35 Bundesstaaten die „Short-Term Compensation“ eingesetzt. Dieses Instrument sei eng mit dem Kurzarbeitergeld verwandt, werde aber weitaus weniger in Anspruch genommen.

Viele Arbeitskräfte, die ihre Arbeit verloren hätten, seien später nicht an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt. „Viele Betriebe klagen darüber, dass sie ihre Beschäftigten nicht mehr zurückgewinnen können“, sagte Fitzenberger.

Australien setzte dagegen auf direkte Lohnsubventionen: Unabhängig von der Verdiensthöhe und der Beschäftigung wurde allen Beschäftigten ein bestimmter Betrag ausbezahlt. Das hätte massive Fehlanreize ausgelöst, so Fitzenberger: Betriebe hätten zum Teil höhere Lohnsubventionen erhalten, als sie ursprünglich an Gehältern ausbezahlt hätten.

Deutschland gehört, ähnlich wie Frankreich, Italien und Spanien, zu den Ländern, die Kurzarbeit als Regelinstrument einsetzen. Jedoch sei es wichtig, die langfristigen Folgen nach der intensiven Nutzung des Instruments Kurzarbeit wissenschaftlich aufzuarbeiten.

Portraitbild Vanessa Ahuja

Vanessa Ahuja ist Mitglied des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit und für Leistungen und Internationales zuständig.

Ahuja: „Während der Finanzkrise waren 1,5 Millionen Menschen in Kurzarbeit.“

Bei der Auszahlung des Kurzarbeitergeldes handelt es sich um eine Versicherungsleistung, die von den Arbeitgebern vorfinanziert wird, erläuterte Vanessa Ahuja, Mitglied des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit (BA) und dort zuständig für Leistungen und Internationales. Ob dieser Anspruch besteht, wird durch die Bundesagentur geprüft.

„Während der Finanzkrise waren 1,5 Millionen Menschen in Kurzarbeit“, blickte Ahuja zurück. In der Covid-19-Pandemie waren es zeitweilig sogar sechs Millionen. Sollte es erneut zu einer so starken Nutzung von Kurzarbeitergeld kommen, könne die Bundesagentur ihre regulären Aufgaben, die unter anderem die Arbeits- und Ausbildungsvermittlung, die Berufsberatung, die Arbeitgeberberatung und die Förderung der Beschäftigungs- und Erwerbsfähigkeit umfassen, nicht in vollem Umfang aufrechterhalten.

Portraitbild Yvonne Kaiser

Dr. Yvonne Kaiser ist Leiterin der Abteilung „Arbeitsmarktpolitik“ im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Kaiser: „Kurzarbeitergeld kann nicht das Allheilmittel für jede Form von Krise sein, aber es wird auch in dieser Krise einen wichtigen Beitrag leisten müssen.“

Das Kurzarbeitergeld sei wichtig gewesen, es hätte verunsicherten Menschen die Sorge um ihren Arbeitsplatz genommen, sagte Dr. Yvonne Kaiser, Leiterin der Abteilung „Arbeitsmarktpolitik“ im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Deutschland sei von einer Krise in die nächste Krise geraten, und wann der Krisenmodus ende, könne niemand genau sagen. „Für den Arbeitnehmer ist es wichtig, dass er einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld hat und auch behalten kann“, betonte Kaiser.

Planungssicherheit sei für alle Beteiligten elementar. Die Bundesagentur sei aber kaum in der Lage, die massenhafte Nutzung von Kurzarbeitergeld jetzt wieder in derselben Geschwindigkeit wie während der Covid-19-Pandemie zu administrieren, so Kaiser. Sie wies darauf hin, dass die BA noch geraume Zeit damit beschäftigt sein werde, Abschlussprüfungen für die bereits erfolgte Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld durchzuführen. Dieses Spannungsfeld gelte es aufzulösen. Dazu gebe es verschiedene Vorschläge einer Expertenrunde, die nun überprüft würden.

In jedem Fall sei es richtig gewesen, die Rücklagen der Bundesagentur einzusetzen: „Wenn es Kurzarbeitergeld nicht geben würde, würden Menschen arbeitslos werden und Arbeitslosengeld beziehen“, stellte Yvonne Kaiser klar. Darüber indes dürfte auf dem Podium weitgehend Einigkeit herrschen.

Anna Robra

Dr. Anna Robra ist Leiterin der Abteilung „Arbeitsmarkt“ bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.

Robra: „Die Schwierigkeit bei jeder Krise ist, dass niemand weiß, wie lange die Krise dauert und wie sie genau wirkt.“

Die Versicherungsleistung der Kurzarbeit hat während der Pandemie einen wesentlichen Beitrag zur Beschäftigungssicherung und Unterstützung der Unternehmen geleistet, stellte Dr. Anna Robra fest. Hohe Energiekosten und gestörte Lieferketten würden Unternehmen auch derzeit wieder vor große Herausforderungen stellen, sagte die Leiterin der Abteilung „Arbeitsmarkt“ bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Kurzarbeit werde deswegen weiterhin eine Rolle spielen.

„Die Schwierigkeit bei jeder Krise ist, dass niemand weiß, wie lange die Krise dauert und wie sie genau wirkt“, sagte Robra. Angesichts dieser Unberechenbarkeit müsse man schnell handlungsfähig sein. Deswegen sei es richtig, dass die Kurzarbeiterregelung so gestaltet ist, dass sie flexibel und schnell angepasst werden kann.

„Kein Unternehmen will Kurzarbeitergeld beantragen“, betonte Robra. „Es ist ein Instrument, das man beantragt, weil es nicht mehr anders geht und weil man die Beschäftigten halten möchte.“ Wenn diese kritische Phase beendet sei, könne die Produktion wieder hochgefahren werden. Diese Flexibilität habe sich schon während der Finanz- und Wirtschaftskrise bewährt, so Robra.

Evelyn Räder

Evelyn Räder ist Abteilungsleiterin “Arbeitsmarktpolitik” beim Deutschen Gewerkschaftsbund.

Räder: „Die Bundesagentur für Arbeit ist nicht nur eine Auszahlungsstelle für Kurzarbeitergeld, sondern hat eine große Verantwortung im Bereich aktive Arbeitsmarktförderung.“

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) setzt sich für eine Verlängerung des erleichterten Zugangs zum Kurzarbeitergeld ein. Im Augenblick wisse niemand, was noch auf die Wirtschaft zukommt, sagte Evelyn Räder, Abteilungsleiterin Arbeitsmarktpolitik beim DGB-Bundesvorstand. Deswegen sei es wichtig, „möglichst flexibel zu reagieren auf das, was zurzeit unberechenbar ist“.

Bei der Administration des Kurzarbeitergeldes sei ein hohes Maß an Prüfungen notwendig, ebenso wie Schnelligkeit und Zielgenauigkeit. Das Geld blind großflächig zu verteilen, sei keine Option. „Viele Unternehmen hatten es wirklich nötig, Kurzarbeitergeld zu beantragen. Manche haben es aber auch ausgenutzt“, stellte Räder fest.

Es ist aus ihrer Sicht wahrscheinlich, dass infolge der Auswirkungen des Ukraine-Krieges wieder mehr Anträge auf Kurzarbeitergeld gestellt werden. Andere Vorhaben dürften deswegen aber nicht auf der Strecke bleiben, hier nannte sie als Beispiele die Begleitung von Transformationsprozesse und Qualifizierungsvorhaben.

Es dürfe nicht vorkommen, dass Leistungen der BA und der Jobcenter nicht angeboten werden können, „weil eine Welle von Kurzarbeit über die Arbeitsverwaltung rollt“, warnte Räder. Sie verwies in diesem Zusammenhang ebenfalls auf die Empfehlungen der Expertenrunde. Man müsse sich auf alle Eventualitäten vorbereiten und dann in der Lage sein, Instrumente situativ auszuwählen und anzuwenden.

Das Video zur Veranstaltung finden Sie auf dem YouTube-Kanal des IAB:

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https://youtu.be/QrY3zAsQ7XY

doi: 10.48720/IAB.FOO.20221219.01

Kaltwasser, Lena (2022): Wissenschaft trifft Praxis: Kurzarbeitergeld in der Covid-19-Pandemie: Lessons Learned, In: IAB-Forum 19. Dezember 2022, https://www.iab-forum.de/wissenschaft-trifft-praxis-kurzarbeitergeld-in-der-covid-19-pandemie-lessons-learned/, Abrufdatum: 3. May 2024