IAB-Direktor Professor Bernd Fitzenberger spricht im Interview über die Herausforderungen, die den Arbeitsmarkt in Deutschland in diesem Jahrzehnt prägen werden. Neben der digitalen und ökologischen Transformation spielen auch die Folgen der Covid-19-Pandemie und der demografische Wandel eine wichtige Rolle.

Welche dauerhaften Auswirkungen wird die Covid-19-Krise auf den Arbeitsmarkt haben?

Die Covid-19-Pandemie hat zweifelsohne zu vielen negativen, aber auch zu einigen positiven Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt geführt. Davon werden einige nach der Krise wieder zurückgeführt werden. Aber je länger die Pandemie anhält, desto wahrscheinlicher wird es, dass in der Pandemie eingeübte Verhaltens-, Produktions- und Arbeitsweisen auch nach der Krise beibehalten werden, wenn sie sinnvoll sind. Beispiele hierfür sind die vermehrte Nutzung von Homeoffice und Videokonferenzen, die damit einhergehenden Investitionen in die digitale Infrastruktur oder der intensivere Blick auf das Thema Gesundheitsschutz, einerseits für die Beschäftigten, aber auch für die Kundschaft.

Es ist davon auszugehen, dass die Krise Veränderungsprozesse in der Wirtschaft und im Arbeitsleben weiter beschleunigt. Dies kann zum Beispiel auch das Thema eines nachhaltigeren Wirtschaftens betreffen. Geschäftsreisen werden vermutlich nicht in dem Umgang wie vor der Krise stattfinden. Das mobile Arbeiten könnte die Bindung an den physischen Arbeitsort geringer werden lassen und so Pendelzeiten und die Wohnungsnachfrage in Ballungsräumen reduzieren. Spiegelbildlich steigt dann der Suchradius für Unternehmen und Beschäftigte.

Die Digitalisierung wird den Arbeitsmarkt der Zukunft prägen. Wie wirkt sich diese auf die Qualifikationsstruktur und Einkommen der Beschäftigten aus?

Die Digitalisierung wird zusammen mit der Dekarbonisierung zu erheblichen Umbrüchen am Arbeitsmarkt führen. Die Zahl der verloren gehenden und der neu entstehenden Jobs kann sich dabei durchaus die Waage halten. Allerdings erfordern die neu entstehenden Jobs spezifische Qualifikationen, und generell setzt sich der Trend zu Jobs mit höheren Qualifikationsanforderungen fort.

Generell setzt sich der Trend zu Jobs mit höheren Qualifikationsanforderungen fort.

Mit dem Voranschreiten der Digitalisierung können auch zunehmend komplexere Tätigkeiten automatisiert werden. Dabei sind die höchsten Substituierbarkeitspotenziale noch immer in den Fertigungs- und fertigungstechnischen Berufen festzustellen, die niedrigsten in den sozialen und kulturellen Dienstleistungsberufen. Hohe Substituierbarkeitspotenziale bedeuten auch hohe Produktivitätspotenziale und können bessere Beschäftigungs- und Einkommenschancen in den betreffenden Branchen für Beschäftigte mit zukunftsträchtigen Jobs eröffnen. Dabei bleibt die zentrale Herausforderung, die Beschäftigten entsprechend aus- und weiterzubilden. Denn ohne eine noch stärkere Förderung der Weiterbildung Beschäftigter und Arbeitsloser ist der Transformationsprozess nicht erfolgreich zu bewältigen.

Eine weitere Herausforderung für den Arbeitsmarkt ist die ökologische Transformation der Wirtschaft. Manche befürchten zum Beispiel bei einem zu hohen Tempo der Transformation den Verlust von Arbeitsplätzen. Wie ist die Einschätzung des IAB in dieser Debatte?

Auf dem Arbeitsmarkt ist bislang ein moderates „Greening“ der Berufe zu beobachten. So ist beispielsweise die Zahl der Berufe mit umweltschutzbezogenen Tätigkeitsinhalten, sogenannten Green Tasks, zwischen 2012 und 2016 um 16 Prozent gestiegen. 20 Prozent der Berufe enthalten inzwischen solche Green Tasks, zum Beispiel Aufgaben im Bereich der Energieeffizienz, wenn auch zumeist noch in geringem Umfang.

20 Prozent der Berufe enthalten inzwischen Green Tasks.

Das 2019 verabschiedete Klimaschutzprogramm und die Maßnahmen in Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2021 werden die Veränderungsprozesse am Arbeitsmarkt deutlich verstärken. Der Umstieg von Verbrennungsmotoren wird durch die sinkende Arbeitsintensivität in Teilen der Wertschöpfungskette rund um den Antriebsstrang zu einem Rückgang von Arbeitsplätzen führen. Allerdings entstehen durch die Ansiedlung und Gründung von neuen Betrieben sowie die Erweiterung der E-Mobilitäts-Wertschöpfungskette auch neue Arbeitsplätze. Weitere alternative Antriebstechnologien – Beispiel Wasserstoff – könnten wieder andere Veränderungen auslösen.

Aufgabe einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Arbeitsmarktpolitik wird es sein, diese Veränderungsprozesse aktiv zu begleiten, insbesondere durch Fortbildungen oder Umschulungen. Ein weiterer Ansatzpunkt wäre es, eine finanzielle Brücke für Beschäftigte zu bauen, die durch die Transformationsprozesse aus sehr gut bezahlen Bereichen in weniger gut bezahlte Bereiche wechseln müssen. Dies wäre ein Beitrag zu einer gelingenden und sozial ausgeglichene Transformation. Auch das sollte aber durch Weiterbildung flankiert sein, um die Beschäftigung nachhaltig zu sichern.

Der demografische Wandel hat Einfluss auf den Arbeitsmarkt. Es gehen mehr Ältere in Rente, als Jüngere nachkommen. Was sind die wichtigsten Stellschrauben aus Sicht des IAB, um diesen Prozess abzufedern?

Der demografische Wandel erfordert, dass zum Ausgleich für die zunehmend aus dem Arbeitsmarkt ausscheidenden geburtenstarken Jahrgänge verstärkt die noch nicht genutzten Potenziale bei Älteren, Frauen und Geflüchteten erschlossen werden. Um die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erhöhen, sind neben einem weiteren Ausbau der Kinderbetreuungsangebote eine schrittweise Eingrenzung der Minijobs und eine Reform des Ehegattensplittings sinnvoll. Des Weiteren sind Weiterbildung und Gesundheitsschutz die Schlüssel, um gerade ältere Personen im Arbeitsmarkt zu halten.

Auch die Fachkräftegewinnung durch Zuwanderung bleibt wichtig. Zuwanderung ist ein starker Hebel, um den Folgen des demografischen Wandels zu begegnen. Zudem sind die Stabilisierung und Weiterentwicklung der beruflichen Ausbildung von Bedeutung, da es nach wie vor zu viele Jugendliche gibt, die keinen Ausbildungsabschluss erwerben. Das System der dualen Ausbildung ist durch die Corona-Krise weiter unter Druck geraten, die Zahl der abgeschlossene Ausbildungsverträge ging deutlich zurück. Das lag vor allem daran, dass es weniger Ausbildungsplatzsuchende gab. Viele haben sich dafür entschieden, erst einmal länger im Schulsystem zu bleiben.

Es gibt nach wie vor zu viele Jugendliche ohne Ausbildungsabschluss.

Kaum schien ein Ende der Corona-Krise in Sicht, kam schon die nächste Krise: der russische Angriff auf die Ukraine. Was heißt das für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland?

Der erwartete Aufschwung nach der Corona-Krise wird durch den Krieg und die Sanktionen, durch steigende Energiepreise und verstärkte Lieferengpässe erst einmal deutlich gebremst. Eines der Hauptprobleme ist sicherlich die stark gestiegene Inflation, die vor allem die energieintensiven Betriebe hart trifft, zumal die Preisschübe auch die Importe verteuern. Das könnte gerade dort zu Produktionsrückgängen führen, auch wenn die Gasversorgung im Winter weitgehend funktionieren sollte, wonach es im Moment auszusehen scheint. Die aktuellen Rückgänge beim Gasverbrauch dürften teilweise auch schon auf Produktionsrückgänge in den energieintensiven Branchen zurückzuführen sein. Die sind besonders kritisch, weil sie weitere Folgewirkungen in der Wirtschaft auslösen können. Denn energieintensive Betriebe gehören meist zur Grundstoffindustrie und stehen damit typischerweise am Anfang der Lieferkette. Dadurch könnte es im Verarbeitenden Gewerbe ebenfalls zu Produktionsrückgängen kommen. Es besteht somit ein hohes Risiko, dass es in Deutschland zu einer Rezession kommt.

Es besteht ein hohes Risiko, dass es in Deutschland zu einer Rezession kommt.

Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt?

Ich gehe davon aus, dass die von wirtschaftlichen Schwierigkeiten betroffenen Betriebe sich mit Neueinstellungen stärker zurückhalten werden. Auch die Kurzarbeit dürfte zunehmen. Je nachdem, wie tief die Rezession ausfällt, könnte die Zahl der Firmenpleiten zunehmen und dadurch mehr Beschäftigte arbeitslos werden. Trotzdem scheint mir der Arbeitsmarkt grundsätzlich robust, gestützt durch bewährte Sicherungsinstrumente wie das Kurzarbeitergeld, auch wenn die weitere Entwicklung aktuell schwer vorherzusagen ist. Übrigens steigt derzeit die Arbeitslosigkeit leicht.  Das hat aber vor allem damit zu tun, dass eine wachsende Zahl von geflüchteten Ukrainnerinnen auf den deutschen Arbeitsmarkt drängt. Neben der humanitären Hilfe sollte daher ein bestmöglicher Arbeitsmarktzugang für die geflüchteten Menschen geschaffen werden. Nicht wenige werden länger oder vielleicht für immer hier bleiben.

Wird Arbeitslosigkeit im Jahr 2030 noch ein Thema sein?

Arbeitslosigkeit wird es immer in dynamischen Arbeitsmärkten geben, weil existierende Arbeitsplätze verloren gehen und neue Arbeitsplätze entstehen, und weil Zeit vergeht, bis Arbeitsuchende und Firmen einen neuen Arbeitsvertrag schließen. Über diese unvermeidbare friktionelle Arbeitslosigkeit hinaus besteht das Risiko, dass auch 2030 die Struktur der Arbeitsplätze und der Arbeitsuchenden nicht zueinander passen. Passungsprobleme können in regionaler oder in qualifikatorischer Hinsicht bestehen. Aus- und Weiterbildung und die Unterstützung von regionaler Mobilität, aber auch die Förderung der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen in Regionen mit erhöhter Arbeitslosigkeit können Arbeitslosigkeit auf ein Minimum reduzieren. Dies erfolgreich umzusetzen bleibt trotz hohem Arbeitskräftebedarf eine Herausforderung für die Arbeitsmarktpolitik.

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20220914.01

Schludi, Martin; Winkler, Werner; Hiesinger , Karolin (2022): Wie sieht der Arbeitsmarkt der Zukunft aus?, In: IAB-Forum 14. September 2022, https://www.iab-forum.de/wie-sieht-der-arbeitsmarkt-der-zukunft-aus/, Abrufdatum: 18. April 2024