Sanktionen in der Grundsicherung bedeuten für die Betroffenen in der Regel, dass diese für eine gewisse Zeit ein Leben unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums führen müssen. Gering qualifizierte SGB-II-Empfänger werden dabei überproportional häufig sanktioniert.

Die Grundsicherung für Arbeitsuchende („Hartz IV“) stellt programmatisch stark auf das Prinzip des Förderns und Forderns ab. Sie soll den Leistungsberechtigten ein Leben in Würde ermöglichen und dazu beitragen, dass diese ihren Lebensunterhalt so weit wie möglich durch eigene Erwerbsarbeit bestreiten können (§ 1 Zweites Sozialgesetzbuch/SGB II). Die Grundsicherungsbezieher müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um ihre Hilfebedürftigkeit zu beenden oder zu verringern (§ 2 SGB II). Erfüllen sie ihre Pflichten nicht und können dafür keine überzeugenden Gründe vorbringen, so wird ihr Leistungsanspruch für maximal drei Monate reduziert oder gestrichen. Eine solche Pflichtverletzung liegt insbesondere vor, wenn Arbeitslose eine als zumutbar definierte Arbeit oder Maßnahme nicht antreten oder abbrechen.

Insgesamt wurden in der Grundsicherung von April 2016 bis März 2017 etwas mehr als 940.000 Sanktionen verhängt. Drei Viertel davon gehen auf Meldeversäumnisse zurück. In diesem Fall haben die Grundsicherungsbezieher ohne einen als wichtig anerkannten Grund einen Termin beim Jobcenter oder bei einem Maßnahmeträger nicht wahrgenommen (siehe Kasten „Die Sanktionsregeln des SGB II“ unten).

Sanktionen machen es wahrscheinlicher, dass die Betroffenen eine Erwerbsarbeit aufnehmen. Dies belegt beispielsweise eine Studie von Gerard van den Berg, Arne Uhlendorff und Joachim Wolff, die 2017 als IAB-Kurzbericht erschienen ist. Da die Grundsicherung das soziokulturelle Existenzminimum gewährleisten soll, bedeuten Sanktionen aber meistens auch, dass die Betroffenen für eine bestimmte Zeit unterhalb dieses Minimums leben müssen. Dies hat teils einschneidende Folgen wie Einschränkung der Ernährung, (weitere) Verschuldung oder Sperrung der Energieversorgung bis hin zum Wohnungsverlust, wie Studien von Franziska Schreyer und Koautoren zeigen.

Joachim Wolff und Andreas Moczall haben in einer 2012 erschienenen Untersuchung gezeigt, dass Männer, Jüngere und gering Qualifizierte überproportional häufig sanktioniert werden. Aufbauend auf dieser Studie wird nachfolgend der Einfluss von Bildung auf die Sanktionswahrscheinlichkeit vertiefend analysiert. Grundlage hierfür ist eine Befragung von Grundsicherungsbeziehern, die zum Befragungszeitpunkt zur Arbeitsuche verpflichtet und nicht schon sanktioniert worden waren.

Zunächst wird mithilfe einer Kombination aus repräsentativen Befragungsdaten aus der IAB-Längsschnittstudie PASS und Verwaltungsdaten aus den Jobcentern der Frage nachgegangen, ob sich das hohe Sanktionsrisiko gering Qualifizierter damit erklären lässt, dass sie möglicherweise weniger motiviert oder weniger zu Konzessionen bereit sind. Anhand von qualitativen Interviews mit Fachkräften in Jobcentern sowie mit Sanktionierten, die in der Regel höchstens einen Hauptschulabschluss haben, werden anschließend weitere mögliche Gründe diskutiert, warum gering Qualifizierte häufiger sanktioniert werden. Zusätzliche Informationen zur zugrundeliegenden Studie finden sich in einem Aufsatz von Franz Zahradnik und Koautoren, der im Jahr 2016 publiziert wurde.

Gering Qualifizierte werden – unabhängig von ihrer Konzessionsbereitschaft und Arbeitsmotivation – öfter sanktioniert als höher Qualifizierte

Von den im Rahmen von PASS befragten Personen wurden in den zwölf Monaten nach dem Interview im Schnitt 4,4 Prozent wegen Pflichtverletzungen und 3,2 Prozent wegen Meldeversäumnissen jeweils mindestens einmal sanktioniert (siehe Tabelle, mittlere Spalte unten).

Die in der Befragung erhobenen Daten geben auch Aufschluss darüber, inwiefern ein erhöhtes Sanktionsrisiko durch geringere Arbeitsmotivation und Konzessionsbereitschaft begründet ist. Konzessionsbereitschaft meint hier die Bereitschaft, ein Jobangebot auch dann zu akzeptieren, wenn zum Beispiel der Arbeitsplatz unattraktiv oder mit einem langen Anfahrtsweg verbunden ist.

Das Entscheidende ist nun, dass gering Qualifizierte, hier definiert als Personen ohne Schulabschluss oder mit Hauptschulabschluss, auch dann noch besonders häufig sanktioniert werden, wenn man mit statistischen Methoden die Arbeitsmotivation und Konzessionsbereitschaft konstant hält: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie wegen Pflichtverletzungen sanktioniert werden, liegt bei 6,1 Prozent. Hätten sie (Fach-)Abitur, läge ihre Sanktionswahrscheinlichkeit um 4,2 Prozentpunkte niedriger.

Diese Befunde legen nahe, dass das höhere Sanktionsrisiko gering Qualifizierter nicht damit zu erklären ist, dass deren Arbeitsmotivation oder Konzessionsbereitschaft niedriger wäre. Denn wenn gering Qualifizierte nur deswegen öfter sanktioniert würden, dürfte das Bildungsniveau für sich genommen keinen messbaren Einfluss mehr haben. Mit anderen Worten: Bei einem gering Qualifizierten ist die Sanktionswahrscheinlichkeit auch dann höher, wenn er in puncto Arbeitsmotivation oder Konzessionsbereitschaft genauso abschneidet wie ein hoch Qualifizierter.

Diese Befunde gelten tendenziell auch für die Gruppe der unter 25-Jährigen, für die im SGB II verschärfte Sanktionsregelungen gelten (siehe Kasten „Die Sanktionsregeln des SGB II“ unten). In dieser Altersgruppe liegt  die Wahrscheinlichkeit für gering Qualifizierte, wegen Pflichtverletzungen sanktioniert zu werden, bei zwölf Prozent; hätten dieselben Personen (Fach-)Abitur, würden sie eine um 7,3 Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit aufweisen (siehe Tabelle, rechte Spalte Mitte). Wegen der geringen Fallzahl der unter 25-Jährigen in der Stichprobe ist dieser Unterschied allerdings nicht statistisch abgesichert und steht daher unter Vorbehalt.

Da etwaige Defizite bei Motivation und Konzessionsbereitschaft die häufigere Sanktionierung von gering Qualifizierten nicht erklären können, müssen andere Faktoren dazu beitragen. Näheren Aufschluss hierzu geben qualitative Interviews, die mit Fachkräften in Jobcentern und Sanktionierten unter 25 Jahren geführt wurden.

Tabelle: Einfluss persönlicher Merkmale auf die Wahrscheinlichkeit, sanktioniert zu werden

Gering Qualifizierte können mit dem komplexen Regelwerk des SGB II überfordert sein

Ein Grund für das höhere Sanktionsrisiko gering Qualifizierter kann im unzureichenden Verständnis komplexer rechtlicher Regeln und Anforderungen liegen. Das Regelwerk ist gerade für Personen mit geringem Bildungsgrad teils wenig durchschaubar – so etwa einem jungen Sanktionierten mit Hauptschulabschluss, der sich seinem Vermittler im Jobcenter fachlich unterlegen fühlt und Unterstützung bei seinen Behördengängen wünscht:

Es gibt […] Gesetze, die Menschen nicht wissen. Deswegen bräuchtest du eine Person, die sich mit so was auskennt. Und mit dem Gespräch auch mithalten kann.

Gering Qualifizierten kann es schwerer fallen, zu überzeugen

Zudem scheinen gering Qualifizierte seltener in der Lage zu sein, überzeugend zu begründen, warum sie Maßnahmen oder Jobs, die sie als unzumutbar empfinden, nicht machen wollen beziehungsweise können. So beschreibt eine Vermittlerin, wie verschieden Arbeitslose mit unterschiedlichen Kompetenzen auf eine vorgeschlagene ausbildungsvorbereitende Maßnahme reagieren können:

Ein Jugendlicher, der sich nicht so gut ausdrücken kann, der sitzt da und denkt sich vielleicht: Was soll ich dort? […] Ich will doch kein Friseur werden, sondern Kfz-Mechaniker. […] Aber der sagt es nicht und dann geht er nicht hin und dann hat er die Konsequenz zu tragen. Und der andere versucht es mit Argumenten und da denkt man sich: Na ja, irgendwo hat er ja recht, warten wir noch mal vier Wochen, vielleicht ist ja dann ein Platz frei.

Eine Pflichtverletzung oder ein Meldeversäumnis darf nur sanktioniert werden, wenn Grundsicherungsbezieher mündlich und/oder schriftlich keinen wichtigen Grund dafür darlegen können (siehe Kasten „Die Sanktionsregeln des SGB II“ unten). Auch in diesem Fall können weniger Gebildete im Nachteil sein, wie die folgende Äußerung einer Vermittlerin zeigt:

Ich denke, dass Jugendliche, die […] ein niedrigeres Bildungsniveau haben, eher sanktioniert werden wie Jugendliche, die ein höheres Bildungsniveau haben. Weil die, die höheres Bildungsniveau haben, sind informierter über ihre Aufgaben und Pflichten. Die sind auch geübter, so was zu umgehen oder darzustellen, Gründe zu bringen, warum, wieso und weshalb sie das nicht machen konnten.

Zudem scheinen nicht alle Befragten gleichermaßen darüber informiert zu sein, dass sie gegen eine Sanktion Widerspruch oder Klage einreichen können. Dies illustriert folgende Äußerung:

Habe dann wieder eine Sperre kassiert. Aber man kann dagegen ja nicht vorgehen. Das ist ja das Problem irgendwie. Wenn die sagen, man hat eine Sperre, dann hat man eine Sperre.

Fazit

Grundsicherungsbezieher ohne oder mit niedrigem Schulabschluss werden häufiger sanktioniert als solche mit mittleren oder höheren Abschlüssen. Etwaige Unterschiede in der Arbeitsmotivation und Konzessionsbereitschaft können dies nicht erklären. Es gibt aber Hinweise, dass gering Qualifizierte in verschiedenen Stadien des Sanktionsprozesses im Vergleich zu besser Qualifizierten im Nachteil sind.

Dies beginnt schon mit dem schwierigen Verständnis komplexer rechtlicher Regeln und Anforderungen. Zudem scheinen sie eher weniger gut in der Lage zu sein, sanktionsfähige Situationen erst gar nicht entstehen zu lassen. Auch kann es für sie schwerer sein,  etwaiges „Fehlverhalten“ nachträglich überzeugend mündlich und/oder schriftlich zu begründen. Schließlich ist die Möglichkeit, Rechtsmittel gegen eine Sanktion einzureichen, nicht immer bekannt.

Auch wenn sie den Übergang in Beschäftigung erhöhen, ist zu bedenken, dass Sanktionen in der Grundsicherung in der Regel nicht nur ein zeitlich befristetes Leben unter dem soziokulturellen Existenzminium bedeuten. Sie treffen darüber hinaus gering Qualifizierte häufiger als höher Qualifizierte.

Dieser Umstand sollte in der Aus- und Weiterbildung von Fach- und Führungskräften der Jobcenter stärker berücksichtigt werden. Schriftliche Rechtsfolgenbelehrungen sollten nach Möglichkeit auch für Laien verständlich formuliert werden und Fachkräfte verstärkt darauf achten, dass Anforderungen und die Folgen, die bei Nichterfüllung eintreten, auch wirklich verstanden werden können.

Hilfreich wäre es ferner, über eine Entschärfung der Sanktionsregeln vor allem bei den unter 25-Jährigen nachzudenken. Nicht zuletzt sind weitere Anstrengungen im Bildungsbereich nötig, um für heranwachsende Menschen überhaupt erst die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass diese auf dem Arbeitsmarkt „aktiviert“ werden können. Ohnehin ist eine gute Bildung der beste Garant dafür, dass junge Menschen gar nicht erst in die Grundsicherung rutschen.

Die Sanktionsregeln des SGB II

Im Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) werden sowohl Pflichtverletzungen als auch Meldeversäumnisse sanktioniert (§§ 31 und 32 SGB II). Erstere liegen zum Beispiel vor, wenn Grundsicherungsbezieher eine als zumutbar definierte Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme nicht antreten oder abbrechen; Letztere, wenn sie einen Termin beim Jobcenter nicht wahrnehmen. Falls sie dafür keinen „wichtigen Grund“ – sei es schriftlich oder mündlich – vorbringen können, muss das Jobcenter sanktionieren.

Eine Sanktion dauert im Regelfall drei Monate. Gemindert wird in erster Linie der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts, der insbesondere Ernährung, Körperpflege und Kleidung umfasst. Bei einem Meldeversäumnis wird die Regelleistung um zehn Prozent gekürzt. Bei einer Pflichtverletzung wird unterschieden, ob sie innerhalb eines Jahres erstmals oder wiederholt auftrat sowie ob die Leistungsberechtigten unter 25 Jahre oder älter sind. Am Beginn ihres Erwerbslebens stehend, sind unter 25-Jährige eine besondere Zielgruppe des SGB II: Um Langzeitarbeitslosigkeit entgegenzuwirken, sollen sie dem SGB II zufolge besonders gefördert und gefordert werden.

Bei einer ersten Pflichtverletzung wird die Regelleistung bei unter 25-Jährigen gestrichen, bei Älteren um 30 Prozent gekürzt; Miete und Heizkosten werden erstattet. Bei wiederholter Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres werden bei unter 25-Jährigen auch die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht mehr erstattet. Bei Älteren ist dies erst ab der zweiten Wiederholung der Fall, bei erster Wiederholung wird die Regelleistung um 60 Prozent gekürzt. Eine Sanktion kann durch Gutscheine für Lebensmittel und Hygieneartikel gemildert werden.

Literatur

Göckler, Rainer (2009): Beratung im Sanktionskontext. Tübingen: dgvt.

Schreyer, Franziska; Zahradnik, Franz; Götz, Susanne (2013): Sanktionen bei jungen Arbeitslosen im SGB II: Wenn das Licht ausgeht. In: IAB-Forum Nr. 2, S. 60-67.

Van den Berg, Gerard J.; Uhlendorff, Arne; Wolff, Joachim (2017): Wirkungen von Sanktionen für junge ALG-II-Bezieher: Schnellere Arbeitsaufnahme, aber auch Nebenwirkungen. IAB-Kurzbericht Nr. 5.

Wolff, Joachim; Moczall, Andreas (2012): Übergänge von ALG-II-Beziehern in die erste Sanktion. IAB-Forschungsbericht Nr. 11.

Zahradnik, Franz; Schreyer, Franziska; Moczall, Andreas; Gschwind, Lutz; Trappmann, Mark (2016): Wenig gebildet, viel sanktioniert? Zur Selektivität von Sanktionen in der Grundsicherung des SGB II. In: Zeitschrift für Sozialreform, 62. Jg., Heft 2, S. 141-179.

 

Die Autoren und die Autorin danken den Interviewten für ihr Vertrauen und Julia Lenhart, Sabrina Lorenz und Alfons Voit für ihre Unterstützung bei den Analysen.