Parallel zu den gesamtdeutschen Arbeitsmarktprognosen veröffentlicht das IAB zusätzlich regionalisierte Prognosen für die Bundesländer und Agenturbezirke. Dahinter steckt ein großes Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem Regionalen Forschungsnetz des IAB, die eng mit dem Forschungsbereich „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ zusammenarbeiten. Ihre regionalen Prognosen zur Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsentwicklung sind eine wertvolle Informationsquelle für die Entscheidungsträger der Bundesagentur für Arbeit und für die Fachpolitik. Die Forum-Redaktion hat bei Anja Rossen, der Leiterin des Prognoseteams, nachgefragt.

Porträtfoto von Dr. Anja Rossen

Dr. Anja Rossen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Regionalen Forschungsnetz des IAB.

Frau Rossen, wie sind die Aussichten der deutschen Regionen für das nächste Jahr?

Anja Rossen: Der Krieg gegen die Ukraine und die damit verbundene Energiekrise dämpfen wie für das Bundesgebiet auch die Erholung der regionalen Arbeitsmärkte. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung steigt in allen Bundesländern zwar leicht an, aber nicht mehr so stark wie in den Jahren vor der Covid-19-Pandemie. Spitzenreiter bleibt Berlin mit einem Wachstum von 1,7 Prozent. Gleichzeitig nimmt die Arbeitslosigkeit in allen Bundesländern zu.

Wie ist zu erklären, dass 2023 Beschäftigung und Arbeitslosigkeit gleichzeitig steigen werden?

Dies hängt vor allem mit dem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit Mitte dieses Jahres zusammen, unter anderem wegen der Registrierung ukrainischer Geflüchteter in der Grundsicherung. Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Arbeitslosen bis zum Ende dieses Jahres hoch bleiben wird und erst im Laufe des kommenden Jahres wieder zurückgehen wird. Im Vergleich der Jahresdurchschnitte ergibt sich daraus eben dieser leichte Anstieg.

Obwohl wir für 2023 einen Konjunktureinbruch erwarten, wird die Beschäftigung weiterwachsen.

Zudem sehen wir schon länger eine Entkopplung von Konjunktur und Beschäftigung. Weil es für viele Betriebe immer schwieriger wird, neue Arbeitskräfte zu finden, halten sie ihre Beschäftigten auch in Krisenzeiten stärker als in der Vergangenheit. Zudem herrscht ein noch immer starker Arbeits- und Fachkräftemangel. Obwohl wir für 2023 einen Konjunktureinbruch erwarten, wird die Beschäftigung deshalb weiterwachsen.

Ein wichtiger Teil Ihrer Prognose beleuchtet die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Wie entwickeln sich diese im nächsten Jahr?

Wir erwarten, dass die Beschäftigung in Ost- und Westdeutschland etwa gleich stark wachsen wird. Vor Beginn der Covid-19-Pandemie war das noch anders. Da ist die Zahl der Beschäftigten in Westen des Landes stärker gestiegen als im Osten. Es scheint, dass die konjunkturelle Schwäche das westdeutsche Beschäftigungswachstum etwas stärker dämpfen wird. Die Arbeitslosigkeit wird dagegen in Ostdeutschland im kommenden Jahr etwas stärker zunehmen. Es kommt aber nicht zu großen Anstiegen, da die Arbeitskräftenachfrage der Betriebe, wie gesagt, sehr hoch bleibt.

Es meistern vor allem die Bundesländer die Krise gut, die bereits vorher ein überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum hatten.

Was sind denn die Hauptfaktoren, warum die Arbeitsmarktentwicklung in den Regionen teils doch sehr unterschiedlich ausfällt?

Zum einen haben wir in den Bundesländern immer schon verschiedene Ausgangslagen: So meistern vor allem die Länder die jetzige Krise gut, die bereits vorher ein überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum hatten. Zum anderen spielt  auch der Anstieg der Arbeitslosigkeit während der Covid-19-Pandemie und der anhaltenden Ukraine-Krise eine Rolle. Je nach Wirtschafts- und Arbeitsmarktstrukturen vor Ort fällt es manchen Regionen schwerer oder leichter als anderen, das Niveau vor der Covid-19-Pandemie wieder zu erreichen.

Neben Bundesländern und Agenturbezirken haben Sie das erste Mal Arbeitsmarktprognosen nach Siedlungsstrukturtypen ausgewiesen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Die Siedlungsstrukturtypen wurden vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung entwickelt und unterscheiden vier verschiedene Formen von Räumen: kreisfreie Großstädte, städtische Kreise, ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen und dünn besiedelte ländliche Kreise. Eine Prognose nach diesen Typen ist für uns interessant, weil deren unterschiedliche Strukturen sich natürlich stark auf die Arbeitsmärkte vor Ort auswirken. In Städten finden wir etwa eine ganz andere Konstellation an Beschäftigten und Betrieben als auf dem Land. Deshalb zeigen unsere Prognosen für das nächste Jahr dort auch deutliche Unterschiede in der Beschäftigungsentwicklung.

Wir sehen, dass sich die Städte deutlich langsamer von den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie erholen als die ländlichen Regionen.

Können Sie das näher erläutern?

Wir sehen, dass sich die Städte deutlich langsamer von den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie erholen als die ländlichen Regionen. Für 2023 erwarten wir, dass das Beschäftigungswachstum in Stadtregionen auf unter ein Prozent fällt. Früher war dies umgekehrt, da wuchs dort die Beschäftigung stets am dynamischsten. Dazu kommt, dass während der Pandemie die Arbeitslosigkeit in den Städten am stärksten gestiegen ist, und dieses Jahr ist sie dort leider kaum gesunken. 2023 wird der Bestand der Arbeitslosen in den Städten sogar wieder leicht zunehmen – allerdings auch in den anderen drei Siedlungsräumen.

Literatur

Jörg Heining, Oskar Jost, Anja Rossen, Duncan Roth, Christian Teichert, Antje Weyh (2022): Regionale Arbeitsmarktprognosen 2022/2023: Krisen dämpfen die positive Entwicklung in nahezu allen Regionen. IAB-Kurzbericht Nr. 16.

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20221007.01