Arbeitslosengeld-II-Bezieher, die Angehörige pflegen, befinden sich häufig in einem Dilemma. Etwa die Hälfte von ihnen muss sich nicht nur um ihre pflegebedürftigen Angehörigen kümmern, sondern auch dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Befragungsdaten des Panels „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ geben Aufschluss darüber, inwieweit die Betroffenen diesen Spagat meistern.

Deutschlands Bevölkerung altert. Damit steigt der Pflegebedarf. Ein großer Teil der Pflege wird von Angehörigen geleistet, die sich selbst im erwerbsfähigen Alter befinden. Sie müssen folglich die Pflege etwa ihrer Eltern vielfach mit ihrer eigenen Erwerbstätigkeit vereinbaren. Die Art der Pflegetätigkeiten kann dabei sehr unterschiedlich sein und reicht von Besorgungen und Hilfen im Haushalt bis hin zu schweren körperlichen Pflegetätigkeiten.

Auch Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld (ALG) II, die Angehörige pflegen, stehen im Spannungsfeld zwischen der Pflegearbeit und ihrer Pflicht zur Arbeitsuche. Denn sie stehen dem Arbeitsmarkt prinzipiell zur Verfügung und sollen selbst zur Beendigung ihrer Hilfebedürftigkeit beitragen.

Die individuelle Situation von ALG-II-Empfängern kann sehr unterschiedlich sein. Einige sind erwerbstätig, ohne jedoch ein bedarfsdeckendes Einkommen zu erzielen, andere sind erwerbslos, aber zur Arbeitsuche verpflichtet. Wieder andere sind von der Verpflichtung zur Arbeitsuche temporär ausgenommen, weil sie beispielsweise eine Ausbildung absolvieren, sich um ihre Kinder oder intensiv um pflegebedürftige Angehörige kümmern.

Unter den pflegenden ALG-II-Empfängern ist etwa die Hälfte von der Verpflichtung zur Arbeitsuche ausgenommen, wobei ein Teil von ihnen weiter nach einer Stelle sucht, ohne dazu verpflichtet zu sein. Bei etwa jedem vierten pflegenden ALG-II-Empfänger, der von der Verpflichtung zur Arbeitsuche ausgenommen ist, ist die Pflege auch tatsächlich der Grund hierfür. Bei den anderen hat die Ausnahme von der Verpflichtung zur Arbeitsuche andere Gründe, beispielsweise Kinderbetreuung oder gesundheitliche Probleme.

Mit Hilfe der Daten des Panels „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS) kann eine genauere Bestandsaufnahme der Situation von ALG-II-Beziehern, die sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern, vorgenommen werden. Die folgenden Ergebnisse beleuchten insbesondere die Intensität der Pflegearbeit dieses Personenkreises und die damit in Verbindung stehenden Übergangschancen in den Arbeitsmarkt.

Zeitlicher Umfang der Pflegetätigkeiten variiert stark

In Haushalten, die Arbeitslosengeld II beziehen, lag der Anteil der Pflegenden zwischen 15 und 64 Jahren im Zeitraum von 2006 bis 2015 bei durchschnittlich gut sechs Prozent. Er ist damit ähnlich hoch wie bei Personen im erwerbsfähigen Alter insgesamt, wie eine 2014 erschienene Studie von Johannes Geyer und Erika Schulz für das Jahr 2012 ausweist. Etwa 45 Prozent der betroffenen Leistungsbezieher wenden weniger als zehn Stunden in der Woche für die Pflege auf, etwa 29 Prozent von ihnen (24 Prozent der pflegenden Männer, 32 Prozent der pflegenden Frauen) dagegen 20 Stunden oder mehr.  Zum Vergleich: Bei Pflegenden, die keine Leistungen aus der Grundsicherung beziehen, liegt der letztgenannte Anteil bei 16 Prozent (siehe Tabelle 1).

Ein hoher zeitlicher Aufwand für die Pflege von Angehörigen erschwert die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. So sind erwerbslose ALG-II-Bezieher, die sich zehn Stunden oder mehr in der Woche um pflegebedürftige Angehörige kümmern, im Mittel seltener im darauffolgenden Jahr sozialversicherungspflichtig beschäftigt als Leistungsbezieher, die keine andere Person zu pflegen haben.

Dieser Zusammenhang gilt auch dann, wenn man für verschiedene Merkmale wie Alter und Erwerbserfahrung kontrolliert. Und er trifft auf Männer und Frauen gleichermaßen zu. Rein statistisch liegt die Wahrscheinlichkeit eines männlichen Leistungsbeziehers, der Angehörige pflegt und nicht erwerbstätig ist, im Folgejahr einen Job zu haben, um knapp fünf Prozentpunkte niedriger als für eine vergleichbare Person ohne pflegerische Pflichten. Bei pflegenden Frauen beträgt der entsprechende Unterschied vier Prozentpunkte.

Pflege von Angehörigen und individuelle Erwerbschancen beeinflussen sich wechselseitig

Diese Ergebnisse erlauben allerdings keine Aussage darüber, ob Pflege die Erwerbschancen der Betroffenen verringert, oder ob umgekehrt Personen mit schlechten Arbeitsmarktaussichten eher Angehörige pflegen. Der bisherige Forschungsstand legt die Vermutung nahe, dass ein Zusammenhang in beide Richtungen besteht: Einerseits schmälern pflegerische Verpflichtungen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Andererseits übernehmen Personen, die ohnehin nicht erwerbstätig sind oder schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, tendenziell häufiger Pflegetätigkeiten.

Zudem zeigt sich, dass Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II, die Angehörige pflegen, zwar seltener zur Arbeitsuche verpflichtet sind als andere ALG-II-Bezieher. Allerdings ist die Pflege hierfür nur in etwa einem Viertel der Fälle der Grund. Meist liegen weitere Gründe vor wie gesundheitliche Einschränkungen oder Kinderbetreuung.

Zudem führt die Pflege von Angehörigen offenbar nicht dazu, dass sich die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbstätigkeit von erwerbslosen ALG-II-Empfängern dauerhaft verringert. Denn nach Beendigung der Pflegetätigkeit unterscheiden sich diese nicht mehr signifikant von den Erwerbschancen der ALG-II-Bezieher, die keine Angehörigen zu pflegen hatten.

Fazit

Angesichts der alternden Bevölkerung ist eine hohe Erwerbsbeteiligung notwendig, um die wirtschaftliche Dynamik aufrechtzuerhalten und die sozialen Sicherungssysteme langfristig finanzieren zu können. Zugleich steigt aber der zu leistende Pflegebedarf, der wiederum zu einem großen Teil durch pflegende Angehörige im erwerbsfähigen Alter gedeckt wird.

Dieses Dilemma der Vereinbarkeit von Pflege und Arbeitsmarktbeteiligung besteht auch für pflegende ALG-II-Bezieher. Kümmern sich erwerbslose Leistungsbezieher zehn Stunden oder mehr pro Woche um einen pflegebedürftigen Angehörigen, so gehen sie im Folgejahr seltener einer Erwerbstätigkeit nach als nicht pflegende Grundsicherungsempfänger. Die Jobcenter sollten daher ihre Möglichkeiten, Leistungsbezieher bei der Organisation der Pflege zu unterstützen, bestmöglich ausschöpfen, etwa indem sie stärker als bislang auf die einschlägigen Beratungsangebote der Kommunen und Pflegekassen hinweisen.

Literatur

Geyer, Johannes; Schulz, Erika (2014): Who cares? Die Bedeutung der informellen Pflege durch Erwerbstätige in Deutschland. DIW Wochenbericht Nr. 14. Berlin.

Hohmeyer, Katrin; Kopf, Eva (2015): Pflegende in Arbeitslosengeld-II-Haushalten: Wie Leistungsbezieher Pflege und Arbeitsuche vereinbaren. IAB-Kurzbericht Nr. 5

Hohmeyer, Katrin; Kopf, Eva (2018): Pflegende ALG-II-Bezieher finden seltener einen Job, In: IAB-Forum 18. Mai 2018, https://www.iab-forum.de/pflegende-alg-ii-bezieher-finden-seltener-einen-job/, Abrufdatum: 24. April 2024