4. Juni 2025 | Serie „Beschäftigung in der Gig-Ökonomie“
Lieferdienste in Deutschland: Solo-Selbstständigkeit hat zwischen 2018 und 2021 stark abgenommen
Martin Friedrich , Ines Helm , Julia Lang , Christoph Müller

Schätzungen der Europäischen Kommission zufolge haben 2022 rund 28 Millionen Menschen in der EU ihre Arbeitskraft über digitale Plattformen angeboten, mehrheitlich als Solo-Selbstständige. Die Kommission geht jedoch davon aus, dass davon rund 5,5 Millionen scheinselbstständig sind. Eine Scheinselbständigkeit liegt vor, wenn erwerbstätige Personen vom Arbeitgeber als selbstständig Tätige behandelt werden, obwohl eigentlich eine abhängige Beschäftigung vorliegt. Angestellte Plattformarbeiter*innen sind sozialversichert und können von Beschäftigungsstandards wie Mindestlöhnen profitieren (siehe hierzu die Erläuterungen im Infokasten „Digitale Plattformarbeit“).
Wie Corinna Funke und Georg Picot in ihrer 2021 veröffentlichten Studie beschreiben, setzen die institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland der Beschäftigung von Solo-Selbstständigen bei Plattformunternehmen gewisse Grenzen. Zum Beispiel darf eine Plattform Solo-Selbstständigen keine Vorgaben hinsichtlich ihres Arbeitsortes oder ihrer Arbeitszeit machen.
Es liegt daher nahe, dass insbesondere Plattformarbeiter*innen bei App-basierten Lieferdiensten, die häufig derlei Vorgaben bekommen, hierzulande als Arbeitnehmer*innen eingestuft werden und somit entsprechende Rechte besitzen. Qualitative Untersuchungen geben denn auch Hinweise darauf, dass Solo-Selbstständigkeit bei Lieferdiensten in Deutschland rückläufig ist, so zum Beispiel die Studie von Annekathrin Müller aus dem Jahr 2024.
Allerdings fehlten bisher aussagekräftige Zahlen zum Verhältnis von Solo-Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung in dieser Branche. Diese Lücke wird durch den hier vorgelegten Beitrag geschlossen. Er ist Teil eines von der Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales geförderten Projekts, bei dem auch Sozialversicherungsdaten der Bundesagentur für Arbeit analysiert werden, die alle abhängig Beschäftigten von zehn bedeutenden App-basierten Lieferdiensten in Deutschland umfassen.
Auf Basis der Umfragedaten des Mikrozensus wurde untersucht, wie sich die Erwerbstätigkeit insgesamt bei Lieferdiensten in den Jahren 2012 bis 2021 entwickelt hat. Der Mikrozensus ist eine jährliche repräsentative Haushaltsbefragung der amtlichen Statistik in Deutschland und umfasst sowohl Solo-Selbstständige als auch abhängige Beschäftigte (siehe Infokasten „Daten“). Mithilfe dieser Daten kann der jeweilige Anteil der beiden Gruppen an den in der Lieferdienstbranche tätigen Personen abgebildet werden. Die Ergebnisse liefern daher auch einen Hinweis darauf, zu welchem Anteil die Sozialversicherungsdaten, die nur abhängig Beschäftigte enthalten, die Gesamtheit der Erwerbstätigen bei App-basierten Lieferdiensten abbilden.
Da der Mikrozensus keine direkten Informationen zu Plattformarbeit enthält, wird die Lieferdienstbranche insgesamt betrachtet, wobei Plattformunternehmen dort eine wesentliche Rolle spielen. Erwerbstätige bei Lieferdiensten werden über Berufs- und Branchenangaben identifiziert (weitere Erläuterungen hierzu siehe im Infokasten „Daten“). Der Analyse liegt die Annahme zugrunde, dass die beobachteten Trends in der Lieferdienstbranche insgesamt Rückschlüsse auf App-basierte Lieferdienste erlauben.
Der starke Zuwachs von Erwerbstätigen bei Lieferdiensten ab 2020 ist durch abhängige Beschäftigung getrieben
Zwischen 2012 und 2019 lag die Zahl der Personen in der Lieferdienstbranche relativ konstant bei etwa 30.000 bis 35.000 (siehe Abbildung 1). Da App-basierte Lieferdienste zu Beginn des Beobachtungszeitraums noch nicht sehr weit verbreitet waren, handelt es sich hierbei wahrscheinlich größtenteils um außerhalb der Plattformökonomie tätige Lieferdienstfahrer*innen. Darauf deutet auch eine 2024 von den Autor*innen im IAB-Forum publizierte Analyse von Sozialversicherungsdaten von zehn großen App-basierten Lieferdiensten hin. Danach lag die Zahl der abhängig beschäftigten Gig-Worker bei Lieferdiensten in den Jahren 2012 bis 2018 nur zwischen 1.000 und 6.000.
In den Jahren 2020 und 2021, also während der Covid-19-Pandemie, stieg die Zahl der Erwerbstätigen in der Lieferdienstbranche stark an. Dieser Zuwachs ist allerdings auf einen Anstieg der abhängigen Beschäftigung zurückzuführen. Die selbstständige Erwerbsarbeit war dagegen nicht nur anteilig, sondern auch in absoluten Zahlen tendenziell rückläufig: 2021 waren von über 80.000 Erwerbstätigen in der Lieferdienstbranche nur gut 3.000 Personen solo-selbstständig.
Eine ähnlich starke Entwicklung der abhängigen Beschäftigung zeigt sich in der bereits erwähnten Studie aus dem Jahr 2024. Aufgrund der Ähnlichkeit der Trends in beiden Analysen ist anzunehmen, dass es sich bei dem Zuwachs ab 2020 überwiegend um Beschäftigte bei App-basierten Lieferdiensten handelt.
Der Anteil an Solo-Selbstständigen in der Lieferdienstbranche ist stark rückläufig
Abbildung 2 zeigt, wie sich der jeweilige Anteil der Solo-Selbstständigen an allen Erwerbstätigen entwickelt hat – sowohl in der Lieferdienstbranche als auch für alle Branchen im Zeitraum 2012 bis 2021. Zu Beginn des Beobachtungszeitraums gab es in der Lieferdienstbranche überdurchschnittlich viele Solo-Selbständige: Ihr Anteil war mit über 16 Prozent deutlich höher als der Anteil der Solo-Selbständigen an allen Erwerbstätigen mit etwa 6 Prozent.
Bis 2017 blieb der Anteil der Solo-Selbstständigen in der Lieferdienstbranche auf diesem hohen Niveau. Danach sank er stark und lag zuletzt mit gut 4 Prozent auf dem gleichen Niveau wie der Anteil der Solo-Selbständigen an allen Erwerbstätigen. Das starke Wachstum bei Lieferdiensten in den letzten Jahren muss daher vornehmlich auf abhängiger Beschäftigung beruht haben.
Eine Erklärung für den Rückgang des Anteils der Solo-Selbstständigen in der Lieferdienstbranche zum Ende der 2010er Jahre könnte in einem Rechtsstreit zur Arbeitnehmereigenschaft von Plattformarbeiter*innen liegen, der 2018 begann. Dem 2020 verkündeten letztinstanzlichen Urteil des Bundesarbeitsgerichtes zufolge spricht es für ein Arbeitsverhältnis, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuert, dass der Auftragnehmer seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann.
Für Lieferdienstplattformen ist es somit ein rechtliches Risiko, Plattformarbeiter*innen als Solo-Selbstständige zu beschäftigen, wenn sie ihnen via App derlei Vorgaben machen. Der Rückgang der Solo-Selbstständigkeit bei Lieferdiensten in den dargestellten Mikrozensus-Daten könnte also durch die Erwartung des Urteils beeinflusst worden sein.
Fazit
Die Arbeit bei App-basierten Lieferdiensten wird in der öffentlichen Debatte häufig mit Solo-Selbstständigkeit oder gar Scheinselbstständigkeit verbunden. Die hier präsentierten Befunde zeigen allerdings, dass der Großteil der Erwerbstätigen in der Lieferdienstbranche abhängig beschäftigt ist. Zudem ist der Anteil an Solo-Selbstständigen in dieser Branche zwischen 2012 und 2021 deutlich zurückgegangen und hat sich auf einem ähnlichen Niveau wie auf dem Arbeitsmarkt insgesamt eingependelt. Die absolute Zahl der Solo-Selbstständigen bei Lieferdiensten hat tendenziell ebenfalls abgenommen und damit auch die potenziellen Fälle von Scheinselbstständigkeit – zumindest in diesem Teilbereich der Plattformökonomie.
Abhängig Beschäftigte von Lieferdiensten haben Arbeitnehmer*innen-Rechte, etwa einen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Andere Vorteile einer abhängigen Beschäftigung, wie die volle Einbeziehung in die Arbeitslosen- und Rentenversicherung, hängen jedoch vom Arbeitsumfang ab und stehen somit nur einem Teil der Beschäftigten von Lieferdiensten zur Verfügung.
In ihrem 2024 erschienenen Artikel im IAB-Forum haben die Autor*innen dieses Beitrags gezeigt, dass knapp die Hälfte der Beschäftigten von Lieferdiensten auf Minijob-Basis arbeitet und somit nicht die vollen Vorteile einer sozialversicherungspflichtigen abhängigen Beschäftigung genießt. Auch ein weiterer, 2025 im IAB-Forum erschienener Beitrag der Autor*innen deutet auf schlechte Arbeitsbedingungen bei abhängig beschäftigten Gig-Workern bei Online-Lieferdiensten hin. So kündigen diese vergleichsweise häufig aufgrund unangenehmer Arbeitsbedingungen oder geringer Löhne.
Einschränkend ist zu sagen, dass der Trend hin zu anteilsmäßig weniger Solo-Selbstständigkeit in der Lieferdienstbranche keine Rückschlüsse auf die Entwicklung der Solo-Selbstständigkeit in der Plattformökonomie insgesamt zulässt. Solo-Selbstständigkeit kommt möglicherweise in anderen Bereichen der Plattformökonomie häufiger vor. Darauf deutet beispielsweise eine qualitative Studie von Stefanie Gerold und anderen aus dem Jahr 2022 hin. Darin geht es um Reinigungskräfte, die über eine App vermittelt werden.
Digitale Plattformarbeit
Laut der Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat) aus dem Jahr 2023 umfasst Beschäftigung auf einer digitalen Plattform alle Tätigkeiten, die von einer Person über eine oder auf einer digitalen Plattform mit der Absicht ausgeführt werden, ein Entgelt oder einen Gewinn zu erzielen.
Zudem müssen über die digitale Plattform (meist eine Smartphone-App) wesentliche Aspekte der Tätigkeiten gesteuert und/oder organisiert werden, etwa der Zugang zu Kunden, die Bewertung der ausgeführten Tätigkeiten, die für die Durchführung der Arbeit erforderlichen Tools, die Abwicklung von Zahlungen oder die Verteilung und Priorisierung der auszuführenden Arbeiten. Außerdem muss die Arbeit mindestens eine Stunde in einem festzulegenden Bezugszeitraum andauern.
Es kann zwischen ortsungebundener Plattformarbeit (Cloud-Work, zum Beispiel freiberufliche Programmierung, Microtasking) und ortsgebundener Plattformarbeit (Gig-Work, zum Beispiel Fahrdienste, Lieferdienste) unterschieden werden. In dem IAB-Projekt, das diesem Beitrag zugrunde liegt, werden Gig-Worker betrachtet, die für oder unter Vermittlung von ortsgebundenen Plattformen tätig sind. Dazu zählen auch Lieferdienste.
Digitale Arbeitsplattformen können Gig-Work an Solo-Selbstständige vermitteln oder Personen direkt zur Erbringung von Dienstleistungen beschäftigen. App-basierte Lieferdienste in Deutschland beschäftigen in erheblichem Umfang Gig-Worker, etwa als Fahrer*innen („Rider“) oder Lagerarbeiter*innen („Picker“).
Daten
Für die Auswertungen werden Daten des Mikrozensus genutzt. Der Mikrozensus ist die größte jährliche Haushaltsbefragung der amtlichen Statistik in Deutschland und wird seit 1957 von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder durchgeführt. Dafür wird rund 1 Prozent der Bevölkerung in Deutschland zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen befragt. Unter anderem gibt es ausführliche Fragen zur Beschäftigung und auch nach der Stellung im Beruf. Für die Auswertungen wird die Information genutzt, ob eine Person hier „Selbstständiger ohne Beschäftigte“ angibt.
Das Beschäftigungsmerkmal Plattformarbeit wird im Mikrozensus nicht direkt erhoben. Deshalb identifizieren wir Erwerbstätige in der Lieferdienstbranche insgesamt. In dieser Branche spielen digitale Arbeitsplattformen eine wesentliche Rolle. Wir analysieren Beschäftigte in den Berufen „Lagerwirtschaft, Post und Zustellung, Güterumschlag – Helfer-/Anlerntätigkeit“, und „Fahrzeugführung im Straßenverkehr – fachlich ausgerichtete Tätigkeiten“ in Kombination mit Beschäftigung in der Branche „Postdienste von Universaldienstleistungsanbietern und sonstige Post-, Kurier- und Expressdienste“.
Diese Branche-Beruf-Kombinationen sind charakteristisch für App-basierte Lieferdienste. Das haben Friedrich und andere im Jahr 2024 mit Auswertungen von Sozialversicherungsdaten der Beschäftigten von App-basierten Lieferdienste gezeigt. Die Autor*innen dieses Beitrags gehen daher davon aus, dass Beschäftigungstrends bei App-basierten Lieferdiensten durch im Mikrozensus befragte Beschäftigte in diesen Branche-Beruf-Kombinationen approximiert werden können.
Es wurden Daten für die Jahre 2012 bis 2021 ausgewertet, wobei Personen in Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohner*innen ausgeschlossen wurden, da Gig-Work bei App-basierten Lieferdiensten fast ausschließlich in größeren Städten stattfindet und in ländlichen Regionen kaum eine Rolle spielt.
In aller Kürze
- Plattformbeschäftigung wird oft mit Solo-Selbstständigkeit in Verbindung gebracht und entsprechend kritisch diskutiert, da Letztere insbesondere mit einer mangelnden sozialen Absicherung einhergeht.
- Bei Lieferdienstfahrer*innen, deren Tätigkeit häufig über digitale Plattformen gesteuert wird, spielt Solo-Selbstständigkeit in Deutschland aktuell aber nur noch eine untergeordnete Rolle.
- Der Anteil der Solo-Selbstständigen bei Lieferdiensten hat zwischen 2012 und 2021 deutlich abgenommen und lag im Jahr 2021 mit gut 4 Prozent auf dem Niveau aller Erwerbstätigen.
- Auch absolut betrachtet ist die Zahl der Solo-Selbstständigen in dieser Branche tendenziell rückläufig. Damit ist der starke Anstieg der Erwerbstätigkeit bei Lieferdiensten während der Covid-19-Pandemie vor allem auf abhängige Beschäftigung zurückzuführen.
Literatur
Friedrich, Martin; Helm, Ines; Jost, Ramona; Lang, Julia; Müller, Christoph (2024): Gig-Work bei Lieferdiensten in Deutschland: Beschäftigung hat in den letzten Jahren stark zugenommen. In: IAB-Forum, 3.4.2024.
Friedrich, Martin; Helm, Ines; Jost, Ramona; Lang, Julia; Müller, Christoph (2025): App-basierte Lieferdienste in Deutschland: Warum Menschen Gig-Work aufnehmen und meist schnell wieder beenden. In: IAB-Forum, 16.4.2025.
Funke, Corinna; Picot, Georg (2021): Platform work in a coordinated market economy. Industrial Relations Journal, 52 (4), S. 348–363.
Gerold, Stefanie; Gruszka, Katarzyna; Pillinger, Anna; Theine, Hendrik (2022): Putzkraft aus dem Netz – Perspektiven und Erfahrungen von Reinigungskräften in der plattformvermittelten Haushaltsreinigung. Hans Böckler Stiftung, Working Paper Nr. 259.
Müller, Annekathrin (2024): Expertise: Liefern in prekären Verhältnissen. Arbeitsbedingungen bei Lebensmittel- und Essenslieferdiensten in Berlin. Joboption Berlin, ArbeitGestalten.
Bild: Jose/stock.adobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20250604.01
Friedrich, Martin; Helm, Ines; Lang, Julia; Müller, Christoph (2025): Lieferdienste in Deutschland: Solo-Selbstständigkeit hat zwischen 2018 und 2021 stark abgenommen, In: IAB-Forum 4. Juni 2025, https://www.iab-forum.de/lieferdienste-in-deutschland-solo-selbststaendigkeit-hat-zwischen-2018-und-2021-stark-abgenommen/, Abrufdatum: 6. June 2025
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Autoren:
- Martin Friedrich
- Ines Helm
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- Christoph Müller