Zahlreiche Ausbildungsstellen bleiben unbesetzt und in vielen Bereichen haben es die Betriebe schwer, Fachkräfte zu finden. Kaum verwunderlich, dass es in manchen Branchen und Berufsfeldern einen harten Konkurrenzkampf um die Beschäftigten gibt. Diese Konkurrenzlagen nahmen Forschende auf einer gemeinsamen Fachtagung des IAB und des Bundesinstituts für Berufsbildung in den Blick und präsentierten dazu ihre Forschungserkenntnisse.

Seit einiger Zeit gibt es in bestimmten Branchen und Berufen einen Mangel an qualifizierten Fachkräften. Viel schwerer wiegt jedoch, dass auch der Nachwuchs vielerorts ausbleibt. Insbesondere die Digitalisierung stellt zudem ganz neue Anforderungen an die Beschäftigten, wodurch die betrieblichen Weiterbildungsmöglichkeiten immer stärker in den Fokus rücken. Wie reagieren die Betriebe auf diese Herausforderungen? Auf einer gemeinsamen Tagung von IAB und Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) gingen die Forschenden diesen Fragen mit zahlreichen wissenschaftlichen Analysen und Befunden nach.

Walwei: Immer mehr Ausbildungsstellen bleiben unbesetzt

Schon seit vielen Jahrzehnten studieren immer mehr junge Menschen. Das gehe nicht zuletzt zu Lasten der Berufsausbildung, erklärt Prof. Dr. Ulrich Walwei, Vizedirektor des IAB, in seinem Einführungsvortrag. In bestimmten Branchen blieben immer mehr Ausbildungsstellen unbesetzt, so der Arbeitsmarktforscher. Er zeigte sich jedoch zuversichtlich, dass trotz der coronabedingten Wirtschaftskrise die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge nicht in großem Umfang einbricht. Zudem sieht er durchaus gute Chancen, dass Auszubildende am Ende ihrer Ausbildung auch im Corona-Jahr 2020 und im nächstem Jahr von den Betrieben übernommen werden. Als Grund hierfür nannte er, dass die Zahl der jungen Menschen aufgrund des demografischen Wandels zusehends abnimmt.

Ertl: Corona beschleunigt Tendenzen, die sich bereits lange abgezeichnet hatten

Der Forschungsdirektor des BIBB, Prof. Dr. Hubert Ertl, hob in seiner Begrüßung hervor, dass die aktuelle Pandemie einige Tendenzen verstärke, die sich bereits über die letzten Jahre abgezeichnet hätten, wie der stagnierende Anteil von Ausbildungsbetrieben in bestimmten Branchen. Ertl hob außerdem Erhebungen des BIBB hervor: Das BIBB-Qualifizierungspanel, das Referenzbetriebssystem (RBS) und die Kosten-Nutzen-Erhebungen lieferten demnach in der betrieblichen Berufsbildungsforschung wichtige Ergebnisse für die Beratung von Praxis und Politik.

Mühlemann: Warum deutsche Betriebe in Ausbildung investieren

In seiner Keynote „Außer Spesen nichts gewesen? Warum deutsche Betriebe in Ausbildung investieren“ zeigte Prof. Dr. Samuel Mühlemann von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), wie sich die durchaus hohen Einstellungs- und Einarbeitungskosten auf die Entscheidung der Betriebe auswirken, Fachkräfte selbst auszubilden.

Bilden Betriebe aus, investieren sie in das Humankapital ihrer Beschäftigten, so Mühlemann. Diese Investitionen würden sich aber oft erst langfristig durch die Übernahme von Ausbildungsabsolventen im Ausbildungsbetrieb amortisieren. Kurzfristig lohne sich die duale Berufsausbildung in Deutschland nur für eine Minderheit von Betrieben. In anderen Ländern, beispielsweise in der Schweiz, sei dies anders. Die Ausbildungsvergütung sei dort relativ zum Fachkraftlohn deutlich niedriger als in Deutschland.

Es gebe allerdings auch noch andere Gründe, die die Ausbildung von jungen Menschen im eigenen Betrieb zu einer lohnenden Investition machen könnten. Werden Arbeitskräfte nach der Ausbildung übernommen, kann der Betrieb ein besseres Matching zwischen den Anforderungen der Tätigkeit und dem Profil des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin erzielen. Außerdem sei anzunehmen, dass sich solche Arbeitskräfte dem Betrieb häufig stärker verbunden fühlen, was letztlich zu einer größeren Motivation und Produktivität führen könne.

In der direkt an den Vortrag anschließenden Diskussion ging es unter anderem um das Programm „Ausbildungsplätze sichern“, mit dem die Bundesregierung die Folgen der Covid-19-Pandemie auf dem Lehrstellenmarkt abfedern möchte. Das Programm fördert kleine und mittlere Unternehmen mit einer Ausbildungsprämie, wenn diese genauso viele oder mehr Ausbildungsverträge abschließen als im Durchschnitt der letzten drei Jahre.

Mühlemann berichtete in der Diskussion von seinen eigenen empirischen Analysen, denen zufolge ein Ausbildungsbonus, der die betrieblichen Nettoausbildungskosten um zehn Prozent reduziere, zu einer Erhöhung der Nachfrage nach Auszubildenden um ein Prozent führe. Allerdings zeigten bisherige Studien, dass hier nicht unerhebliche Mitnahmeeffekte bestünden.

Das IAB-Betriebspanel und das BIBB-Qualifizierungspanel im Vergleich

Wichtige Erkenntnisse für die Berufsbildungsforschung liefern unter anderem das IAB-Betriebspanel und das BIBB-Qualifizierungspanel. Prof. Dr. Lutz Bellmann und Prof. Dr. Elisabeth M. Krekel stellten deshalb beide Langzeiterhebungen in einem gemeinsamen Vortrag vor.

Lutz Bellmann ist als Leiter des Forschungsbereichs „Betriebe und Beschäftigung“ am IAB auch für das IAB-Betriebspanel verantwortlich. In seinem Vortrag ging er auf die Schwerpunkte ein, die das IAB-Betriebspanel beim Thema Berufsbildung setzt. Dazu gehören Fragen zur betrieblichen Ausbildungsberechtigung und -aktivität sowie die Übernahme von Ausbildungsabsolventen im Ausbildungsbetrieb. Wie viele Ausbildungsstellen der befragte Betrieb nicht besetzen konnte, wird ebenfalls jährlich erhoben. Hinzu kommen Fragen zur betrieblichen Weiterbildungsbeteiligung sowie zu den Hintergründen und der Zusammensetzung der Weiterbildungsteilnehmer. Aber auch in anderen Frage-Modulen wird die Weiterbildung als Thema aufgenommen. Bei der Auswertung der aktuellen Welle ergab sich beispielsweise der Befund, dass Beschäftigte Langzeitarbeitszeitkonten aktuell nur zu 80 Prozent für Weiterbildungszwecke nutzen können, weil die Weiterbildung im Zusammenhang mit der Gestaltung der Arbeitszeit noch eine untergeordnete Rolle spielt.

Elisabeth Krekel, Leiterin der Abteilung Berufsbildungsforschung und Berufsbildungsmonitoring am BIBB und Professorin an der Hochschule Bremen, ging auf das BIBB-Qualifizierungspanel ein. Dieses beinhaltet standardmäßig Fragen zur Ausbildung, zur Personalstruktur, zu Personalbewegungen und zur Weiterbildung. Wie Ergebnisse aus dem Jahr 2018 zeigen, steigt die Digitalisierung in Betrieben – gemessen am betrieblichen Digitalisierungsindex – nicht nur mit der Betriebsgröße deutlich, sondern ist auch in Ausbildungsbetrieben um 6 bis 10 Prozentpunkte höher als in Betrieben, die nicht ausbilden. Die Frage, ob den Auszubildenden am Arbeitsplatz die für die Ausbildung relevanten Technologien vermittelt werden, beantworteten 93 Prozent der Betriebe zustimmend.

Für beide Befragungen spielen in den Befragungswellen für die Jahre 2020 und 2021 auch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die betriebliche Ausbildung eine große Rolle. Dabei geht es nicht nur darum, wie viele Ausbildungsverträge trotz wirtschaftlich schwieriger Lage abgeschlossen werden, sondern auch um die Frage, unter welchen Vorzeichen die Berufsausbildung angesichts des Infektionsrisikos durchgeführt werden kann. Außerdem wird gefragt, wie Prüfungen vonstatten gehen können, welche digitalen Lernformen zum Einsatz kommen und welche Unterstützungsangebote es gibt.

Die Attraktivität der beruflichen Ausbildung

Wie attraktiv ist die berufliche Ausbildung eigentlich noch für Jugendliche? Dieser Frage ging Ariane Neu von der Fernuniversität in Hagen nach. Sie berichtete von ihrer Studie über sogenannte Abiturientenprogramme im Einzelhandel. Dort können Abiturientinnen und Abiturienten eine berufliche Ausbildung absolvieren und werden anschließend für eine Führungsposition im Unternehmen weiterqualifiziert. Neu kam zu dem Ergebnis, dass solche Programme die berufliche Ausbildung gegenüber einem Studium attraktiver machen und den Zugang zu höher qualifizierten Stellen ohne Hochschulabschluss erleichtern.

Jutta Mohr vom Institut für angewandte Wirtschaftsforschung beschäftigte sich mit der berufspraktischen Pflegeausbildung in Zeiten des Fachkräftemangels. Sie wusste zu berichten, dass die eigene Ausbildung von Nachwuchskräften von den Betrieben als zentraler Erfolgsfaktor eingeschätzt wird, um den Bedarf an Pflegefachkräften in der eigenen Einrichtung zu decken.

Die Rekrutierung von Auszubildenden und Fachkräften

Die Mechanismen der Rekrutierung von Auszubildenden hat Sophie Krug von Nidda von der Universität Paderborn analysiert. Sie betonte, dass die Auswahlverfahren und Selektionskriterien der Betriebe je nach Größe und Branche variieren.

Dr. Tobias Maier und Dr. Alexandra Mergener (beide BIBB) untersuchten mit einem Survey-Experiment die betrieblichen Rekrutierungspräferenzen im Hinblick auf Personen mit unterschiedlichen Berufsbildungswegen. Dabei spielte vor allem die Konkurrenzbeziehung zwischen Beschäftigten mit einem Bachelorabschluss und jenen mit einer beruflichen Aufstiegsfortbildung eine Rolle. Es zeigt sich, dass akademische Bildungsformen von größeren Betrieben vermehrt auch durch duale Studienangebote gefördert werden, während die kleineren und mittleren Betriebe berufliche Qualifizierungswege bevorzugen.

Über eine Arbeitgeberbefragung zur „modularen Qualifizierung und Kompetenzfeststellung“ referierten Dr. Andreas Fischer, Kristin Hecker und Dr. Iris Pfeiffer vom Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) in Nürnberg. Dabei berichteten sie, dass es nur wenige Berufe gebe, bei denen eine Mehrheit der Betriebe ausschließlich Stellenbewerberinnen und -bewerber einstellen, die alle mit den entsprechenden Berufen verbundenen Kompetenzen mitbringen. In vielen Fällen reichten für eine Einstellung bereits berufsanschlussfähige Teilqualifikationen aus. Teilqualifikationen seien bei Industrie- und Handelsberufen beispielsweise häufiger ausreichend als im Handwerk.

Digitale Transformation und neue Kompetenzanforderungen

„Die Corona-Krise macht Arbeitgebern und Beschäftigten mit einem Schlag deutlich, was es bedeutet, mobil und remote zu arbeiten“, betonte Dr. Ina Krause, Forscherin an der Technischen Universität Dresden, zu Beginn ihres Vortrags. Tatsächlich hat mit der Verlagerung ins Homeoffice in Zeiten der Covid-19-Pandemie auch die digitale Transformation neuen Schwung erhalten. Krause analysierte, mit welchen neuen Kompetenzanforderungen Beschäftigte konfrontiert sind, wenn Arbeitsprozesse digitaler, virtueller und räumlich flexibler werden.

Myriam Baum und Felix Lukowski (beide BIBB) haben untersucht, wie sich der technologische Wandel auf die Weiterbildungsbeteiligung von Betrieben auswirkt. Ihre Analysen zeigen, dass technische Veränderungen in Betrieben dazu führen,  dass die Beschäftigten vermehrt an kursförmigen betrieblichen Weiterbildungsangeboten teilnehmen. Betriebe sind demnach sowohl an technischen Neuerungen als auch an der Qualifikation ihrer Beschäftigten interessiert.

Die Weiterbildungsmöglichkeiten von Beschäftigten

Welchen Einfluss Betriebsräte und die Tarifbindung auf die betriebliche Weiterbildung haben, analysierte Kathrin Weis (BIBB). Dabei kam sie zu dem Schluss, dass die im Rahmen der Tarifbindung geltenden Vereinbarungen zur Förderung der Weiterbildung der Beschäftigten insbesondere Aufstiegsfortbildungen und kursförmige Weiterbildungen stärken.

Anett Friedrich, ebenfalls Forscherin am BIBB, beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit dem Einfluss von Ausbildungsberufsclustern auf Einkommen und Weiterbildung von qualifizierten Beschäftigten in Kleinstbetrieben. Die Ergebnisse legen nahe, dass sich anhand der Merkmale „Schulabschluss“, „Anzahl an Bewerberinnen und Bewerbern für eine Ausbildungsstelle“, „Anteil unbesetzter Ausbildungsstellen“ und „Ausbildungsstrategie“ vier Ausbildungsberufscluster abgrenzen lassen. Diese Cluster wiederum stehen im Zusammenhang mit den Löhnen, welche die Betriebe an diejenigen Beschäftigten zahlen, die über eine berufliche Qualifikation verfügen.

Migration und Integration von Geflüchteten

Auch wenn die Corona-Krise gerade alles überschattet, darf die immer noch wichtige Herausforderung der Integration von Geflüchteten nicht unter den Tisch fallen. Einen spannenden Beitrag hierzu lieferte Isa Hübel von der Universität Koblenz-Landau. In ihrer Studie zur personalpolitischen Offenheit gegenüber zugewanderten Auszubildenden bei Kleinst- und Kleinunternehmen konnte sie mit qualitativen Interviews zeigen, dass positive Erfahrungen mit Geflüchteten im eigenen Betrieb eine sehr große Rolle für weitere Rekrutierungsentscheidungen spielen.

Patrick Hilse und Laura Roser vom f-bb haben die Teilnahme von Geflüchteten an Maßnahmen der Berufsorientierung untersucht. Auf Basis ihrer Ergebnisse leiten sie die Empfehlung ab, dass diese Maßnahmen noch stärker auf die Besonderheiten und Bedürfnisse von Migrantinnen und Migranten abgestimmt werden sollten. So sollten etwa sprachliche Probleme sowie die Frage, wie vertraut Geflüchtete mit der hiesigen Kultur sind, berücksichtigt werden. Auch auf traumatische persönliche Erfahrungen sollte eingegangen werden.

Die besonderen Herausforderungen für Betriebe bei der Integration Geflüchteter in die duale Ausbildung beleuchtete Gero Scheiermann von der Universität Duisburg-Essen in seinem Vortrag. Dabei stellte er fest, dass vor allem ein ausreichendes Sprachniveau der Geflüchteten, die rechtlichen Rahmenbedingungen und das Vorhandensein von Unterstützungsangeboten großen Einfluss auf eine gelingende Integration von Geflüchteten haben. Auch eine Flexibilisierung und Modularisierung oder eine Teilzeitausbildung wären hilfreich.

Bernhard Wittek und Prof. Dr. Samuel Mühlemann (beide LMU München) untersuchten den Zusammenhang von Migration und Ausbildungsvergütung. In ihrem Vortrag berichteten sie, dass Migranten eine durchschnittlich niedrigere Ausbildungsvergütung erhalten, weil ihnen der Zugang zu Berufen mit höheren Löhnen wie etwa Technikerberufen, faktisch vielfach versperrt ist.

Insgesamt hat die Tagung gezeigt, dass das System der dualen Berufsausbildung kein monolithischer Block, sondern stark differenziert ist: Damit wird einerseits den unterschiedlichen Interessen und Voraussetzungen der Auszubildenden, andererseits den Bedürfnissen der Betriebe Rechnung getragen. Diese nutzen vielfältige Wege der Nachwuchssicherung, während die jungen Erwachsenen vor der Qual der Wahl stehen, welchen Bildungsweg sie einschlagen wollen.

Bellmann, Lutz; Gerhards, Christian (2020): Konkurrenz um Auszubildende und Fachkräfte – wie reagieren die Betriebe?, In: IAB-Forum 18. November 2020, https://www.iab-forum.de/konkurrenz-um-auszubildende-und-fachkraefte-wie-reagieren-die-betriebe/, Abrufdatum: 20. April 2024