Als Praktikant fing Wolfgang Dauth 2006 im Forschungsbereich „Regionale Arbeitsmärkte“ am IAB an – heute leitet er den Bereich und ist zudem Professor an der Universität Bamberg. Er ist nicht nur verwurzelt im Institut, sondern auch in der Region. Zielstrebig widmet er sich seinen Aufgaben, hält große Stücke auf sein Team und beeindruckt mit hoher Expertise. Sein Credo lautet: Die Regionalforschung ist so aktuell wie nie.

Wolfgang Dauth springt schwungvoll von seinem Fahrrad, schnallt den Helm an den Kindersitz auf dem Gepäckträger und parkt es vor dem IAB. Der Fahrradständer ist fast leer. Zum einen ist es winterlich kalt, zum anderen arbeiten viele IAB-Angestellte coronabedingt im Homeoffice.

„Zu Hause zu arbeiten funktioniert in der Wissenschaft zum Glück besser als in vielen anderen Berufen“, sagt Dauth, während er seine FFP2-Maske aufzieht. „Aber solange es die pandemische Situation zulässt, verbringe ich mehrere Präsenztage pro Woche im Büro. Einfach um die Chance zu haben, ein paar Kolleginnen und Kollegen im Bereich anzutreffen.“

Kollegen, die Bezeichnung nutzt er weiterhin – dabei ist er seit einem dreiviertel Jahr ihr Chef. Seit Mai 2021 leitet Wolfgang Dauth den Forschungsbereich „Regionale Arbeitsmärkte“. Jene Abteilung, in der er fünfzehn Jahre zuvor als Praktikant anfing, dann dort als Stipendiat promovierte und seitdem als Wissenschaftler arbeitete.

„Die regionale Arbeitsmarktforschung entdeckte ich im Studium, und seither ist sie mein Thema“, erzählt er. „Und gerade die Regionalforschung profitiert enorm von einer engen Anbindung an die Politik und die Praxis vor Ort. Diese Anbindung bieten das IAB und die BA.“ Obwohl sich andere Karrieremöglichkeiten ergeben hätten, wollte er unter anderem deshalb nie weg vom Institut. Und das IAB schätzt sich glücklich, ihn gehalten zu haben.

„Die Regionalforschung im IAB ist gut aufgestellt“, sagt er. „Aber ich möchte sie noch weiter voranbringen. Das Tolle an meiner neuen Position ist, dass ich jetzt darauf Einfluss habe.“ Die Freude darüber ist ihm deutlich anzumerken. Er eilt die Treppenstufen zu seinem Büro im vierten Stock hoch ohne anzuhalten. Gleich wird er sich einen Kaffee machen und seinen eng getakteten Tagesplan durchgehen. Doch was umfasst die Erforschung von regionalen Arbeitsmärkten im IAB eigentlich genau?

Regionalforschung ist Ungleichheitsforschung

„Wenn wir Regionen in den Blick nehmen, betreiben wir oftmals eine Analyse von Ungleichheiten“, erklärt Wolfgang Dauth. „Denn die Unterschiede zwischen den regionalen Arbeitsmärkten sind enorm. Manche Regionen boomen, andere hadern mit sinkenden Einwohnerzahlen und gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit.“

Das große Gefälle zwischen Ost- und Westdeutschland ist den meisten Menschen bekannt. Aber auch innerhalb von Bundesländern finden sich erhebliche Unterschiede, zum Beispiel zwischen Stadt und Land. „Wir fragen uns: Woher kommen diese Unterschiede? Wie entwickeln sie sich? Welche Wechselbeziehungen gibt es zwischen den Regionen, zum Beispiel durch Mobilität?“, sagt Dauth.

Eine zentrale Bedeutung spiele hierbei eine Dimension, die in anderen Feldern der Arbeitsmarktforschung oft wenig beachtet wird: die Entfernung. Je näher sich Regionen oder Betriebe sind, desto mehr Austausch und Wechselwirkungen gibt es. So haben die Forschenden beispielsweise belegt, dass Betriebe meist produktiver sind, wenn sie in räumlicher Nähe zu anderen Betrieben derselben Branche oder Lieferkette angesiedelt sind.

Von der Regionalforschung des IAB profitiert auch die Arbeitsverwaltung, wie Dauth deutlich macht: „Mithilfe unserer Erkenntnisse kann die Arbeitsmarktpolitik ihre Instrumente viel zielgenauer einsetzen, sodass Fördermaßnahmen dort landen, wo sie am besten wirken. In dieser Hinsicht beraten wir intensiv die Bundesagentur für Arbeit. Regionalforschung hilft aber auch, gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge insgesamt besser zu erklären.“

Hinzu kommt: Der Strukturwandel durch Digitalisierung und ökologische Wende, aber auch die demografische Entwicklung verstärken die Ungleichheit zwischen den Regionen. „Unsere Forschung ist deshalb so aktuell und vielfältig wie nie“, betont Dauth.

Innovativ nennt er dabei etwas, was für Uneingeweihte auf den ersten Blick fast trivial erscheint: den Fokus auf das ganz Kleinteilige. Das Lokale. Die Regionalforschung des IAB verfügt nämlich über einen kostbaren Datenschatz, der den Forschenden diesen Fokus erst seit ein paar Jahren ermöglicht: die georeferenzierten Daten.

Der Schatz der georeferenzierten Daten

„Früher stoppte die statistische Auswertung auf Gemeinde-Ebene. Tiefer ging es nicht“, erklärt Dauth. „Dabei macht es in einer Großstadt wie Nürnberg einen bedeutenden Unterschied, ob ich etwa die Südstadt oder die Nordstadt betrachte. Die Stadtteile weisen eine völlig andere Siedlungsstruktur auf, dort wohnen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen und arbeiten in strukturell unterschiedlichen Betrieben. Doch solche Einblicke blieben unserer Arbeitsmarktforschung lange statistisch verwehrt. Mithilfe der georeferenzierten Daten können wir solche lokalen Mechanismen endlich nachverfolgen — zum Beispiel, welche Arbeitswege die Menschen innerhalb ihrer Stadt zurücklegen. Oder welchen Einfluss die Nachbarschaft und die Infrastruktur am Wohnort auf individuelle berufliche Chancen hat.”

Interessant findet Dauth auch die Wechselwirkungen zwischen Wohnungs- und Arbeitsmarkt – etwa, indem Immobilienpreise beeinflussen, wo sich Betriebe niederlassen und welche Löhne sie zahlen müssen, um qualifiziertes Personal zu finden. „In der Erforschung solcher Fragen liegt riesiges Potenzial“, sagt Dauth. In diese Richtung will er ein Hauptaugenmerk der Forschung legen und Ideen entwickeln. Deshalb hat er einen Immobilienökonomen in sein Team geholt. Auch vorher schon war der Forschungsbereich, den er leitet, breit aufgestellt: Forschende aus Ökonomie,  Soziologie und Geographie arbeiten dort zusammen.

Ein nettes Team an einem Tisch

„Wir bieten eine gute Mischung aus Disziplinen, aus Nachwuchskräften und Erfahrenen, aber vor allem aus netten Leuten, die sich verstehen“, findet Dauth. Die gute Stimmung hielt den Bereich nicht nur während der Pandemie zusammen. Sie hat seiner Meinung nach auch seinen Einstieg als Chef deutlich erleichtert: „Dass wir uns seit Jahren kennen, war bisher nur von Vorteil für mich“, sagt er. „Die Kolleginnen und Kollegen, die mich damals im Team als Praktikant herzlich willkommen hießen und mir vieles beibrachten, haben mir jetzt ebenso herzlich zur neuen Position gratuliert.“

Die gegenseitige Vertrautheit hat ihm auch den Einstieg in der neuen Position in einer Zeit erleichtert, in der das Zusammenarbeiten aufgrund des Lockdowns nur virtuell möglich war. Gleich in den ersten Wochen nach seinem Amtsantritt holte er sie alle per Videoschalte an einen Tisch, um gemeinsam einen großen Drittmittel-Antrag zu schreiben. Das Team bewarb sich bei einer internationalen Ausschreibung um die Finanzierung eines Forschungsprojekts zu den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die räumliche Struktur des Arbeitsmarktes. Dabei soll untersucht werden, ob die gestiegene Akzeptanz des Arbeitens von zuhause dazu führt, dass künftig Wohn- und Arbeitsorte weiter auseinanderliegen. Dies könnte für Betriebe im ländlichen Raum neue Chancen eröffnen, Fachkräfte zu gewinnen, die nicht vor Ort wohnen.

Die Konkurrenz bei solchen Ausschreibungen ist groß, der Ausgang der Antragsprüfungen nach wie vor offen. „Forschungsalltag“ nennt Dauth das. „Egal, wer die Mittel schlussendlich bekommt, die Anstrengung hat sich jetzt schon gelohnt. Wir haben einige neue Ideen entwickelt, uns international stärker vernetzt und zugleich noch besser kennengelernt.“

Die sozialen Treffen im Team vermisst er, gibt Wolfgang Dauth offen zu. Jetzt veranstalten sie virtuelle Kaffeerunden und regelmäßige „Flash-Talks“, bei denen der gesamte Bereich über Probleme diskutiert, an denen einzelne Personen gerade arbeiten. Weil Dauth noch nie ein Wissenschaftler war, der im stillen Kämmerchen forscht, empfindet er den intensiven inhaltlichen Austausch als mit das Spannendste an seiner neuen Position.

„Vorher wusste ich zwar, was die anderen gerne in der Kantine essen“, sagt er. „Aber ich wusste oft nicht genau, was sie forschen.“ Was auch daran lag, dass er in den letzten Jahren am IAB nur in Teilzeit angestellt war. Den größeren Teil seiner Arbeitszeit arbeitete er als Junior-Professor an der Universität Würzburg. Dort schärfte er sein Profil in Forschung und Lehre und etablierte sich international im Feld der Regional- und Stadtökonomik.

Für eigene Forschung bleibt wenig Zeit

In seiner neuen Position am IAB bleibt er dem Universitätsbetrieb weiterhin eng verbunden. Denn er hat nun eine Professur an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg inne. Mindestens alle vierzehn Tage setzt er sich in den Zug, um in die oberfränkische Stadt zu fahren. Er leitet dort den Lehrstuhl für Regionale Arbeitsmarktökonomie. Und er hält ein Seminar zur empirischen Arbeitsmarktforschung.

Zum Forschen kam er in letzter Zeit nicht genug, sagt er kritisch. Die Leitungsposition nehme den größten Raum in seinem Kalender ein. Raum, den er gern investiert, vor allem, wenn es um seine Mitarbeitenden geht. Außerdem bringt er sich ein in die Leitungsgremien des IAB, bereitet sich gründlich auf deren Meetings vor – er will etwas bewegen, sieht sich gleichzeitig jedoch auch immer noch als Lernender. Genau deshalb bleibt er optimistisch, was seine Forschungszeit angeht. „Allmählich blicke ich durch im Dschungel der Administration“, sagt er. „Bald kann ich wieder mehr Stunden in meine wissenschaftliche Arbeit investieren.“

Denn die treibt ihn an, früher auch deutlich über die üblichen Arbeitszeiten hinaus. Heute achtet er mehr auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Er sei zwar ein Vollblut-Forscher – aber eben auch zweifacher Vater. „Die natürliche Grenze für Überstunden ist meine Familie.“ Jeden Morgen bringt er die beiden Kinder mit dem Fahrrad zur Kita, teilt sich Kinderbetreuung und Elternzeiten gleichberechtigt mit seiner Frau. Sie arbeitet ebenfalls Vollzeit, als Professorin an der Hochschule Ansbach. Bis vor kurzem hat sie auch am IAB geforscht, dort haben sie sich kennengelernt.

Nicht nur ein Regionalforscher, sondern auch ein regionaler Forscher

„Ich habe einfach Glück, dass ich mich hier rundum wohlfühle“, sagt er. „Sowohl im IAB als auch in der Stadt bin ich verwurzelt.“ Er hat in Nürnberg studiert, im Nürnberger Umland ist er aufgewachsen. „Ich bin eben nicht nur ein Regionalforscher, ich bin auch ein regionaler Forscher“, sagt er und lacht.

Dennoch bringt ihn seine Arbeit durchaus um die ganze Welt. Unvergessen bleibt ihm, wie er 2019 mit einer Delegation der Europäischen Kommission nach Taiwan reiste, und dort nach Beratungen mit der Regierung abends mit der taiwanesischen Arbeitsministerin Karaoke sang. Er kooperiert mit zahlreichen international Forschenden. „Die Regionalforschung ist ein international sehr stark vernetztes Forschungsfeld“, sagt er. „Auch wenn sich die regionalen Besonderheiten natürlich zwischen den Ländern unterscheiden, sind die Wirkungsmechanismen doch oft dieselben.“

Das Großräumige und das Kleinräumige hängen zusammen. So wie die Mikro-Ebene der georeferenzierten Daten dem Forscher Erkenntnisse über gesamtökonomische Relationen bringt. In seinem Privatleben schätzt Wolfgang Dauth ebenfalls die Verknüpfung von Lokalem und Globalem: Er geht mit seiner Familie jeden Samstag auf den Wochenmarkt zum Einkaufen und kocht sonntags aus den regionalen Lebensmitteln Gerichte aus aller Welt. Bevor er sich am Montag wieder auf sein Fahrrad schwingt, die Kinder zur Kita bringt und zum IAB radelt, um mit seinem Team die regionale Arbeitsmarktforschung international voranzubringen.

 

doi: 10.48720/IAB.FOO.20220210.01