Frauen beziehen im Schnitt länger Leistungen aus der Grundsicherung als Männer. Das liegt auch daran, dass sie sich schwerer tun, eine bedarfsdeckende Erwerbsarbeit zu finden. So bietet der Arbeitsmarkt vor Ort Frauen und Männern zum Teil unterschiedlich gute Beschäftigungschancen. Hinzu kommt, dass sich Frauen häufiger um die Betreuung von Kindern oder um die Pflege von Angehörigen kümmern.

Als Anfang des 20. Jahrhunderts Anita Augspurg, eine Vorkämpferin für das Frauenwahlrecht, in einem Omnibus durch Berlin fuhr, war es Frauen erst seit Kurzem gestattet, auf dem Oberdeck Platz zu nehmen. Seit diesen Tagen hat sich viel in der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern getan. Ungleichheiten bestehen jedoch immer noch in zahlreichen Bereichen der Gesellschaft. Ein Beispiel dafür sind Geschlechterunterschiede in der Grundsicherung.

Frauen und Männer beziehen zwar in etwa gleich häufig Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ihre Chancen, eine bedarfsdeckende Beschäftigung aufzunehmen, sind jedoch unterschiedlich groß. Obwohl Männer insgesamt ein etwas höheres Risiko aufweisen, in den Leistungsbezug zu rutschen, nehmen sie schneller als Frauen wieder eine Erwerbsarbeit auf. Sie können somit den Grundsicherungsbezug früher beenden. Das IAB ist den Gründen für diese Unterschiede nachgegangen. Wie sich zeigt, sind die Hürden für eine Erwerbsintegration von Frauen aufgrund von geschlechtsspezifischen Unterschieden im Hinblick auf Arbeitsmarktstrukturen und Lebenslagen im Schnitt höher als bei Männern.

Lokaler Arbeitsmarkt bietet unterschiedliche Beschäftigungschancen für Frauen und Männer

Ein wichtiger Faktor für die Erwerbsintegration von Arbeitsuchenden ist die Arbeitsmarktlage vor Ort, denn sie eröffnet Frauen und Männern in der Regel unterschiedliche Jobperspektiven. Die Verteilung von Betrieben und Branchen variiert grundsätzlich von Region zu Region. Frauen und Männer wählen zugleich unterschiedliche Berufe und arbeiten in unterschiedlichen Branchen. Während Frauen im Allgemeinen eher im Dienstleistungssektor tätig sind, arbeiten Männer eher in der Industrie und im Baugewerbe.

Im Jahr 2017 lag der Frauenanteil unter den Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit bei 77 Prozent, im Verarbeitenden Gewerbe hingegen bei 25 Prozent. Die Bedeutung des Verarbeitenden Gewerbes ist zugleich jedoch von Region zu Region höchst unterschiedlich.

Neben der Branche spielt die berufliche Qualifikation bei der Überwindung von Arbeitslosigkeit eine Rolle. Wie Kerstin Bruckmeier und Kathrin Hohmeyer im IAB-Kurzbericht 2/2018 zeigen, schafft insbesondere die Nachfrage nach Arbeitskräften im Helferbereich Beschäftigungsmöglichkeiten für erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Mit solchen überwiegend manuellen Tätigkeiten, die in der Regel keine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzen, konnten im Jahr 2013 gut zwei Fünftel der Arbeitslosen, die Leistungen aus dem SGB II beziehen, ihre Arbeitslosigkeit überwinden. Bei der Gesamtzahl der Arbeitsaufnahmen im selben Jahr entfiel hingegen nur etwa ein Viertel der neu geschlossenen Beschäftigungsverhältnisse auf Helferstellen.

Generell sind mehr Männer als Frauen in Helfertätigkeiten beschäftigt, auch wenn diese beiden Geschlechtern formal in gleicher Weise offenstehen: Der Anteil der Erwerbspersonen im Helferbereich beträgt deutschlandweit bei Männern 2,5 Prozent, bei Frauen 1,6 Prozent. Gleichzeitig ist unter den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten der Anteil der geringqualifizierten arbeitslosen Frauen an allen arbeitslosen Frauen mit 59,3 Prozent höher als bei den Männern mit 55,8 Prozent. Im Vergleich zu den Männern gibt es also bei den Frauen ein entsprechend größeres Arbeitsangebot für Beschäftigungsmöglichkeiten in einfachen Tätigkeitsfeldern.

Aufschlussreich ist zudem ein Blick auf die regionale Verteilung von einfachen Tätigkeitsfeldern. So bieten sich Männern in den meisten Regionen deutlich mehr Beschäftigungsmöglichkeiten als Frauen. In einigen Regionen übersteigt der Beschäftigtenanteil der Männer in einfachen Tätigkeitsfeldern denjenigen der Frauen sogar um ein Vielfaches. Dies geht aus Abbildung 1 hervor. Die dort gezeigten Beschäftigtenanteile beziehen sich jeweils auf diejenigen fünf Branchen, die – bezogen auf das jeweilige Geschlecht – bundesweit den höchsten Anteil an geringqualifizierter Beschäftigung aufweisen (eine nähere Beschreibung finden Sie im IAB-Forschungsbericht 11/2013).

Abb. 1: Beschäftigten in einfachen Tätigkeitsfeldern in deutschen Kreisen, 2017

Frauen stehen dem Arbeitsmarkt seltener als Männer unmittelbar zur Verfügung

Nicht nur die Lage auf dem regionalen Arbeitsmarkt spielt eine Rolle für die erfolgreiche Besetzung offener Stellen. Auch verschiedene Lebenslagen beeinflussen das Ausmaß, in dem Frauen und Männer unmittelbar für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen (siehe Abbildung 2).

Unter den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten sind 42 Prozent der Männer arbeitslos, können also eine offene Stelle antreten, wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet. Bei den Frauen trifft dies nur auf 34 Prozent zu. Männer nehmen zudem häufiger an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teil und verbessern dadurch tendenziell ihre Integrationschancen. Für etwa jede siebte Frau kommt eine Erwerbsarbeit dagegen nicht oder nur bedingt in Betracht, weil sie sich um die Betreuung von Kindern oder um die Pflege von Angehörigen kümmert. Für Männer trifft dies nur vereinzelt zu.

Erwerbsfähige Leistungsberechtigte nach Erwerbsstatus und beschäftigungsrelevanten Lebenslagen, 2017

Die Integrationsquote von Frauen in Paarhaushalten und Frauen mit Kindern ist niedriger

Die Integrationsquoten von leistungsberechtigten Frauen und Männern unterscheiden sich je nach Haushaltskonstellation mehr oder weniger deutlich (siehe Abbildung 3). Bei alleinlebenden Personen fällt der Unterschied in der Integrationsquote mit sechs Prozentpunkten vergleichsweise gering aus. In Paarhaushalten jedoch, insbesondere solchen mit Kindern, ist die Differenz zwischen den Geschlechtern beträchtlich. So gelang im Jahr 2017 knapp 35 Prozent der erwerbsfähigen Männer aus Paarhaushalten mit Kindern der Sprung in Arbeit oder Ausbildung, aber nur rund 12 Prozent der Frauen.

 

Abbildung 3: Integrationsquote nach Typ der Bedarfsgemeinschaft, 2017

In Paarhaushalten wirken sich sowohl die Berufserfahrung von Partner und Partnerin als auch die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern auf die Erwerbsintegration der Frauen aus. Eva Kopf und Cordula Zabel haben in ihrem Beitrag „Für die Beschäftigungschancen von Hartz-IV-Bezieherinnen spielt auch der Partner eine Rolle“ im IAB-Forum dargelegt, dass es Frauen seltener gelingt, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen, wenn sie im Gegensatz zu ihrem Partner über wenig Berufserfahrung verfügen. Eine solche Paarkonstellation resultiert nicht selten aus der traditionellen Geschlechterrolle, die dem Mann die Vollzeiterwerbsarbeit und der Frau die Verantwortung für Haushalt und Kinder zuschreibt.

Umgekehrt können eine geringere Berufserfahrung und damit geringere Arbeitsmarktchancen von Frauen dazu beitragen, dass Paare an der traditionellen Aufgabenteilung festhalten. Frauen aus solchen Paarhaushalten nehmen zudem seltener an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik teil.

Die Wechselbeziehung zwischen geringerer Berufserfahrung und traditioneller Arbeitsteilung verstärkt sich noch, wenn Kinder im Haushalt leben: So nehmen Mütter sowohl im Vergleich zu alleinstehenden Frauen als auch im Vergleich zu Vätern seltener eine Erwerbsarbeit auf.

Ein unzureichendes Angebot an Kinderbetreuung erschwert die Erwerbsintegration von Frauen

Eine gut ausgebaute Infrastruktur im Bereich der Kinderbetreuung ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, Müttern in Paarfamilien eine Arbeit jenseits des traditionellen Familienmodells zu erleichtern und Alleinerziehenden eine Erwerbsarbeit zu ermöglichen, die ihnen ein eigenständiges Einkommen sichert. Ob Mütter im Grundsicherungsbezug, egal ob alleinerziehend oder nicht, eine Arbeit aufnehmen, hängt neben der eigenen Qualifikation und Erwerbserfahrung maßgeblich vom Aufwand der Kinderbetreuung im Haushalt ab. Dies zeigt eine 2016 erschienene Studie von Torsten Lietzmann, die in der Reihe IAB-Bibliothek erschienen ist. Je jünger die Kinder sind und je mehr Kinder im Haushalt leben, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Mutter eine Erwerbstätigkeit aufnimmt. Darüber hinaus handelt es sich bei den Arbeitsaufnahmen mehrheitlich um geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, die nur selten zum Ende des Leistungsbezugs führen.

Um Müttern die Aufnahme einer Beschäftigung mit einem höheren Stundenumfang zu ermöglichen, muss die Kinderbetreuung gesichert sein. Allerdings unterscheidet sich die Betreuungsinfrastruktur sowohl zwischen den Bundesländern als auch zwischen einzelnen Städten und Kreisen. Neben dem Angebot an Kindergärten und -krippen als solches entscheiden insbesondere ausreichend lange Betreuungszeiten darüber, ob ein Elternteil eine Erwerbsarbeit aufnehmen kann.

Fazit

Die Wahrscheinlichkeit, aus der Grundsicherung heraus eine Erwerbsarbeit aufzunehmen, ist für Frauen und Männer unterschiedlich groß. Ein Grund dafür ist, dass sich auch deren Beschäftigungschancen auf den lokalen Arbeitsmärkten mehr oder weniger stark unterscheiden. Zudem variiert das Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen von Region zu Region.

Fehlende Betreuungsangebote erschweren vor allem Frauen die Integration in den Arbeitsmarkt, weil die Betreuung von Kindern ebenso wie die Pflege von Angehörigen überwiegend von ihnen geleistet wird. Aus diesem Grund entscheiden die Jobcenter bei Müttern häufiger als bei Vätern, dass eine Erwerbsarbeit nicht zumutbar ist. Denn § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II sieht eine Arbeit als unzumutbar an, wenn dadurch die Erziehung des Kindes gefährdet würde. Dabei gilt in der Regel ab dem vierten Lebensjahr des Kindes, dass eine Erwerbsarbeit der Eltern die Erziehung des Kindes nicht gefährdet.

Frauen in Paarbeziehungen weisen allerdings selbst dann geringere Integrationsquoten auf als Männer, wenn keine Kinder im Haushalt leben. Demnach scheint also auch die traditionelle Aufgabenteilung zwischen den Geschlechtern die Wahrscheinlichkeit zu mindern, dass Frauen eine Erwerbsarbeit aufnehmen.

Die Aufgabenteilung zwischen den Geschlechtern in einem Paarhaushalt erfolgt allerdings nicht nur auf der Basis von Wertvorstellungen. Sie dürfte auch ein Resultat praktischer und materieller Erwägungen sein. Politische Maßnahmen, die geschlechtsspezifische Ungleichheiten am Arbeitsmarkt mindern, sollten daher tendenziell auch die Erwerbsintegration von Frauen verbessern. Eine Politik, die sich zum Ziel gesetzt hat, Frauen zügiger aus der Grundsicherung heraus in eine Erwerbsarbeit zu bringen, sollte deshalb Familien besser unterstützen und die Weiterbildung von Frauen fördern.

Solange überwiegend Frauen die Kindererziehung übernehmen und der berufliche Wiedereinstieg für Mütter umso schwieriger wird, je länger sie nicht in ihrem Beruf arbeiten, könnte eine frühzeitige Beratung und Unterstützung ihre Integration in den Arbeitsmarkt fördern. Das gilt auch dann, wenn die Kinder noch klein sind.

Angesichts des relativ hohen Anteils geringqualifizierter Frauen in der Grundsicherung und eines begrenzten Angebots an Helfertätigkeiten erscheint es zudem ratsam, verstärkt Weiterbildungen für qualifiziertere Tätigkeiten anzubieten – idealerweise auch in Teilzeit –, um die Erwerbschancen arbeitsuchender Frauen zu verbessern.

 

Literatur

Bruckmeier, Kerstin; Hohmeyer, Katrin (2018): Arbeitsaufnahmen von Arbeitslosengeld-II-Empfängern: Nachhaltige Integration bleibt schwierig, IAB-Kurzbericht Nr. 2.

Bundesagentur für Arbeit (2019): Die Arbeitsmarktsituation von Frauen und Männern 2018, Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt, Nürnberg: Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung.

Dauth, Wolfgang; Dorner, Matthias; Blien, Uwe (2013): Neukonzeption der Typisierung im SGB-II-Bereich: Vorgehensweise und Ergebnisse. IAB-Forschungsbericht Nr. 11.

Kopf, Eva; Zabel, Cordula (2017): Für die Beschäftigungschancen von Hartz-IV-Bezieherinnen spielt auch der Partner eine Rolle. IAB-Forum, 12.10.2017

Lietzmann, Torsten (2016): Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit im Bereich prekärer Einkommen. IAB-Bibliothek 357, Bielefeld: W. Bertelsmann.

Bähr, Holger; Frodermann, Corinna ; Fuchs, Michaela; Lietzmann, Torsten; Rossen, Anja; Zabel, Cordula (2020): Frauen müssen mitunter höhere Hürden überwinden, um aus der Grundsicherung heraus eine Arbeit aufzunehmen, In: IAB-Forum 20. März 2020, https://www.iab-forum.de/frauen-muessen-mitunter-hoehere-huerden-ueberwinden-um-aus-der-grundsicherung-heraus-eine-arbeit-aufzunehmen/, Abrufdatum: 18. April 2024