Männer und Frauen bewerben sich selbst innerhalb eng definierter Berufe auf unterschiedliche Stellen. Das erklärt einen erheblichen Teil des Gender-Pay-Gaps, also des Unterschieds im Durchschnittsverdienst von Frauen und Männern. Zu diesem Ergebnis kommen Benjamin Lochner und Christian Merkl in einem aktuellen IAB-Kurzbericht. Die Redaktion des IAB-Forum hat bei Benjamin Lochner nachgefragt.

Welche Rolle spielt Ihren Analysen zufolge das unterschiedliche Bewerbungsverhalten von Männern und Frauen für den Gender-Pay-Gap?

Zwei Abläufe im Einstellungsprozess können zum Gender-Pay-Gap beitragen. Zum einen, wenn sich im Durchschnitt weniger Frauen als Männer auf gut bezahlte Stellen bewerben. Zum anderen, wenn sich Frauen zwar auf gut bezahlte Stellen bewerben, sie dort aber weniger häufig eingestellt werden. In unserer Studie finden wir vor allem Evidenz für Verdienstunterschiede, die auf der ersten Stufe entstehen. Wir beobachten, dass sich Frauen im Vergleich zu Männern viel seltener bei Hochlohnbetrieben bewerben. Der Anteil der männlichen Bewerber beträgt dort im Durchschnitt etwa 64 Prozent. Diese Unterschiede im Bewerbungsverhalten können einen erheblichen Teil der Verdienstlücke erklären.

Der Anteil der männlichen Bewerber auf Stellen in Hochlohnbetrieben beträgt im Durchschnitt etwa 64 Prozent.

Sie haben auch das Einstellungsverhalten, also die von Ihnen beschriebene zweite Stufe des Einstellungsprozesses, untersucht. Gibt es empirische Evidenz dafür, dass Hochlohnbetriebe männliche Bewerber bevorzugen?

Generell zeigt sich, dass die Chancen, aus dem Bewerbungspool ausgewählt zu werden, bei Hochlohnbetrieben geringer sind als bei Niedriglohnbetrieben. Besser bezahlende Betriebe können also generell selektiver im Auswahlprozess sein als Betriebe, die weniger bezahlen. Vergleicht man allerdings die geschlechtsspezifische Auswahlwahrscheinlichkeit, so sehen wir keine messbaren Unterschiede. Beide Geschlechter haben also im Durchschnitt in etwa die gleiche Chance ausgewählt zu werden, sofern sie sich denn bewerben.

Beide Geschlechter haben im Durchschnitt in etwa die gleiche Chance ausgewählt zu werden, sofern sie sich denn bewerben.

Portrait Benjamin Lochner

Dr. Benjamin Lochner ist  wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich „Arbeitsmarktprozesse und Institutionen“ des IAB sowie am Lehrstuhl für Makroökonomik an der Universität Erlangen Nürnberg.

Oft wird argumentiert, dass Verdienstunterschiede dadurch zustande kommen, weil Frauen und Männer in ganz unterschiedlichen Berufen und Branchen arbeiten. Sind die von Ihnen beschriebenen Muster auch innerhalb der gleichen Berufe und Branchen zu beobachten?

Es gibt in der Tat starke Geschlechterunterschiede in den ausgeübten Berufen. Dies zeigt sich natürlich auch im Bewerbungsverhalten. Wir sehen zum Beispiel die höchste männliche Bewerbungsquote in Hoch- und Tiefbauberufen. Den höchsten Anteil von Frauen sehen wir bei den Erziehungsberufen. Innerhalb von Berufen sind die Unterschiede in den Bewerbungsquoten bei Hochlohnbetrieben deutlich kleiner. Wenn wir Männer und Frauen miteinander vergleichen, die sich auf gleiche Berufe bewerben, beobachten wir, dass sich Männer um in etwa 7 Prozentpunkte häufiger bei den besser bezahlenden Betrieben bewerben.

Sie haben festgestellt, dass die Verdienstdifferenz zwischen Frauen und Männern bei denjenigen Jobs besonders hoch ist, bei denen sich im Schnitt besonders viele Männer bewerben. Warum ist das so?

Es gibt gewisse Stellenmerkmale, die von Betrieben besonders hoch entlohnt werden und die von Männern häufiger akzeptiert werden als von Frauen. Wir zeigen, dass dies für bestimmte arbeitgeberseitige Flexibilitätsanforderungen zutrifft. Wenn Bewerber*innen diese Anforderungen unabhängig vom Geschlecht erfüllen können, sind sie für Arbeitgeber, die diese Stellen besetzen wollen, besonders gefragt und werden besonders hoch entlohnt.

Wenn Bewerber*innen arbeitgeberseitige Flexibilitätsanforderungen erfüllen können, werden sie besonders hoch entlohnt.

Welche Faktoren sind es hier konkret, die diese Stellen für viele Frauen unattraktiv machen?

Männer bewerben sich insgesamt häufiger auf Stellen mit höherer Arbeitszeit. Außerdem beobachten wir, dass sich Männer häufiger auf Stellen bewerben, bei denen mehr Überstunden geleistet werden müssen. Wir können auch zeigen, dass sich mehr Männer auf Stellen bewerben, bei denen es kurzfristige Änderungen im zeitlichen Arbeitsplan gibt. Am deutlichsten ist dieses Muster allerdings bei Stellen, die mit hoher beruflicher Mobilität, also zum Beispiel vielen Dienstreisen oder wechselnden Arbeitsorten, verbunden sind. Auf solche Stellen bewerben sich im Durchschnitt fast 70 Prozent Männer und nur 30 Prozent Frauen.

Bei Stellen, die eine hohe berufliche Mobilität erfordern, liegt der Anteil von Frauen unter den Bewerber*innen nur bei 30 Prozent.

Welchen Unterschied macht es für die Verdienstlücke zwischen Männern und Frauen, wenn letztere Kinder haben?

Da Frauen im Durchschnitt mehr Sorgearbeit als Männer übernehmen, sind Stellen mit hohen Flexibilitätsanforderungen seltener attraktiv für sie. Bei Müttern ist dieser Unterschied deutlich erkennbar. Sie haben im Vergleich zu Männern und zu kinderlosen Frauen die höchsten Verdiensteinbußen.

Sie haben auch das Pendelverhalten von Frauen und Männern miteinander verglichen. Wie wirkt sich dies auf den Gender-Pay-Gap aus?

Wir sehen, dass Männer im Schnitt weitere Strecken pendeln als Frauen. Die geringsten Pendeldistanzen haben Frauen mit Kindern. Da besser bezahlte Stellen im Schnitt weiter vom Wohnort entfernt sind, resultieren die Unterschiede im Pendelverhalten dann in Verdienstunterschieden zwischen den Geschlechtern. Man könnte das Pendelverhalten also als Indiz dafür interpretieren, dass Frauen, vermutlich wegen des höheren Anteils an Sorgearbeit, seltener bereit sind als Männer, zu weiter entfernten Hochlohnbetrieben zu pendeln.

Männer nehmen im Schnitt längere Pendeldistanzen in Kauf.

Oft wird argumentiert, dass Männer in Gehaltsverhandlungen aggressiver auftreten als Frauen und dies zu Verdienstunterschieden führt. Finden Sie hierfür Evidenz?

Das individuelle Verhandlungsgeschick spielt im Einzelfall mit Sicherheit eine Rolle. Wenn wir aber tarifgebundene Betriebe mit solchen ohne Tarifbindung vergleichen, zeigt sich, dass die Muster in den geschlechtsspezifischen Bewerbungsquoten ganz ähnlich sind. Wenn es so wäre, dass Frauen systematisch schlechter verhandeln als Männer, ihnen aber die Entlohnung gleich wichtig ist, würden wir eher erwarten, dass sie sich verstärkt bei tarifgebundenen Betrieben bewerben. Bei solchen Betrieben werden die Entgeltstrukturen ja im Wesentlichen durch die Tarifparteien festgelegt und es kommt weniger darauf an, wie gut individuell verhandelt wird. Wir beobachten aber, dass sich unabhängig von der Tarifbindung mehr Männer bei Hochlohnbetrieben bewerben und dass dort der Anteil der männlichen Bewerbungen in etwa gleich hoch ist. Diese Erkenntnis deckt sich mit den Befunden aus der Forschung. Demnach treibt das oben beschriebene geschlechterspezifische Bewerbungsverhalten die Verdienstunterschiede stärker als das geschlechtsspezifische individuelle Verhandlungsgeschick.

Die Betriebe könnten überdenken, ob wirklich jede Flexibilitätsanforderung noch notwendig ist.

Welche Maßnahmen könnten Ihrer Meinung nach dazu beitragen, die Verdienstlücke zu reduzieren?

Die Personalverantwortlichen in den Unternehmen könnten sich fragen, ob manche Flexibilitätsanforderungen wirklich noch notwendig sind. Sicherlich sind gewisse Stellen nach wie vor mit hohen Anforderungen hinsichtlich der Arbeitszeit verbunden, denkt man beispielsweise an medizinische Tätigkeiten wie Notdienste. Allerdings gibt es andere Tätigkeiten, bei denen mittlerweile gute Alternativen vorhanden sind. Lange Bürozeiten lassen sich beispielsweise durch mehr Homeoffice ersetzen, manche Dienstreisen durch Videokonferenzen. Ein zusätzlicher Ansatzpunkt ist die weitere Verbesserung der Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Das würde es mehr Frauen erlauben, sich auch auf besser bezahlte Stellen zu bewerben, und so helfen, die Verdienstlücke zu reduzieren.

Literatur

Lochner, Benjamin; Merkl, Christian (2023): Wie Männer und Frauen sich bei der Jobsuche unterscheiden: Bewerbungsverhalten kann die Hälfte der bereinigten Verdienstlücke erklären. IAB-Kurzbericht Nr. 8.

 

Bild: Studio Romantic/stock.adobe.com

 

doi: 10.48720/IAB.FOO.20230508.01

Schludi, Martin (2023): „Frauen bewerben sich seltener auf gut bezahlte Stellen als Männer“, In: IAB-Forum 8. Mai 2023, https://www.iab-forum.de/frauen-bewerben-sich-seltener-auf-gut-bezahlte-stellen-als-maenner/, Abrufdatum: 28. March 2024