Trotz Rekordbeschäftigung, schwächelnder Konjunktur und über 2,5 Millionen Arbeitslosen hat der Mangel an Fach- und Arbeitskräften ein bisher ungekanntes Ausmaß erreicht. Er dürfte sich in Zukunft angesichts der demografischen Entwicklung noch verschärfen. Höhere Löhne können das Problem allenfalls mit zeitlicher Verzögerung lindern, aber mitnichten kurzfristig lösen. Eine mehrgleisige Strategie ist unabdingbar.

Paradox: Händeringend wird allerorten Personal gesucht, obwohl die Beschäftigung wieder ein neues Rekordniveau erreicht hat. Dem Arbeitsmarkt stehen somit nicht weniger Menschen zur Verfügung als vor Ausbruch der Corona-Krise. Paradox erscheinen die Personalengpässe auch angesichts der Tatsache, dass aktuell eine leichte Rezession droht und immer noch mehr als 2,5 Millionen Menschen arbeitslos sind.

Dass die Unternehmen trotz des eher schwierigen gesamtwirtschaftlichen Umfeldes einen immensen Arbeitskräftebedarf haben, macht deutlich: Wir müssen das Problem sehr ernst nehmen. In der öffentlichen Debatte wird daher intensiv darüber diskutiert, wie sich der Arbeitskräftebedarf decken lässt. Verschärft wird das Problem dadurch, dass die Zahl der Menschen, die dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zur Verfügung stehen, jedes Jahr alterungsbedingt um bis zu 400.000 Personen schrumpft – wenn es nicht gelingt, dies durch Zuwanderung und steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren auszugleichen.

Es ist also offensichtlich, dass es einen Fachkräftemangel gibt – und in vielen Berufsfeldern darüber hinaus sogar einen allgemeinen Arbeitskräftemangel. Dennoch wird gelegentlich argumentiert, dass es falsch sei, von einem Mangel zu sprechen. Es gäbe doch eine hohe Zahl an Beschäftigten und Arbeitslosen, und die Betriebe müssten nur mehr zahlen und attraktivere Arbeitsbedingungen anbieten. Die Vorstellung, dass sich die Mangelsituation vornehmlich durch Lohnerhöhungen kurzfristig entschärfen ließe, erweist sich bei näherer Betrachtung als deutlich zu optimistisch.

Zwischen 2015 und 2022 ist die Zahl der Beschäftigten um 7,7 Prozent gewachsen, das Arbeitsvolumen nur um 4,9 Prozent

Zunächst einige Fakten: Die Zahl der abhängig Beschäftigten hat mit 41,7 Millionen im dritten Quartal 2022 einen neuen Höchststand erreicht. Der Einbruch während der Corona-Krise ist damit vollständig überwunden. 2019 waren es 41,1 Millionen, 2015 erst 38,7 Millionen, somit kam es zwischen 2015 und 2022 zu einem beträchtlichen Zuwachs von 7,7 Prozent (siehe Abbildung).

Das bedeutet, dass schon seit geraumer Zeit von Jahr zu Jahr mehr Menschen einer abhängigen Beschäftigung nachgehen. Der Arbeitskräftemangel rührt also nicht etwa daher, dass weniger Menschen arbeiten würden. Neben dem Anstieg der Beschäftigungsquote – vor allem von Frauen und Älteren – und der Zuwanderung wurde der Anstieg der Beschäftigung durch einen Rückgang der Arbeitslosigkeit ermöglicht.

Die Abbildung zeigt die Entwicklung der Zahl der Beschäftigten in Deutschland seit 2015 sowohl in ihrer Anzahl (in Millionen) als auch in Milliarden geleisteten Arbeitsstunden. Beide Werte sind im Zeitverlauf kontinuierlich gestiegen (Beschäftigte: von ca. 45 auf 47 Millionen; Arbeitsstunden: ca. 11 auf 12 Milliarden), jedoch unterliegt das tatsächliche Arbeitsvolumen saisonalen Schwankungen. Es erlitt im ersten Quartal 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie, einen massiven Einbruch, der sich in den darauffolgenden Quartalen wieder stabilisierte. Quelle: IAB-Arbeitszeitrechnung. © IAB

Dennoch waren im Februar 2023 immer noch 2,6 Millionen Arbeitslose bei der Bundesagentur für Arbeit registriert. Das Statistische Bundesamt geht darüber hinaus von einer Stillen Reserve in der Größenordnung von drei Millionen Personen aus. Auf der anderen Seite gab es laut IAB-Stellenerhebung im vierten Quartal 2022 bundesweit 1,98 Millionen offene Stellen – ein neuer Rekord.

Diese Zahlen machen zweierlei deutlich: Zum einen ist der Bedarf an Beschäftigten zu den gegebenen Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen und trotz Krisen weiterhin ungemein hoch. Zum anderen ist davon auszugehen, dass es große Passungsprobleme gibt. Mit anderen Worten: Die offenen Stellen passen in vielen Fällen nicht zu denjenigen Personen, die arbeiten können und wollen.

Dieser sogenannte Mismatch hat verschiedene Ursachen: Arbeitssuchende und Arbeitsplätze befinden sich nicht am gleichen Ort, die Qualifikationen oder die Berufswünsche der Arbeitssuchenden passen nicht zu den offenen Stellen oder die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung der offenen Stellen sind nicht attraktiv genug. Eine weitere Erklärung wäre, dass Arbeitsuchende und Betriebe aufgrund fehlender Markttransparenz nicht zusammen kommen.

Meist wird der Fokus auf die Zahl der Beschäftigten gelegt. Die Entwicklung der Arbeitszeit sollte jedoch nicht aus dem Blick geraten: Das Arbeitsvolumen, das heißt die tatsächliche Arbeitszeit, stieg zwischen 2015 und 2022 um 4,9 Prozent, also fast drei Prozentpunkte weniger als die Beschäftigung (siehe Abbildung). Zwischen 2019 und 2022 ging das Arbeitsvolumen sogar um 0,5 Prozent zurück, während die Beschäftigung um 1,3 Prozent zunahm.

Die Arbeitszeit pro Beschäftigten ist in diesem Zeitraum also deutlich gesunken, vor allem seit Beginn der Corona-Krise. Dies hängt unter anderem mit einem erhöhten Krankenstand zusammen, aber auch mit einem leichten Anstieg der Teilzeitquote seit 2015. Fast die Hälfte der beschäftigten Frauen arbeitet in Teilzeit, bei beschäftigten Müttern sind es sogar 66 Prozent. Eine Ausweitung der Arbeitszeit böte somit noch erhebliche Potenziale, um Personalengpässe zu decken.

Höhere Löhne führen nicht automatisch zu einer Steigerung des Arbeitsangebots

Eine Strategie, Menschen alleine durch höhere Entlohnung für Mehrarbeit zu gewinnen, stößt zugleich an Grenzen. Gerade in Paarhaushalten lohnt sich Mehrarbeit für den Partner oder die Partnerin mit geringerem Verdienst, meist ist es die Frau, finanziell oft zu wenig, unter anderem wegen des Ehegattensplittings, der Verdienstgrenze bei Minijobs oder der kostenlosen Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenkasse.

Hinzu kommt: Es fehlt häufig an ausreichender Kinderbetreuung – ein Bereich, in dem sich ebenfalls die Personalengpässe mehren. Mitunter stehen auch soziale Normen oder persönliche Präferenzen einer Ausweitung der Arbeitszeit entgegen. Und schließlich lehrt die Arbeitsökonomik, dass Lohnerhöhungen – typischerweise erst ab einem bestimmten Einkommensniveau – sogar zu einem Rückgang der Arbeitszeit führen können, wenn der Wunsch nach mehr Freizeit wächst.

Die Deckung des Arbeitskräftebedarfs erfordert eine mehrgleisige Strategie. Zwar kann eine Erhöhung der Attraktivität und Entlohnung von Arbeit neue Beschäftigte gewinnen und Menschen dazu bringen, ihre Arbeitszeit zu erhöhen und ihre Qualifikationen anzupassen, um sich für offene Stellen zu qualifizieren. Ebenso wird kein Weg daran vorbeiführen, dass Betriebe Bewerbenden eine Chance geben, die bisher keine Chance hatten und die eine längere Einarbeitung benötigen – hierdurch kann die effektive Arbeitskräftebasis wachsen. Gleichzeitig können starke Lohnsteigerungen Betriebe dazu veranlassen, die Arbeitsproduktivität durch Investitionen zu steigern, aber dies dauert seine Zeit.

Wenn der Fokus aktuell alleine auf Lohnerhöhungen gelegt wird, müssten diese kurzfristig sehr stark ausfallen, um einen nennenswerten Anstieg der Beschäftigung zu erreichen. Die Forschung unterstellt meist, dass das gesamtwirtschaftliche Arbeitsangebot kurzfristig kaum auf Lohnerhöhungen reagiert. Der Mismatch als solcher verschwindet dadurch nicht. Lohnerhöhungen würden vor allem dazu führen, dass Unternehmen, die höhere Löhne nicht bezahlen können, ihre Arbeitsnachfrage reduzieren und so Beschäftigte für produktivere Jobs frei werden, da in diesen Jobs eine bessere Bezahlung erwirtschaftet werden kann.

Um von den höheren Löhnen zu profitieren, müssten Beschäftigte allerdings flexibel und mobil sein. Beschäftigte, die es nicht sind, hätten das Nachsehen. Die Lohnungleichheit würde steigen und höhere Lohnforderungen der immobilen Beschäftigten nach sich ziehen. Im Verhältnis zu den Lohnsteigerungen wäre der positive gesamtwirtschaftliche Effekt auf die Zahl der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Personen – und der damit verbundene potenzielle positive Beschäftigungseffekt – überschaubar. Allerdings würde die Produktivität steigen.

Daher müssen die Lohnsteigerungen mit weiteren Maßnahmen flankiert werden, die die Qualifikation und Erwerbsbeteiligung erhöhen, letzteres beispielsweise durch eine Ausweitung der Angebote für die Kinderbetreuung. Es geht also auch darum, die Menschen zu befähigen, die sich verbessernden Arbeitsmarktchancen zu nutzen. Das alles kann dazu beitragen, das Arbeitskräftepotenzial in quantitativer wie qualitativer Hinsicht zu erhöhen.

Bei starken Lohnerhöhungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge stellt sich die Frage der Finanzierbarkeit

Ein weiteres Risiko der Strategie, alleine auf Lohnerhöhungen zu setzen, betrifft die Finanzierbarkeit der Beschäftigung im öffentlichen Sektor. Das gilt insbesondere für die Daseinsvorsorge, beispielsweise in den Bereichen Gesundheit, Pflege oder Erziehung. Dort steigt der Arbeitskräftebedarf weiter, zumal der Bedarf nicht sinkt, nur weil die Kosten steigen, und Produktivitätsfortschritte hier vergleichsweise langsam sind.

In den letzten Jahren ist es dennoch gelungen, die Entlohnung und Attraktivität dieser Berufe zu verbessern und mehr Beschäftigte zu gewinnen. Nichtsdestotrotz dürften sich die Personalengpässe in diesem Bereich künftig noch verschärfen.

Der Fach- und Arbeitskräftemangel ist real, die Arbeit geht nicht aus, das ist für alle spürbar – beim Warten auf einen Handwerkertermin, bei der Suche nach einer Pflege- oder Betreuungseinrichtung, in der Warteschleife einer Telefonhotline oder angesichts der Verkürzung der Öffnungszeiten von Restaurants. Deshalb ist es richtig, Engpassberufe attraktiver zu machen und mittels positiver Anreize auf eine Steigerung der Arbeitszeit in diesen Berufen hinzuwirken. Dies ist jedoch kein kurzfristig wirkendes Allheilmittel.

Produktivitätssteigerungen und eine Reduktion des Mismatch können dem Fach- und Arbeitskräftemangel entgegenwirken

Unternehmen, die in technologische Innovationen investieren und ihre Beschäftigten für neue Tätigkeitsinhalte qualifizieren, können diese produktiver einsetzen und damit ihren Arbeitskräftebedarf senken. Damit steigen zugleich die realen Einkommen. Menschen für eine Erwerbstätigkeit zu befähigen, ihr Interesse für einen Engpassberuf zu wecken und die berufliche Mobilität zu fördern, stärkt die effektive Arbeitskräftebasis, indem sie den Mismatch reduziert.

Mit einer solchen Strategie stehen zudem potenziell mehr Beschäftigte für gesellschaftlich wichtige Bereiche mit unterdurchschnittlichen Produktivitätsfortschritten zu Verfügung. Denn sie kann die durch starken Lohnwettbewerb ausgelöste Verteuerung von anderen Gütern und Dienstleistungen abmildern, die ansonsten notwendig wäre, um die hier eingesetzten Arbeitskräfte für eine Beschäftigung in denjenigen Wirtschaftsbereichen zu gewinnen, die ein höheres Lohnniveau verkraften können. Mit anderen Worten: Wenn die Produktivität des Faktors Arbeit steigt – auch und gerade in den Engpassberufen im Hochlohnsegment, wirkt dies einer Lohn-Preis-Spirale entgegen und mindert so den allgemeinen Preisauftrieb.

Im Ergebnis wird somit auch die Kaufkraft der Beschäftigten in gesellschaftlich wichtigen Branchen mit geringerer Produktivitätsdynamik gestärkt. Das wiederum erhöht die Attraktivität der dort angesiedelten Jobs. Bei zu starken Lohnerhöhungen droht ansonsten aus dem Fach- und Arbeitskräftemangel ein zunehmender Mangel an Gütern und Dienstleistungen zu werden, weil sich viele Menschen diese nicht mehr leisten können. Im Ergebnis würde sich der Mangel dann nur verschieben.

Fazit

Die hohe Inflation im letzten Jahr hat die Realeinkommen deutlich geschmälert, die Arbeitszeit hat noch nicht wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Das war ein Vorgeschmack darauf, was es heißt, wenn die Mangelsituation bei Gütern und Dienstleistungen weiter zunimmt. Angesichts dieser Gefahr müssen sehr viele Stellschrauben zugleich betätigt werden, um dem Mangel zu begegnen. Lohnerhöhungen können hier ein wichtiger mit zeitlicher Verzögerung wirkender Baustein sein. Ein kurzfristig wirksames Allheilmittel sind sie nicht.

 

Hinweis: Kurzversionen dieses Beitrags sind als Gastbeiträge des Autors am 7. März 2023 unter dem Titel „Leider ist der Fachkräftemangel real“ auf Spiegel Online und am 14. März 2023 unter dem Titel „Höhere Entlohnung allein hilft nicht“ in der Badischen Zeitung erschienen.

In aller Kürze

  • Auch wenn noch nie so viele Menschen beschäftigt waren wie heute, haben die bestehenden Engpässe an Fach- und Arbeitskräften ein bisher ungekanntes Ausmaß angenommen.
  • Der Anstieg des Arbeitsvolumens seit 2015 fiel deutlich schwächer aus als der Anstieg der Beschäftigung. Dies ist auch der Corona-Krise geschuldet.
  • Es ist richtig, dass höhere Löhne und attraktivere Arbeitsbedingungen die Zahl der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Personen und der geleisteten Arbeitsstunden steigern dürften, wenn gleichzeitig Beschäftigungshemmnisse effektiv reduziert würden. Höhere Löhne und attraktivere Arbeitsbedingungen sind jedoch kein kurzfristig wirkendes Allheilmittel gegen den Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel, da der Mismatch zwischen Nichtbeschäftigten und Personalbedarf nicht einfach verschwindet und das gesamtwirtschaftliche Arbeitskräfteangebot kurzfristig kaum auf Lohnerhöhungen reagieren dürfte.
  • Unternehmen, die in innovative Technologien investieren und ihre Beschäftigten für neue Tätigkeitsinhalte qualifizieren, können diese produktiver einsetzen und damit ihren Arbeitskräftebedarf senken. Menschen müssen zudem auch befähigt werden, die sich verbessernden Arbeitsmarktchancen zu nutzen, beispielsweise durch Qualifizierung und einen Ausbau der Kinderbetreuung.

 

Bild: upixa/stock.adobe.com

 

doi: 10.48720/IAB.FOO.20230328.01

Fitzenberger, Bernd (2023): Fach- und Arbeitskräftemangel … und es gibt ihn doch!, In: IAB-Forum 28. März 2023, https://www.iab-forum.de/fach-und-arbeitskraeftemangel-und-es-gibt-ihn-doch/, Abrufdatum: 25. April 2024