Hochkarätige Forschung, internationale Vernetzung und nicht zuletzt eine menschlich angenehme Arbeitsatmosphäre: Nicht ohne Grund zieht das gemeinsame Graduiertenprogramm des IAB und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg junge Promovierende aus der ganzen Welt an. Einer davon ist César Barreto aus Venezuela.

Ein Büro im dritten Stock des IAB, 19 Grad, es wird Gas gespart. César Barreto trägt einen Schal und trinkt heißen Tee. Der Winter in Deutschland ist ihm eigentlich viel zu kalt, sagt er. Und doch strahlt sein Lächeln mit hundert Watt, als er erzählt, warum er trotzdem gern hier ist. Am IAB, als Stipendiat im Graduiertenprogramm, kurz GradAB genannt.

„Das GradAB ist ideal, um zu promovieren“, schwärmt der quirlige 26-Jährige. Er muss es wissen, denn er ist einer von derzeit 24 Promovierenden, die einen Platz im GradAB ergattert haben. In Kooperation mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) unterstützt das IAB den akademischen Nachwuchs mit einem dreijährigen Stipendium, einem eng mit der Uni abgestimmten Studienprogramm – und reichlich Kontakten in die Wissenschaftswelt.

Das zieht. Die Bewerbungen für das GradAB kommen aus aller Welt. Deshalb ist die offizielle Sprache des Programms auch Englisch.

Von Venezuela nach Nürnberg

„In der Gruppe, die mit mir vorletztes Jahr angefangen hat, sind wir total international“, sagt auch César stolz in fließendem Deutsch. „Zwei von uns kommen aus Lateinamerika, einer aus Kanada, einer aus Syrien, zwei aus Deutschland.“

Er selbst stammt aus Venezuela, hat in Caracas die deutsche Schule besucht und dort das deutsche Abitur gemacht. Danach ging er nach Deutschland, um in Heidelberg Politikwissenschaften und Ökonomie zu studieren. Ein großer Schritt für den damals 18-Jährigen, doch er hat ihn bisher nicht bereut.

„Zuerst war es vor allem ein Abenteuer“, gibt er grinsend zu. „So weit weg von der Aufsicht meiner Familie, von allem, was ich bis dahin gekannt habe. Aber bald hat mich das Interesse an der Ökonomie gepackt, besonders für das Thema Arbeitsmarkt.“

Mit 24 Jahren, nach einer kurzen Station am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, kam der Venezolaner dann nach Nürnberg – mit einem Masterabschluss, ein paar Umzugskisten und der Zusage für eine Stelle an der FAU in der Tasche.

„Ich habe als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomie, von Professor Christian Merkl angefangen“, erzählt er. „Und dort haben mir die Kollegen schon recht bald vom Graduiertenprogramm der Uni und dem IAB erzählt.“ Genau das richtige für ihn, hat er damals gedacht. In den Monaten, die er an der Uni mit 75 Prozent Arbeitszeit gearbeitet hat, hat er deshalb nebenbei seine Bewerbung vorbereitet.

„Um beim GradAB genommen zu werden, reicht es nicht, nur irgendeine vage Idee zu haben“, gibt er zu bedenken. „Wir alle haben im Vorfeld erstmal einige Arbeit in die Ausarbeitung eines Forschungsvorhabens gesteckt, mit dem wir uns dann beworben haben. Ganz frisch von der Uni hätte ich das nicht so gut hinbekommen.“

IAB und FAU arbeiten eng zusammen

César war erfolgreich und wurde in das Graduiertenprogramm aufgenommen. An der FAU arbeitet er aber weiterhin. Neben dem Stipendium erlaubt das IAB eine wissenschaftliche Teilzeitbeschäftigung von bis zu zehn Stunden. Viele Stipendiatinnen und Stipendiaten nutzen dies, um in einem der Forschungsbereiche des IAB zu arbeiten. Doch César ist der Uni treu geblieben.

„Für mich ist das die perfekte Ergänzung zum Institut“, ist er überzeugt. „Am IAB habe ich den wissenschaftlichen Austausch und einen tollen Datenzugang, der mir so viele interessante Fragestellungen ermöglicht. Und am Lehrstuhl habe ich neben der Forschung den Kontakt zu den Studierenden. Ich mag es sehr, mit ihnen zu diskutieren, ihnen ökonomisches Wissen beizubringen.“

Ist es manchmal auch stressig, Stipendium und Lehre unter einen Hut zu bekommen? „Ja, zum Beispiel jetzt gerade.“ Er grinst. „Wir stecken an der Uni nämlich mitten in der Prüfungszeit. Das heißt, ich muss die Klausuren mit vorbereiten, Anmeldelisten führen, Aufsicht halten und danach hunderte Arbeiten korrigieren. Zum Glück wird es bald wieder entspannter, wenn das Semester vorbei ist.“

Immerhin sind seine Wege kurz. Nicht einmal zwei Kilometer Luftlinie liegen zwischen der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der FAU und dem Institut. Nicht nur die räumliche, auch die inhaltliche Nähe ist groß – umso mehr, seit die Uni einen ihrer Schwerpunkte auf Arbeitsmarktforschung gelegt hat.

Mit keiner anderen Universität ist das IAB so gut vernetzt, an keiner anderen Fakultät halten mehr Forschende aus dem IAB Lehrveranstaltungen ab. Zwei Forschungsbereichsleitungen und IAB-Direktor Bernd Fitzenberger haben eine Professur an der FAU, außerdem gibt es zwei gemeinsame Juniorprofessuren. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass sich viele exzellente Absolventinnen und Absolventen der FAU später beim IAB bewerben.

In einer Zeit, in der hochqualifiziertes Personal auch in der Wissenschaft zusehends knapper wird, ist das für das Institut von kaum zu überschätzender Bedeutung. So profitieren beide Seiten von den engen Kontakten. Und César Barreto fühlt sich in guter Gesellschaft.

Internationale Perspektiven

Doch auch wenn die enge Verzahnung von IAB und FAU den Stipendiat*innen ein hervorragendes Arbeitsumfeld bietet – ihr Forschungshorizont soll nicht an den Stadtgrenzen von Nürnberg und Erlangen enden. Das Programm fördert explizit die internationale Vernetzung.

„Durch das GradAB habe ich schon an Summer Schools und externen Vorträgen teilgenommen, weil das IAB mir dafür den Freiraum bietet und meine Teilnahme finanziert“, erzählt César Barreto. „Ich konnte dort meine Arbeit vorstellen und von anderen Wissenschaftlern lernen.“

Doch die Vernetzung mit der ausländischen Forschungslandschaft beschränkt sich mitnichten auf die Teilnahme an internationalen Konferenzen. Wer für seine Doktorarbeit im Ausland forschen will, bekommt eine monatliche Aufstockung des Stipendiums – oder kann es ganz flexibel für die Dauer des Auslandsaufenthalts aussetzen, wenn dort etwa ein Gehalt gezahlt wird. So hat es César Barreto gemacht, als er letztes Jahr für drei Monate als Praktikant bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris war.

„Gemeinsam mit zwei Ökonomen der OECD habe ich die Effekte von Entlassungen aus CO₂-intensiven Betrieben untersucht, vor allem im Kohleabbau, im Verarbeitendem Gewerbe und im Energiesektor“, erzählt er. Er hat dafür Daten aus der Statistik der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet.

Und mit Begeisterung berichtet er über die Ergebnisse des Forschungsprojekts: „Wir haben gezeigt, wie überraschend schwierig es für die Beschäftigten dieser Betriebe ist, wenn sie ihren Job verlieren, obwohl sie doch gut qualifiziert sind. Aber sie haben oft sehr spezialisierte Ausbildungen, die sie nicht einfach in andere Branchen übertragen können. Oft wollen sie auch ihre Heimatregionen nicht verlassen, in denen aber der Arbeitsmarkt schwierig ist. Deshalb landen sie zum Teil in deutlich schlechteren Jobs oder müssen starke Lohneinbußen hinnehmen. Die Zahlen zeigen: Wenn wir die grüne Transformation planen, müssen wir diese Leute mitnehmen. Nicht nur durch finanzielle Entschädigung, sondern mit Umschulungen, Beratungen und anderen Formen der Unterstützung, damit sie wieder adäquate Jobs finden können.“

Der Aufenthalt bei der OECD und der Erfolg des Forschungsprojektes haben weitere Früchte getragen: César Barreto wird demnächst das Stipendium aussetzen und zurück nach Paris gehen, um bei der OECD für ein Jahr als Ökonom zu arbeiten. In einem europaweiten Projekt will er gemeinsam mit Kooperationspartnern untersuchen, wie sich in verschiedenen EU-Ländern die Mobilität von Beschäftigten auf deren Karrieren auswirkt. Barreto ist die intellektuelle Begeisterung anzumerken, die ihm die Aussicht auf sein künftiges Forschungsfeld bereitet.

Im GradAB gut aufgehoben

Auch wenn er zwischendurch in die Ferne strebt – CésarBarreto fühlte sich im IAB von Anfang an gut aufgehoben. Er ist zwar, weil er an der Uni arbeitet, nicht an einen Forschungsbereich angebunden. Doch um Kontakte zu knüpfen, nutzt er rege die interdisziplinären Arbeitsgruppen des Instituts. Insbesondere die Arbeitsgruppe „Digitale und ökologische Transformation“ hat es ihm angetan. Er fand dort rasch einen Draht zu anderen Mitgliedern der Arbeitsgruppe, die ihm den Zugang zu weiteren, für seine Forschung nützlichen Kontakten erleichterten. „Ich bin manchmal nämlich ein bisschen schüchtern“, gesteht er.

Auch die GradAB-Stipendiat*innen tauschen sich regelmäßig untereinander aus. Fachlich, indem sie ihren Arbeitsstand regelmäßig in einem gemeinsamen Jour fixe präsentieren und jährlich einen internationalen Workshop ausrichten. Und weniger fachlich, dafür zwanglos, bei ihrem monatlichen Stammtisch, den sie scherzhaft „StürzAB“ nennen. Nicht nur Arbeit oder Spaß stehen dabei im Vordergrund, es entstehen richtige Freundschaften, verrät César. „Wir sind eine tolle Gruppe“, schwärmt er. „So viele von uns sind ja extra wegen des Stipendiums nach Nürnberg gekommen und haben am Anfang niemanden gekannt. Vielleicht haben wir deshalb von Anfang an richtig eng zusammengehalten.“

Denn manchmal vermisst er seine Heimat, seine Familie. So sehr er Nürnberg mag, vieles ist anders hier, stellt er fest. Die doch recht starren Strukturen, die Bürokratie in den Ämtern, dass man so oft mit Bargeld zahlen muss – manches stört ihn auch nach acht Jahren in Deutschland immer noch.

„Für Lateinamerika brauchen wir andere Ansätze“

Plant er, nach Venezuela zurückzukehren? Das verneint er. „Leider ist es gerade kein guter Staat zum Leben.“ Bedrückt erzählt er von der tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise, in der sich sein Heimatland gerade befindet, von den vielen Menschen, die von dort in die Nachbarländer aufbrechen, auf der Suche nach einem besseren Leben. Auch seine Mutter und sein Bruder sind vor fünf Jahren nach Kolumbien ausgewandert, bald will er sie dort besuchen.

Neben der Sorge um seine Heimat sieht er jedoch seine eigene Ortsunabhängigkeit vor allem als eines: selbstverständlich.

Sein künftiger Traumjob wäre eine Beratungs- und Forschungsarbeit auf internationalem Terrain, gerne mit Projekten in Lateinamerika. Zwar gebe es dort nicht den beeindruckenden Schatz an Arbeitsmarktdaten, die ihm am IAB so viel Freude bereiten. Doch dafür warten andere Themen und Fragestellungen. „Die internationale Forschung ist aktuell vor allem auf entwickelte Länder ausgerichtet“, bedauert er. „In Entwicklungsländern wie Venezuela, wo 70 Prozent der Menschen im informellen Sektor arbeiten, brauchen wir ganz andere Ansätze.“

Vielleicht wird er diese in ein paar Jahren mit entwickeln, wenn er seine Promotion am IAB abgeschlossen hat. Doch vorerst steht die OECD auf seinem Plan, außerdem weitere Projekte am IAB. Und er ist schon sehr gespannt auf die neuen Promovierenden, die im Herbst dieses Jahres an den Start gehen werden.

„Junge Arbeitsmarktforscher aller Welt, bewerbt euch fürs GradAB!“, scherzt er und hebt mit einem Augenzwinkern seine Teetasse, als wolle er der nächsten Kohorte Mut machen. „So eine gute Atmosphäre und diesen Datenzugang findet ihr sonst kaum irgendwo.“

 

Die Bewerbungsfrist für das Graduiertenprogramm läuft noch bis zum 15. März 2023.

Mehr Informationen dazu finden Sie auf der IAB-Website.

 

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20230223.01

Keitel, Christiane (2023): „Es entstehen richtige Freundschaften“, In: IAB-Forum 23. Februar 2023, https://www.iab-forum.de/es-entstehen-richtige-freundschaften/, Abrufdatum: 25. April 2024