Welche Chancen bringen Digitalisierung und Globalisierung für den Arbeitsmarkt, welche Herausforderungen sind damit verbunden? Diese und weitere Fragen diskutierten Forschende auf einer gemeinsamen Konferenz von IAB, Universität Bamberg und CERGE-EI in Prag. Ein wichtiges Thema war dabei die von Volkswagen forcierte Umstellung auf die Produktion von Elektroautos und die damit verbundenen Umstrukturierungen in der Produktion in den VW-Werken in Emden und Kvasiny (Tschechien).

Das IAB arbeitet bereits seit mehreren Jahren erfolgreich mit dem Center for Economic Research and Graduate Education – Economics Institute (CERGE-EI) zusammen, einer gemeinsamen Einrichtung der Karls-Universität Prag und der Tschechischen Akademie der Wissenschaften. So werden in gemeinsamen Forschungsprojekten unter anderem die Arbeitsmarkteffekte ausländischer Direktinvestitionen in Tschechien untersucht.

Das auf Seiten des IAB von Dr. Michael Moritz geleitete Kooperationsprojekt wird von der Bayerisch-Tschechischen Hochschulagentur (BTHA) des Bayerischen Hochschulzentrums für Mittel-, Ost- und Südosteuropa (BAYHOST) gefördert. Auf tschechischer Seite ist Prof. Daniel Münich, Geschäftsführer des Institute for Democracy and Economic Analysis (IDEA), einem Think-Tank von CERGE-EI, für die Kooperation verantwortlich. In einem Symposium hatte das IAB bereits 2018 seine Arbeit in Prag vorgestellt.

Die Globalisierung und der technologische wie demografische Wandel stellen den Arbeitsmarkt vor Herausforderungen

In diesem Jahr organisierte das IAB zusammen mit der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und CERGE-EI eine Konferenz zum Thema „Labor Market Challenges in Times of Globalization, Technological and Demographic Change“. Daran knüpfte auch Jan Švejnar, Professor an der Columbia University in New York City und Mitbegründer von CERGE-EI, in seiner Keynote-Rede an. Der Ökonom erläuterte zunächst, dass auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt die Löhne infolge der Digitalisierung gesunken seien und die Ungleichheit zugenommen habe. Dies betreffe insbesondere Arbeitskräfte ohne Universitätsabschluss mit spezialisierten Fähigkeiten. Zudem sinke der Beitrag der Arbeit zur Wertschöpfung weltweit bereits seit Jahren.

Logo der Bayerisch-Tschechischen HochschulagenturHinsichtlich der Entwicklung auf dem europäischen Arbeitsmarkt zeigte sich Švejnar skeptisch. Es gebe in der Digitalbranche einige „Superstar-Firmen“, diese kämen jedoch insbesondere aus Amerika und China. Ob Europa mit den Entwicklungen in diesen Ländern Schritt halten könne, sei fraglich. Erfolgreiche europäische Start-Ups würden meist von amerikanischen und chinesischen Firmen aufgekauft. Švejnar lobte allerdings das deutsche Ausbildungssystem: Weiterbildung sei in Zeiten technologischen Wandels besonders wichtig. Deutschland sei hier dank seines Ausbildungssystems flexibler als die USA.

Das Themenspektrum an wissenschaftlichen Vorträgen war breit gespannt

Die Themen der wissenschaftlichen Vorträge in den nachfolgenden Sessions waren breit gefächert. Sie befassten sich mit internationalem Handel, Migration, Arbeitsmarktpolitik, Technologie, Humankapital und regionaler Entwicklung. Die Vortragenden waren von verschiedenen europäischen Universitäten und Forschungsinstituten nach Prag gereist, so unter anderem aus Irland, Italien und Frankreich. Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von IAB und CERGE-EI stellten ihre Projekte vor.

Zum Abschluss der Veranstaltung diskutierten Fachleute aus Wirtschaft, Politik und Forschung, wie die Umstrukturierung der Automobilbranche hin zur Elektromobilität und die zunehmende Automatisierung der Produktion den Arbeitsmarkt verändern. An der Podiumsdiskussion beteiligten sich Prof. Jan Švejnar, Prof. Sabine Pfeiffer, Inhaberin des Lehrstuhls für Soziologie mit dem Schwerpunkt Technik-Arbeit-Gesellschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Manfred Wulff, Betriebsratsvorsitzender des Volkswagen-Werks in Emden, und Jan Klesla vom Ministerium für Industrie und Handel der Tschechischen Republik. Moderator der Diskussion war Prof. Štěpán Jurajda von CERGE-EI.

Mit der Automatisierung gehen nicht automatisch Jobverluste einher

Bei der zunächst diskutierten Frage, ob mit steigender Automatisierung Jobverluste einhergehen, waren sich Jan Švejnar und Sabine Pfeiffer einig, dass Automatisierung nicht unbedingt Hand in Hand mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen geht. Wie Pfeiffer erläuterte, haben insbesondere qualitative Studien gezeigt, dass Arbeit in vielen Bereichen der Produktion nicht als Routine-Tätigkeit charakterisiert werden kann.

Das Substitutionsrisiko werde deshalb häufig überschätzt. Švejnar bestätigte dies für den US-amerikanischen Arbeitsmarkt. Er befürchtet allerdings, dass es durch die Umstellung auf Elektromobilität zu Jobverlusten kommen könnte, da für die Produktion eines Elektroautos deutlich weniger Arbeitsschritte notwendig sind.

Der VW-Betriebsratsvorsitzende Manfred Wulff geht davon aus, dass der im Zusammenhang mit der Einführung der Elektromobilität prognostizierte Abbau an Arbeitsplätzen deutlich unter den aktuellen Prognosen bleiben wird. Dieser Abbau sei vor allem darauf zurückzuführen, dass beim Neubau von Produktionsstätten immer die vorhandenen Automatisierungspotenziale umgesetzt würden – unabhängig von der Umstellung auf Elektromobilität. Jan Klesla wiederum betonte, dass in tschechischen Betrieben, die in Automatisierung investieren, die höher qualifizierten Arbeitskräfte im Betrieb blieben.

Deutschland ist mit seinem Ausbildungssystem gut gerüstet für die Weiterqualifizierung von Beschäftigten

Der zweite Teil der Podiumsdiskussion drehte sich um die Frage, welche Qualifikationen und Fähigkeiten für die Arbeitskräfte der Zukunft vorteilhaft wären. Sabine Pfeiffer hob das duale Ausbildungssystem in Deutschland hervor, das neue Anforderungen in Zusammenarbeit mit allen relevanten Akteuren und in angemessenem Tempo in die Ausbildung integriert. Sie vertraut darauf, dass die Beschäftigten dem Wandel gewachsen sind und sich anpassen. So habe beispielsweise auch der Beruf des Mechatronikers immer wieder starke Veränderungen erfahren.

Manfred Wulff erläuterte den Wandel wie folgt: Bestehende Berufe würden zunächst durch Zusatzqualifikationen wie zum Beispiel chemisches Wissen für die Herstellung von Batteriezellen ergänzt werden. Möglicherweise entstehe daraus dann in einigen Jahren ein neuer Beruf.

Für Tschechien stellt sich die Situation anders dar. Laut Štěpán Jurajda ist die Ausbildung dort schulischer Art und wird abgekoppelt vom Betrieb durchgeführt. Das mache es für die Erwerbstätigen schwieriger, auf neue berufliche Anforderungen zu reagieren. Ein Ausbildungssystem, wie es in Deutschland existiert, sahen alle Diskutanten sehr positiv. Jan Švejnar hob noch einmal hervor, dass das deutsche System deutlich besser für Weiterqualifizierungsmaßnahmen gerüstet sei als das System in den USA mit seiner eher starren Planung künftiger Bedarfe („man power planning“).

Elektromobilität und Roboter: Wird Europa von den USA und China abgehängt?

Im letzten Teil der Diskussion ging es um die Frage, ob Europa bei den Themen Elektromobilität und Künstliche Intelligenz abgehängt wird. Das Risiko, dass die europäischen Autobauer durch die Umstrukturierung auf Elektromobilität im internationalen Vergleich ins Hintertreffen geraten, schätzten die beiden deutschen Podiumsteilnehmer als gering ein.

Europa müsse zusammenhalten und Erfahrungen und Kompetenzen bündeln, so Manfred Wulff. Auch Sabine Pfeiffer zeigte sich optimistisch und verwies darauf, dass insbesondere die deutsche Politik schon viel in den Ausbau der entsprechenden Infrastruktur investiert hätte. Allerdings würden hier andere europäische Länder noch hinterherhinken. Jan Klesla hingegen warnte, dass man zu sehr von der Automobilbranche abhängig sei. Deshalb plädierte er für den Aufbau einer diversifizierteren Wirtschaftsstruktur.

Mit Blick auf die Künstliche Intelligenz und deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sehen insbesondere Klesla und Švejnar die Gefahr, dass Europa von den USA und China abgehängt wird. Aus diesem Grund unterstützt die tschechische Politik den Aufbau von Zentren für Künstliche Intelligenz. Allerdings löst das nicht das Problem, dass wie oben bereits erwähnt erfolgreiche Start-Ups in der Regel durch die bekannten Großunternehmen aufgekauft werden. Pfeiffer sieht das Themenfeld „Künstliche Intelligenz“ erst in den Kinderschuhen. Viele der Anwendungen seien noch nicht für den Einsatz in den Betrieben bereit.

Das Fazit der Diskussion: Insbesondere Deutschland ist mit seinem Ausbildungssystem gut gerüstet für die Weiterqualifizierung von Beschäftigten. Gleichzeitig dürfen aber europäische Firmen die Digitalisierung nicht verschlafen. Hier bestehe auch Handlungsbedarf vonseiten der Politik.

 

Foto: Veronika Hecht, IAB

Ein Video von der Veranstaltung können Sie auf YouTube anschauen.