Die Forschenden des IAB sind vielzählig vernetzt und in unterschiedlichsten Gremien vertreten. Ein Beispiel sind Brigitte Schels und Basha Vicari. Die beiden Wissenschaftlerinnen betreuten im letzten Schuljahr gemeinsam gleich zwei Teams bei „YES!2022“ – einem der größten Schulwettbewerbe rund um gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen, ausgerichtet vom ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft und der Joachim Herz Stiftung. Eines der Teams von Schels und Vicari steht nun im Finale. Die Redaktion hat das zum Anlass genommen, um bei den Forscherinnen genauer nachzufragen.

Liebe Frau Schels, liebe Frau Vicari, erst einmal herzlichen Glückwunsch, dass es ein von Ihnen betreutes Team ins Finale des „YES!2022“ geschafft hat. Können Sie uns erläutern, worum es bei dem Wettbewerb genau geht?

Jun.-Prof. Dr. Brigitte Schels

Dr. Brigitte Schels ist Juniorprofessorin an der Friedrich-Alexander-Univerrsität Erlangen-Nürnberg (FAU) und Mitarbeiterin im Forschungsbereich „Erwerbslosigkeit und Teilhabe“ am IAB.

Brigitte Schels: „YES – der Young Economic Summit“ – ist eine Initiative, die engagierten Schülern und Schülerinnen der oberen Jahrgangsstufen eine Plattform bietet, eines der vielen Probleme unserer gegenwärtigen Gesellschaft in einem Projekt anzugehen und eine Lösungsidee zu erarbeiten. Der Wettbewerb ist ein Sprachrohr für die Ideen der Jugendlichen und zugleich eine tolle Möglichkeit, im Team erstmals wissenschaftlich zu arbeiten.

Dr. Basha Vicari ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich „Bildung, Qualifizierung und Erwerbsverläufe“ am IAB und Leiterin der Projektgruppe „Nationales Bildungspanel“ (NEPS).

Basha Vicari: Ja, genau. Die Jugendlichen lernen dabei nicht nur zu recherchieren, sondern auch Daten zu erheben und zu analysieren. Nebenbei müssen sie sich auch mit der Ressourcenplanung beschäftigen: Wer im Team hat welche Kompetenzen, wer hat hilfreiche Kontakte, wer hat wann Zeit und schließlich, wer hat Ideen für die Finanzierung des Lösungsansatzes? Beim Regionalfinale präsentieren sie ihre Ergebnisse dann vor anderen Schulteams. Manche von ihnen haben am Schluss einen richtigen Businessplan aufgestellt oder gründen sogar ein StartUp aus ihrem YES!-Projekt.

Das Thema geschlechtstypische Berufswahl hat die Jugendlichen persönlich stark beschäftigt.

Welches Thema hat das Projekt, das Sie betreut haben?

Schels: Wir haben das Thema geschlechtstypische Berufswahl von Männern und Frauen aufgebracht – ein Thema, das schon seit Jahren auf der Agenda von Forschung und öffentlicher Diskussion steht, aber leider bislang nicht an Aktualität verloren hat. „Die Berufswahl von Frauen und Männern – ein Klischee? Warum ist das so und (wie) kann man das ändern?“ – das ist der Titel.

Vicari: Dieses Thema hat die Jugendlichen persönlich stark beschäftigt. Die eigene Berufswahl steht vor der Tür, und Begriffe wie Gender Pay Gap und Frauenquoten sind auch auf Social Media überall präsent. Daher waren die jungen Frauen und übrigens auch jungen Männer sehr motiviert, hier Lösungsansätze auszuarbeiten.

YES!-Interviewrunde mit (von links) Moderatorin Svenja Heber, Dr. Basha Vicari vom IAB, und Dr. Stephanie Dittmer, Mitglied des Vorstands des ifo Instituts München. Foto: © YES!

Die Jugendlichen haben selbst ihr Projekt entwickelt, wir haben ihnen nurmehr mit Rat auf Augenhöhe zur Seite gestanden.

Wie lief die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und den Schülerinnen und Schülern ab?

Schels: Am Anfang stand der Input von Basha Vicari und mir. In einem Kick-off-Meeting haben wir den beiden Schulteams ein paar Fakten und Diskussionspunkte an die Hand gegeben, dazu Tipps und Tricks zum wissenschaftlichen Arbeiten. Aber dann haben die Jugendlichen ganz schnell selbst ihr Projekt und ihre Ideen entwickelt, wir haben ihnen nurmehr mit Rat auf Augenhöhe zur Seite gestanden.

Mit welcher Lösungsidee hat das von Ihnen betreute Team die Jury schlussendlich überzeugt?

Vicari: Das Schulteam des Rainer-Maria-Rilke-Gymnasiums aus Icking hat eine App entwickelt, den „Praktikompass“.  Die App soll als eine Praktikumsbörse mit lokalen Unternehmen in ihrem Heimatort dienen und eine geschlechtsneutrale Bewerbung auf Praktikumsplätze ermöglichen. Der Clou an der App ist, dass sie beide Seiten zum geschlechtsneutralen Handeln bringt. Die Unternehmen werden zum Beispiel beim Einstellen der Praktikumsplätze bewusst damit konfrontiert, die Gesuche geschlechtsneutral zu formulieren, sodass Jugendlichen, die sich bewerben, auch geschlechtsuntypische Stellen angeboten werden. Die Jugendlichen haben sogar schon erste lokale Unternehmen in ihr Projekt einbinden können, als anschauliche Beispiele bei der Präsentation ihrer App. Die tolle Mischung aus empirischer Problemeingrenzung und einer digitalen Lösung, die auch noch lokal verankert ist, das hat wohl auch die anderen Schulteams überzeugt, als sie die besten zwei Projekte ausgewählt haben.

Wir Forschenden betrachten gesellschaftliche Herausforderungen oft durch eine „Machbarkeitsbrille“, die Jugendlichen gehen viel offener an die Sache heran.

Regionalfinale Süd-Ost am Münchner ifo Institut, Gruppenfoto: © ifo Institut

Kann man denn als Wissenschaftlerin auch etwas von den Schülerinnen und Schülern lernen?

Schels: Das große Engagement und die Motivation der Schülerinnen und Schüler haben mich begeistert. Zum Schluss geht es in den ausgearbeiteten Projektideen der Jugendlichen immer auch um Machbarkeit, meist Finanzierbarkeit, aber am Anfang steht die innovative Idee, die Motivation, an ihrem Heimatort etwas zu bewegen – davon möchte ich etwas mitnehmen.

Vicari: Wir Forschenden betrachten gesellschaftliche Herausforderungen oft eher akademisch, haben eine „Machbarkeitsbrille“ auf und tauschen uns nur mit anderen Expertinnen und Experten aus. Die Jugendlichen gehen viel offener an die Sache heran. Sie sind voller Elan und wollen  Ungerechtigkeiten in der Welt beseitigen. Dabei kommen sie mitunter auf völlig neue Lösungen, an die wir bisher nicht gedacht haben. Gerade lokal können sie damit im Kleinen Großes bewirken und realen Mehrwert für ihren Heimatort schaffen. Das gilt für alle Schulteams, nicht nur für das Gewinnerteam. Diese Erfahrung der Selbstwirksamkeit zu begleiten war toll! Ich wünsche mir, dass noch sehr viele Schulteams beim YES!-Wettbewerb teilnehmen und diese Erfahrung machen. Die schönen Ideen wären eine Bereicherung für die ganze Gesellschaft.

 

Mehr über den YES!-Wettbewerb:

www.young-economic-summit.org/regionalfinale-sued-ost-2022/

 

doi: 10.48720/IAB.FOO.20220825.01