Statistische Analysen zeigen, dass die Einführung des Mindestlohnes bisher weder zu einer Verlangsamung des Wachstums der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung noch zu einer Zunahme der Arbeitslosigkeit geführt hat. Vielmehr ging der Mindestlohn mit einem Aufbau der sozialversicherungspflichtigen und einem Abbau der geringfügigen Beschäftigung einher.

Zum 1. Januar 2015 hat Deutschland einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro eingeführt. Ausnahmen gelten lediglich für Jugendliche unter 18 Jahren, Auszubildende, Langzeitarbeitslose für die ersten sechs Monate ihrer Wiederbeschäftigung, Praktika von längstens drei Monaten sowie allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge, bei denen noch bis Ende 2016 eine Bezahlung unterhalb von 8,50 Euro möglich war.

Der gesetzliche Mindestlohn wird zu Recht als eine tiefgreifende Arbeitsmarktreform angesehen, weil zuvor lediglich branchenspezifische Tarifverträge zu mindestlohnähnlichen Bedingungen für allgemeinverbindlich erklärt werden konnten.

Wirkung des Mindestlohns war im Vorfeld umstritten

Im Vorfeld der Einführung des Mindestlohns wurde vielfach vor negativen Beschäftigungseffekten gewarnt. Dramatische Zahlen wurden beispielsweise vom Münchner Ifo-Institut publiziert, das bis zu 900.000 Arbeitsplätze durch den Mindestlohn gefährdet sah. Andere Forscher, unter ihnen IAB-Direktor Joachim Möller, hielten diese Befürchtungen für deutlich überzogen.

Aus theoretischer Perspektive wäre ein negativer Zusammenhang zwischen Mindestlohn und Beschäftigung nicht nur dann zu erwarten, wenn Arbeitgeber aufgrund des Mindestlohnes Arbeitsplätze abbauen, sondern auch dann, wenn sie wegen des Mindestlohns weniger Arbeitsplätze schaffen, als sie es ansonsten getan hätten. Ein solcher negativer Zusammenhang ist aber keinesfalls zwingend. Denkbar wäre auch, dass der Mindestlohn zum Aufbau von Beschäftigung beiträgt, wenn dadurch zusätzliche Personen eine Arbeit aufnehmen, für die es sich erst ab einem bestimmten Einkommen lohnt zu arbeiten.

Außerdem könnte der Mindestlohn bestimmte Beschäftigungsformen gegenüber anderen begünstigen, insbesondere sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gegenüber Minijobs. Ein Grund hierfür könnte sein, dass durch die Einführung des Mindestlohnes ehemalige Minijobs automatisch über die Entgeltgrenze in Höhe von 450 Euro gerutscht sind. Ein weiterer Grund könnte sein, dass Minijobs vor allem wegen ihrer administrativen Einfachheit geschätzt wurden, mit der Einführung des Mindestlohnes aber zum Beispiel Aufzeichnungspflichten entstanden sind, die diesen Vorteil in Frage stellen. Schließlich könnte der Mindestlohn zu mehr Transparenz bei den Arbeitnehmern im Hinblick auf ihre Rechte bei Minijobs geführt haben. Die Tatsache, dass diese Rechte vielfach nicht vollständig gewährt wurden, könnte aber ein Grund dafür gewesen sein, dass Arbeitgeber trotz höherer Sozialabgaben, diese Beschäftigungsform bevorzugt hatten.

Insgesamt jedoch war der Mindestlohn im Vorfeld seiner Einführung auch deswegen so umstritten, weil aus theoretischer Sicht allein keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu dessen Beschäftigungswirkungen getroffen werden konnten.

Regionen sind unterschiedlich stark vom Mindestlohn betroffen

Mittlerweile liegen erste empirische Befunde vor. Das IAB hat 2016 erstmals belastbare Forschungsergebnisse zu den Wirkungen des gesetzlichen Mindestlohns publiziert. So haben Mario Bossler und Hans-Dieter Gerner mit Daten des IAB-Betriebspanels gezeigt, dass vom Mindestlohn betroffene Betriebe etwas weniger Beschäftigte eingestellt haben als Betriebe, die bereits vor der Einführung des Mindestlohns mehr als 8,50 Euro bezahlt hatten. Hierbei konnten die beiden IAB-Forscher mangels entsprechender Daten allerdings nicht zwischen Minijobs und regulärer Beschäftigung unterscheiden.

Darüber hinaus hat das IAB den sogenannten Arbeitsmarktspiegel vorgelegt, um die Arbeitsmarktfolgen des Mindestlohnes laufend zu analysieren und zu dokumentieren. Daraus geht unter anderem hervor, dass rund die Hälfte des Rückgangs der Minijobs zwischen 2015 und 2016 durch eine Umwandlung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erklärbar ist.

Wer die Beschäftigungswirkungen des Mindestlohns messen will, steht vor dem Problem, dass es neben dem Mindestlohn eine große Zahl anderer Faktoren gibt, welche die Beschäftigungsentwicklung beeinflussen. Eine Möglichkeit, die Auswirkungen des Mindestlohns von anderen makroökonomischen Entwicklungen zu trennen, ist die Analyse von regionalen und branchenspezifischen Daten (für Erläuterungen zu den Datengrundlagen siehe Kasten „Daten“). Regionen und Branchen sind unterschiedlich stark von der Einführung des Mindestlohns betroffen, da der Anteil der Beschäftigten, die vormals weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdient haben, je nach Region und Branche stark variiert. Zugleich sind aber die makroökonomischen Randbedingungen, etwa das Wirtschaftswachstum, relativ ähnlich. Bei diesem Ansatz wird also untersucht, ob sich Beschäftigung und Arbeitslosigkeit in Regionen und Wirtschaftszweigen (nur Beschäftigung), die von der Einführung des Mindestlohns stark betroffen waren, anders entwickelt haben als in Regionen oder Branchen, in denen dies weniger der Fall war.

Daten

Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) veröffentlicht einmal monatlich Beschäftigungs- und Arbeitslosenzahlen. Die Arbeitslosenzahlen sind regional kleinräumig verfügbar. Die Zahlen für die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung liegen mit einer Verzögerung von zwei Monaten auf der Ebene der Bundesländer und der Wirtschaftszweige (genauer: Wirtschaftsabschnitte) vor. Auf Grundlage dieser Daten lassen sich Arbeitsmarktentwicklungen auf Basis von Bundesländern und Wirtschaftszweigen bzw. auf Basis von Kreisen nachzeichnen. Zugleich bietet die BA-Statistik auch Daten zur regionalen und sektorspezifischen Lohnverteilung. Mit Hilfe dieser Daten lässt sich näherungsweise bestimmen, wie viele (vollzeitbeschäftigte) Personen in der jeweiligen Region von der Einführung des Mindestlohns direkt betroffen waren, weil ihr Lohnsatz unterhalb der Mindestlohnschwelle lag.

Mit etwa einem halben Jahr Verzögerung veröffentlich die Statistik der BA zudem Beschäftigungsdaten auf Ebene der Kreise, die sogenannte Quartalsstatistik. Diese lassen sich weiter nach Geschlecht und Altersgruppe differenzieren. Mit der Quartalsstatistik lässt sich auch die Gruppe der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach Arbeitszeit weiter untergliedern. Zudem liegen Ergebnisse für die geringfügige Beschäftigung (Minijobs) vor. Mithin lässt sich auf dieser Basis untersuchen, wie der Gesamtbeschäftigungseffekt für die Summe aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und geringfügiger Beschäftigung ausfällt.

Positive Auswirkung auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung

Betrachtet man nun den Zusammenhang zwischen dem Ausmaß, in dem ein Bundesland oder eine Branche durch den Mindestlohn betroffen war, und dem Wachstum der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung seit seiner Einführung, so zeigt sich für das Jahr 2015 ein signifikant positiver Zusammenhang. Das Wachstum der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung fiel also umso stärker aus, je stärker ein Bundesland oder eine Branche vom Mindestlohn betroffen war.

Eine doppelt so starke Betroffenheit durch den Mindestlohn, also etwa 20 Prozent statt zehn Prozent aller Personen in einer Branche, ging dabei mit einem um 0,56 Prozentpunkte stärkeren Beschäftigungswachstum einher (für Erläuterungen zur Methodik siehe Kasten „Methoden“). Ein Grund dafür könnte darin bestehen, dass gerade in den besonders betroffenen Branchen verstärkt Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt worden sind.

Kein signifikanter Zusammenhang lässt sich hingegen zwischen der Betroffenheit vom Mindestlohn und der Entwicklung der Arbeitslosigkeit feststellen. Daher erscheint die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass sich derzeit jedenfalls keine ungünstigen Effekte auf die (regionale) Arbeitslosigkeitsentwicklung durch den Mindestlohn nachweisen lassen.

Ähnliche Ergebnisse zeigen sich bei Schätzungen auf der Basis von kleinräumigen Regionen, Altersgruppen (hier: 30- bis 54-Jährige) und Geschlecht, denn auch innerhalb dieser Kategorien ist die Betroffenheit durch den Mindestlohn unterschiedlich. Hier besteht ebenfalls ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen der Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung bei den 30- bis 54-Jährigen und der Betroffenheit durch den Mindestlohn. Bei den Minijobs zeigt sich für diese Altersgruppe hingegen ein signifikant negativer Zusammenhang. Für die Summe aus Minijobs und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ergibt sich kein signifikanter Zusammenhang.

Fazit

Die Einführung des Mindestlohnes hat nach bisherigen Erkenntnissen weder zu einer ungünstigeren Beschäftigungsentwicklung beigetragen, noch hat sie einen statistisch nachweisbaren Effekt auf die Arbeitslosigkeit gehabt. Die vielfach geäußerten Befürchtungen, dass der Mindestlohn zu gravierenden Beschäftigungsverlusten führen würde, haben sich also bislang nicht bestätigt.

Dennoch muss die weitere Entwicklung sorgfältig beobachtet werden. Denn Unternehmen müssen in der Lage sein, die von ihnen gezahlten Löhne zu erwirtschaften, damit es nicht zu einem Abbau der Beschäftigung kommt. Es bleibt also abzuwarten, ob die Unternehmen den Mindestlohn auch dann ohne Personalabbau verkraften können, wenn es zu einer Eintrübung der wirtschaftlichen Entwicklung kommen sollte.

Methoden

Der Zusammenhang zwischen Mindestlohnbetroffenheit und Entwicklung der Beschäftigung bzw. Arbeitslosigkeit lässt sich mit Hilfe von Regressionen ermitteln. Dabei entspricht die Mindestlohnbetroffenheit dem Anteil der Vollzeitbeschäftigten, deren Lohn vor Einführung des Mindestlohnes unterhalb von 8,50 Euro lag.

Für jede Bundesland-Wirtschaftszweig-Kombination werden die Vorjahresveränderungen über einen längeren Zeitraum zu einem Panel zusammengetragen. Dies hat den Vorteil, dass das typische Beschäftigungswachstum dieser Bundesland-Wirtschaftszweig-Kombination berücksichtigt werden kann. Damit kann vermieden werden, dass solche Entwicklungen fälschlicher Weise auf den Mindestlohn zurückgeführt werden.

Die Vorgehensweise bei der Arbeitslosigkeit ist ähnlich. Allerdings wird die Analyse dort auf der Ebene von Arbeitsmarktregionen und Geschlecht (statt von Bundesländern und Wirtschaftszweigen) durchgeführt. Arbeitsmarktregionen werden kreisscharf auf Basis von Pendlerverknüpfungen erstellt (vgl. Eckey u.a., 2006). Auf dieser Ebene werden im Gegensatz zu obiger Vorgehensweise keine weiteren Kontrollvariablen berücksichtigt.

Literatur

Vom Berge, Philipp; Kaimer, Steffen; Copestake, Silvina; Eberle, Johanna; Klosterhuber, Wolfram; Krüger, Jonas; Trenkle, Simon; Zakrocki, Veronika (2016): Arbeitsmarktspiegel: Entwicklungen nach Einführung des Mindestlohns, IAB-Forschungsbericht Nr. 1.

Bossler, Mario; Gerner, Hans-Dieter (2016): Employment effects of the new German minimum wage. Evidence from establishment-level micro data. IAB-Discussion Paper Nr. 10.

Eckey, Hans-Friedrich; Kosfeld, Reinhold; Türck, Matthias (2006): Abgrenzung deutscher Arbeitsmarktregionen. Raumforschung und Raumordnung, 64(4), 299-309.

IFO (2014): Der flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro gefährdet bis zu 900.000 Arbeitsplätze, Pressemitteilung vom 19.3.2014, München.

Möller, Joachim (2014): Werden die Auswirkungen des Mindestlohns überschätzt? In: Wirtschaftsdienst, Jg. 94, H. 6, S. 387-392.

 

Weitere Informationen:

IAB-Infoplattform: Mindestlohn