Katrin Auspurg, Professorin für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, erforscht mithilfe des Panels „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS), wie soziale Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt zustande kommen und wie man diese erklären kann.

Frau Auspurg, Sie sind Professorin für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Wo liegen Ihre aktuellen Arbeitsschwerpunkte und Forschungsinteressen?

Ich interessiere mich vor allem dafür, wie soziale Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt zustande kommen und wie man diese erklären kann – also, was die Mechanismen dafür sind, dass aus reinen Unterschieden soziale Ungleichheiten entstehen. Ein Beispiel hierfür ist die Verzahnung von Ungleichheiten in Familien und auf dem Arbeitsmarkt: So ist die Abstimmung von Karrieren in Familien ein Faktor, der zu Ungleichheiten führen kann. Auch die mögliche Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt im Allgemeinen oder speziell in der Wissenschaft ist hier zu nennen. Bei all diesen Themen interessiere ich mich auch immer für die Entwicklung neuer oder die Verbesserung bereits bestehender Methoden. Beispielsweise frage ich danach, wie man Personen zur Teilnahme an einer Umfrage motivieren kann. Auch mit der Verbindung von Experimenten und Umfragen setze ich mich auseinander. Gerade bei diesen Forschungszielen habe ich sehr von den PASS-Daten profitieren können.

„Mein erster Kontakt mit dem Panel war noch als Doktorandin an der Universität in Konstanz.“

Wie kamen Sie damals eigentlich auf dieses Panel des IAB? Können Sie sich noch an Ihren ersten Kontakt damit erinnern?

Mein erster Kontakt mit dem Panel war noch als Doktorandin an der Universität in Konstanz. Zu der Zeit hatte ich viele Studien gelesen, die auf PASS-Daten basierten. Ehrlich gesagt war mir zu diesem Zeitpunkt das besondere Potenzial dieses Datensatzes noch gar nicht bewusst. Das hat sich dann aber schnell geändert, als ich für meine Promotion, die sich unter anderem mit Doppelverdiener-Paaren beschäftigt hat, auf das Problem gestoßen bin, dass meine selbstrekrutierte Stichprobe schlicht zu klein war, um verallgemeinerbare Schlussfolgerungen zu ziehen. Also habe ich mich nach Kooperationsmöglichkeiten bei größeren Bevölkerungsumfragen umgehört und bin schließlich bei PASS fündig geworden. Dort gab es eine Ausschreibung zur Mitentwicklung des Fragebogens, auf die wir uns damals beworben hatten. Ich habe mich dann näher mit dem Panel auseinandergesetzt und war gleich sehr angetan.

„In keinem anderen Datensatz gibt es so viele detaillierte Informationen zur Stellensuche und zugleich zur Lebenssituation und weiteren sozialen Merkmalen der Befragten.“

Wie genau hat das Panel Ihre eigene Forschung bereichert?

Es ist eine Längsschnittstudie mit langer Laufzeit und bietet schon allein deshalb besonders wertvolle Möglichkeiten für die Forschung, auch und gerade für mein Forschungsgebiet der Analyse sozialer Ungleichheiten. Für unser Forschungsprojekt zur Stellenannahmebereitschaft waren zudem die hohe Fallzahl an Befragten und die große Themenvielfalt ausschlaggebend. In keinem anderen Datensatz gibt es so viele detaillierte Informationen zur Stellensuche und zugleich zur Lebenssituation und weiteren sozialen Merkmalen der Befragten. In diesem Sinne war das für uns tatsächlich eine ideale Datenquelle.

Können Sie noch näher auf dieses Forschungsprojekt eingehen? Was haben Sie herausgefunden?

Wir beobachten in Deutschland sehr starke Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Bei beruflichen Umzügen sind es beispielsweise eher die Frauen, die den Männern hinterherziehen, als umgekehrt. Da Frauen dann ihre alte Stelle aufgeben müssen und gezwungen sind, am neuen Wohnort eine neue Stelle zu finden, führt dies oft zu Abstrichen beim Einkommen oder bei anderen wünschenswerten Eigenschaften von Jobs. Dies ist nur ein kleines Beispiel, wie auf dem Arbeitsmarkt geschlechterbezogene Ungleichheiten entstehen, aber ein Beispiel, anhand dessen man sehr gut die Mechanismen für die Entstehung von Ungleichheiten in Familien und auf dem Arbeitsmarkt untersuchen kann. Weitgehend unklar waren bislang noch die genauen Gründe für diese Muster bei Umzugsentscheidungen. Hieran haben wir angeknüpft und in Kooperation mit PASS ein Forschungsdesign entwickelt, das es uns erlaubte, den Befragten fiktive Stellenangebote vorzulegen. Wir haben uns gefragt, was passieren würde, wenn alle Personen – also etwa Frauen und Männer, Arbeitslose und Erwerbstätige, Personen mit niedriger und höherer Bildung – einen ähnlichen Zugang zu Stellen hätten. Durch diese Simulation konnten wir beobachten, ob sich die Präferenzen zwischen unterschiedlichen Gruppen auch dann noch unterscheiden, wenn sie vergleichbare Stellenoptionen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Und taten sie das?

Nein. Sowohl zwischen Frauen und Männern als auch zwischen Arbeitslosen und Erwerbstätigen haben wir kaum bedeutsame Unterschiede festgestellt. Die Ursache für die Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt ist demnach kaum auf unterschiedliche Präferenzen zurückzuführen, sondern eher mit unterschiedlichen Stellenangeboten für Männer und Frauen, Arbeitslose und Erwerbstätige zu erklären. Unterschiede haben wir aber bei geringqualifizierten Personen gefunden: Diese sind eher bereit, eine befristete Stelle zu akzeptieren oder dafür umzuziehen. Personen mit höherer Bildung lehnen solche Stellen für gewöhnlich ab.

„Die Studie eignet sich hervorragend für eine Vielzahl an Fragestellungen.“

Mal unabhängig von Ihrer eigenen Forschung: Wie ist das generelle Ansehen der Studie in der Wissenschaft? Was macht den Datensatz besonders?

In den letzten Jahren gab es einen starken Trend hin zu Längsschnittstudien. Diese sind für die Forschung sehr wichtig, um Veränderungen über die Zeit beobachten zu können: Sind es etwa immer dieselben oder sind es unterschiedliche Personen, die über die Zeit gesehen von Arbeitslosigkeit betroffen sind? PASS ist eine dieser repräsentativen Längsschnittstudien und eignet sich hervorragend für eine Vielzahl an Fragestellungen. Besonders macht die Studie aber erst die Zusammensetzung der Stichprobe: Viele Haushalte befinden sich im Niedriglohnbereich oder im Grundsicherungsbezug, da würde man mit anderen Datensätzen schnell an Grenzen stoßen. Aus meiner subjektiven Erfahrung kann ich berichten, dass es immer interessierte Nachfragen zum Datensatz gab, auch auf internationalen Konferenzen. Natürlich dauert es immer ein paar Jahre, bis eine solche Studie auch international bekannt wird. Ich würde aber schon sagen, dass der Datensatz inzwischen eine hohe Reputation und ein großes Ansehen in der Wissenschaft genießt.

Gibt es denn auch Einschränkungen?

Die Befragung hat wie alle anderen sozialwissenschaftlichen Studien mit dem Problem einer rückläufigen Teilnahmebereitschaft zu kämpfen. Die Bereitschaft, an wissenschaftlichen Umfragen teilzunehmen, leidet sicherlich unter dem Umstand, dass mittlerweile viele kommerzielle Markt- und Meinungsforscher das Umfragegeschäft dominieren. Diese Entwicklung ist ein generelles Problem in Deutschland, aber besonders problematisch für Längsschnittbefragungen. Ohne eine kontinuierliche Teilnahme von Befragten an solchen Projekten sind viele wichtige Forschungsfragen kaum zu lösen.

Planen Sie aktuell oder in Zukunft weitere Forschungsprojekte, für die Sie erneut auf den Datensatz zurückgreifen werden?

Ja, ich plane tatsächlich einige Anschlussprojekte. Durch die Auseinandersetzung mit dem Datensatz habe ich etliche neue Fragestellungen gefunden. So bin ich darauf gestoßen, dass Haushalte mit einer weiblichen Hauptverdienerin in dieser Studie im Vergleich zu anderen Datensätzen weitaus häufiger anzutreffen sind. Das eröffnet schöne Möglichkeiten für familien- und geschlechtersoziologische Fragen. Und dann gibt es da noch ein kleines Liebhaberprojekt von mir, das ich schon lange mit mir herumtrage: Es geht um die mögliche Benachteiligung von Konfessionslosen. Auf dem sozialen Arbeitsmarkt befindet sich etwa ein Drittel der Einrichtungen in christlicher Trägerschaft. Hier interessiere ich mich dafür, ob es Unterschiede zwischen Personen mit und ohne Religionszugehörigkeit im Hinblick auf Beschäftigungschancen gibt. Auch hierzu bietet PASS eine ausreichend hohe Fallzahl und ist überdies einer der wenigen Datensätze, der Informationen zur Religionszugehörigkeit enthält.

 

Zur Person

Prof. Dr. Katrin Auspurg studierte zunächst Sozialpädagogik an der Fachhochschule München (Diplom 2001) und danach Soziologie an der Ludwig-Maximilians- Universität (LMU) München (Diplom 2006). Anschließend war sie bis 2011 Lehrstuhlmitarbeiterin am Fachbereich Geschichte und Soziologie der Universität Konstanz, wo sie 2010 auch promovierte. In dieser Zeit war sie dort zudem als wissenschaftliche Mitarbeiterin in zwei Projekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft und von 2011 bis 2014 als Akademische Rätin tätig. 2014 nahm sie den Ruf auf eine Professur für Soziologie mit Schwerpunkt quantitative Methoden der empirischen Sozialforschung an der Goethe-Universität Frankfurt an. Im Jahr darauf wechselte sie an die LMU München.

 

Die Fragen stellte Daniel Meyer, derzeit als Doktorand am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln tätig.