Die Frage, was es bedeutet, „integriert zu sein“, wird nicht nur sehr unterschiedlich beantwortet. Sie stellt sich auch nicht jeder Person im gleichen Maße. Im Gegensatz zu den meisten hier etablierten Menschen werden Geflüchtete, die neu nach Deutschland kommen, permanent damit konfrontiert. Eine IAB-Studie gibt Aufschluss darüber, was Integration für diese Menschen bedeutet und wie dieses Verständnis ihre weitere Lebensführung beeinflusst.

Je nachdem, wen man fragt, was Integration bedeutet, werden unterschiedliche Antworten zu hören sein: die deutsche Sprache verstehen und benutzen zu können, pünktlich und ordentlich zu sein, einer bedarfsdeckenden Erwerbsarbeit nachzugehen, nicht „gettoisiert“ zu wohnen, sich den hiesigen Ess- und Trinkgewohnheiten anzunähern, Kontakte zu Deutschen zu pflegen oder sich an etablierten gesellschaftlichen Leitbildern wie etwa der Gleichberechtigung aller Geschlechter zu orientieren.

Die Existenz solch unterschiedlicher Interpretationen zeigt bereits, dass längst nicht klar ist, was Integration eigentlich bedeutet. Dies ist insbesondere für diejenigen Menschen problematisch, die tagtäglich mit der Aufforderung, sich zu integrieren, konfrontiert werden und aufgerufen sind, danach zu handeln.

Im Folgenden wird am Beispiel syrischer Geflüchteter gezeigt, welche Verständnisse von Integration existieren und wie diese ihr weiteres Leben und Ankommen in Deutschland beeinflussen. Zuvor gilt es jedoch, sich zu vergegenwärtigen, woher solch unterschiedliche Verständnisse von Integration stammen. Hierfür lohnt sich etwa ein Blick auf institutionelle Vorgaben.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beschreibt in seinem Glossar Integration als „langfristige[n] Prozess. Sein Ziel ist es, alle Menschen, die dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland leben, in die Gesellschaft einzubeziehen. Zugewanderten soll eine umfassende und gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht werden. Sie stehen dafür in der Pflicht, Deutsch zu lernen sowie die Verfassung und die Gesetze zu kennen, zu respektieren und zu befolgen.“

Diese Wortwahl („Pflicht“) zeigt exemplarisch, wie davon angesprochene Menschen in gängigen Definitionen ein Konzept von Integration als Imperativ gegenübersteht. Dieser „Imperativ der Integration“ ruft Ankommende zur Handlung auf, doch der Weg zum angegebenen Ziel bleibt hier, wie auch in anderen Definitionen, unklar: Ab welchem Niveau darf der Spracherwerb als gelungen betrachtet werden? Was bedeutet es, Gesetze zu kennen? Inwiefern muss Respekt für die Verfassung ausgedrückt werden? Antworten auf solche Fragen sind individuell und können auf den jeweiligen Lebensweg der betreffenden Personen zurückgeführt werden. Gleichzeitig prägen aus dem jeweiligen Verständnis resultierende Handlungen die weitere Lebensgeschichte.

Anhand wiederkehrender Integrationsverständnisse lässt sich darstellen, wie der Imperativ der Integration den jeweiligen Lebensentwurf der Betroffenen prägt und welche Handlungsmöglichkeiten daraus hervorgehen. Die Grundlage dieser Rekonstruktion bilden Gespräche mit Menschen, die aus Syrien geflüchtet sind. Sie wurden im Rahmen der IAB-Studie „Netzwerke der Integration“ befragt (genauere Informationen zu den Daten sowie der Auswertungsmethode siehe Infokasten „Daten und Methoden“). Die jeweiligen Integrationsverständnisse sind als Idealtypen zu lesen, wenngleich sich in den analysierten Interviews auch Mischformen finden.

Integration als Reziprozität

In jedem der Interviews drücken die Befragten Dankbarkeit aus, etwa für die Aufnahme in Deutschland oder für die Möglichkeit, in Sicherheit leben zu können. In einigen Fällen geht es aber um mehr als Dankbarkeit. In diesen Fällen erscheint den nach Deutschland Gekommenen das hier erhaltene Asyl nicht als ein bedingungsloses Menschenrecht, sondern als eine Gabe – ein Geschenk aus Wohltätigkeit, das eine Gegengabe erfordert.

Diese Interviewten verstehen Integration als ein Prinzip der Gegenseitigkeit. Dies äußert sich in den Gesprächen immer wieder in Sätzen wie: „Deutschland hat uns so viel gegeben, ich will etwas zurückgeben.“ Ist jemand beispielsweise überzeugt, durch Erwerbsarbeit etwas zurückgeben zu können, eröffnet ein solches Verständnis von Integration eine Handlungsoption, um dem Imperativ der Integration nachkommen zu können. Gelingt dann die Aufnahme einer Erwerbsarbeit, kann dies das Gefühl, angekommen zu sein, stärken.

Ist jemand hingegen überzeugt, der verinnerlichten Verpflichtung zur Gegengabe nicht nachkommen zu können, kann dies das Selbstwertgefühl beeinträchtigen. Dies ist etwa bei einem befragten Analphabeten der Fall. Er sieht zum Interviewzeitpunkt „keine Hoffnung“, eine Arbeit aufnehmen zu können. Stattdessen stellt er Ersatzleistungen in Aussicht: So würde er auch „als Clown arbeiten“ oder gar sein Leben geben, sollte „Deutschland Schaden drohen“. Er bietet buchstäblich alles an, was er hat, um eine Schuld, die er verspürt, zu begleichen, ohne das Gefühl zu haben, ihr genügen zu können. Die Handlungsunfähigkeit gegenüber dem Imperativ der Integration führt zu dem Gefühl, ausgeschlossen und ausgegrenzt zu sein. Daraus resultiert gleichzeitig eine Abwertung des Selbstbildes.

Integration als Grundrechtsorientierung

Im Gegensatz dazu kann Integration auch als Rechtsanspruch verstanden werden. In solchen Gesprächen wird nicht primär Dankbarkeit für die Aufnahme ausgedrückt, sondern Asyl als bedingungsloses Menschenrecht angesehen. In der Folge wird Integration als Grundrechtsorientierung beschrieben. Dabei werden die in den Grundrechten festgeschriebenen Freiheiten für sich selbst in Anspruch genommen. Der Eindruck, rechtlich gleichbehandelt zu werden, stärkt in solchen Fällen das Gefühl, integriert zu sein.

Menschen mit diesem Verständnis von Integration fühlen sich in der Lage, ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten zu können. Sie sind überzeugt, dass ihnen die deutsche Rechtsordnung eine gewisse Handlungsfähigkeit einräumt. Der Imperativ der Integration wird nicht als Handlungsdruck empfunden, denn die formulierten Pflichten können mit den Rechten und eigenen Vorstellungen des Lebens in der neuen Gesellschaft verknüpft werden. Wer beispielsweise seine Heimat verlässt, da er sicher und gleichberechtigt leben will, wird die formulierte Pflicht, der Verfassung zu folgen, nicht problematisieren. Allerdings leiten sich aus diesem Verständnis keine notwendigen Handlungen ab, durch welche hier Ankommende ihr Integrationsgefühl steigern könnten.

So kann auch dieses Verständnis dem Gefühl, integriert zu sein, entgegenwirken. Dies zeigt sich, wenn jemand die Auffassung vertritt, die festgeschriebenen Grundrechte aufgrund seiner eigenen Herkunft für sich nicht gleichberechtigt in Anspruch nehmen zu können. Dann wird der Imperativ der Integration als ungerecht zurückgewiesen – etwa, weil er sich vorrangig an Neuankommende richtet.

Integration als Verwaltungsakt

Das Verständnis von Integration als Verwaltungsakt ähnelt der zuvor dargestellten Ausrichtung an Grundrechten. Auch hier wird Integration als Recht wahrgenommen. Allerdings erscheint dieses Recht nicht als bedingungslos, sondern steht am Ende eines institutionalisierten Prozesses und muss daher erarbeitet werden. Im Rahmen dieses Prozesses gilt es, die Sprache zu erwerben, eine Wohnung zu beziehen und eine bedarfsdeckende Erwerbsarbeit aufzunehmen. Der Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft wird als verwaltungstechnischer Abschluss dieses Integrationsprozesses wahrgenommen.

Im Gegensatz zum Verständnis von Integration als Grundrechtsorientierung eröffnet ein derartiges Integrationsverständnis allerdings die Möglichkeit, tätig zu werden, da die Anforderungen des Integrationsprozesses klar identifiziert wurden. Somit wird der Imperativ der Integration angenommen und dessen Ziele werden verinnerlicht.

Das kann allerdings auch zu Gefühlen der Desintegration führen. Lassen sich die angestrebten Ziele nicht erreichen, kann der Integrationsprozess nicht abgeschlossen werden. Entsprechend scheitern manche Personen beispielsweise nicht nur dabei, sich ausreichende Deutschkenntnisse anzueignen oder eine angestrebte Erwerbsarbeit aufzunehmen, sondern ebenso an ihrem Anspruch an die eigene Integration.

Haben Personen ihre verinnerlichten Ziele erreicht und dennoch das Gefühl, nicht gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben zu können, stellt sich ebenfalls das Gefühl ein, ausgegrenzt und ausgeschlossen zu bleiben. Das entspricht den Wahrnehmungen derjenigen, deren Verständnis von Integration als Grundrechtsorientierung enttäuscht worden ist. Neben dieser Enttäuschung erscheinen auch weitere Bemühungen hinsichtlich der eigenen Integration als zwecklos.

Integration als Überwindung kultureller Fremdheit

Bei diesem Verständnis von Integration verspüren die Befragten eine kulturelle Fremdheit, die dem Gefühl, integriert zu sein, im Weg steht. Dieses Fremdheitsgefühl löst bei den Betroffenen Abwertungsprozesse aus. Manche werten sich selbst ab, da sie ihr Fremdheitsgefühl als Mangel begreifen. Andere werten die Kultur des Aufnahmelandes ab und projizieren damit das eigene Fremdheitsgefühl auf die gesellschaftliche Umwelt. Wieder andere werten die verinnerlichte Kultur ihres Herkunftslandes ab. Dies kann die Fremdheitserfahrung noch verstärken, da nicht nur das Neue fremd wirkt, sondern auch das Bekannte in einem anderen Licht erinnert wird.

Um sich integriert zu fühlen, müssten sie diese Erfahrungen überwinden. Dem stehen jedoch alltägliche Erfahrungen von Stigmatisierung sowie gefühlter wie tatsächlich erlebter Ausgrenzung im Wege. Dies reproduziert das verinnerlichte Gefühl der Andersartigkeit und lässt die Betroffenen handlungsunfähig zurück. Wenn diese Menschen dagegen die Möglichkeit erhalten, an hier etablierten Lebenswelten teilzuhaben, mag dies helfen, um das Gefühl der Andersartigkeit abzubauen und das Gefühl, integriert zu sein, zu beleben.

Integration als Zugehörigkeit

Einige der Befragten lassen keinen Zweifel an ihrer Überzeugung, integriert zu sein. Sie beschreiben dies als ein Gefühl der Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Teilbereichen. Die Befragten fühlen sich zugehörig, wenn sie sich in einem für sie relevanten Lebensbereich, etwa am Arbeitsplatz, im Freundeskreis oder in einem Verein, als gleichberechtigt wahrgenommen fühlen. In diesem Sinne genügt nicht etwa die Aufnahme eines Studiums, um sich dem gesellschaftlichen Teilbereich „Universität“ zugehörig zu fühlen. Hierfür muss die Person auch von anderen als Student oder Studentin angesprochen werden – und nicht etwa als „Flüchtling“.

Je nach persönlicher Relevanz kann beispielsweise die Aufnahme einer Erwerbsarbeit, der Bezug einer Wohnung oder die soziale Teilhabe an etablierten Vereinen entsprechende Zugehörigkeitsgefühle hervorrufen. Diese Zugehörigkeitsgefühle können sich in der Folge auf andere gesellschaftliche Teilbereiche übertragen und auch dort das Gefühl verstärken, integriert zu sein.

Entsprechend wird Integration in solchen Fällen nicht weiter problematisiert. Findet das Thema überhaupt (noch) Erwähnung, dann geschieht dies über die Thematisierung von Diskriminierungserfahrungen. Denn solche Erfahrungen, beispielsweise durch eine ausgrenzende Ansprache, erschüttern das Gefühl der Zugehörigkeit zu gemeinsamen Lebenswelten.

Selbstverständlich sind auch den Menschen mit diesem Integrationsverständnis die mit dem Imperativ der Integration verbundenen Anforderungen bekannt. Diese sind allerdings häufig mit ihren eigenen Prioritäten konform. Die Befragten sehen sich daher nicht in ihrer Handlungsmacht eingeschränkt, denn nicht der Imperativ der Integration bestimmt ihre weiteren Aktivitäten, sondern ihre eigenen Hoffnungen, Wünsche und Ziele.

Fazit

Den für diese Studie befragten Geflüchteten tritt Integration als Imperativ gegenüber. Er ist mit Anforderungen an die neu Ankommenden verbunden und fordert sie dazu auf, ihnen nachzukommen. In den Interviews zeigt sich auch, dass die Befragten ein verschiedenartiges Verständnis von Integration haben und dieses ihr weiteres Leben und Ankommen entsprechend unterschiedlich prägt. Das betrifft sowohl die Wahrnehmung der eigenen Handlungsfähigkeit als auch das Selbstbild der befragten Personen. Die mithilfe der Gespräche rekonstruierten Verständnisse von Integration sind dabei nicht trennscharf. Es kann ebenso Mischformen geben, oder das Integrationsverständnis kann sich über die Zeit hinweg verändern.

Weiterhin zeigte sich, dass unklare Anforderungen im Integrationsprozess die Betroffenen dazu zwingen, die darin liegenden Implikationen selbstständig zu deuten. Daraus entstehen unterschiedliche Integrationsverständnisse, aufgrund derer den Ankommenden gewisse Handlungen als naheliegend erscheinen und andere als unmöglich.

Eine sich als integrativ verstehende Politik müsste also den Menschen mit seinen individuellen Bedürfnissen in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit rücken: Wer Integration als Verwaltungsakt versteht, will den institutionalisierten Asylprozess schnell hinter sich bringen. Wer Integration als Rechtsanspruch versteht, will nicht anders behandelt werden als etablierte Menschen. Und wer Integration als Reziprozität versteht, möchte die Möglichkeit erhalten, seine Fähigkeiten und Kenntnisse im eigenen Sinne einsetzen zu können.

Darüber hinaus zeigt sich, dass von den rekonstruierten Integrationsverständnissen nur Integration als Zugehörigkeit positiv konnotiert ist. Andere Verständnisse dagegen führen immer wieder zu einem Gefühl der Ausgrenzung. Diesem Gefühl liegt dann allem voran eine empfundene Ungleichbehandlung zugrunde, die in den Gesprächen als Diskriminierungserfahrungen dargestellt werden.

Einer sich als integrativ verstehenden Gesellschaft müsste es also gelingen, Integration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen: Wer Integration als die Überwindung kultureller Fremdheit versteht, muss das Gefühl vermittelt bekommen, dass auch die hier Lebenden nicht alle gleich und doch gleichwertig sind. Wer Integration als Zugehörigkeit versteht, muss sich als gleichberechtigt teilnehmend fühlen, damit die eigenen Bemühungen als wertgeschätzt empfunden werden. Hierfür bedarf es einer offenen, vorurteilsfreien, hilfsbereiten Gesellschaft und der unerschütterlichen Überzeugung, dass alle Menschen frei und gleich an Würde sind. So kann der Imperativ der Integration zu dem werden, was er sein sollte: eine Einladung.

Daten und Methoden

Grundlage dieses Beitrags ist die IAB-Studie „Netzwerke der Integration“, in deren Rahmen in den Jahren 2017 und 2018 mit 42 überwiegend syrischen Geflüchteten persönliche Gespräche zu ihrem Leben in Deutschland geführt wurden. Mit 15 dieser Personen erfolgte im Jahr 2020 ein Wiederholungsinterview. Bei der Auswahl der Befragten wurde auf die Varianz soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht und formaler Bildungsgrad geachtet. Darüber hinaus kamen weitere Samplingkriterien zum Einsatz, die sich im Verlaufe der Untersuchung als wichtig erwiesen haben, beispielsweise das Niveau der Deutschkenntnisse oder die psychische Belastung aufgrund von traumatischen Erfahrungen.

Um den Einfluss der jeweils verinnerlichten Bedeutungen von Integration sowie deren Auswirkungen auf die Normalitätsvorstellungen und daraus resultierende Lebensführung ergründen zu können, wurde einerseits der Diskurs um Integration wissenssoziologisch analysiert. Andererseits wurden die erhobenen Lebensgeschichten im Sinne der Biografieforschung interpretativ-rekonstruktiv untersucht. Um herauszuarbeiten, an welche Diskurspositionen in der Lebensgeschichte angeknüpft wird, wurde dem Forschungsparadigma der empirischen Subjektivierungsforschung gefolgt. Eine genauere Darstellung der hier vorgestellten Positionierungen im Feld der Integration erfolgt im Rahmen der Dissertation des Autors.

Röhrer, Stefan (2021): Das Verständnis von Integration ist sehr unterschiedlich und prägt das Ankommen, In: IAB-Forum 15. Juli 2021, https://www.iab-forum.de/das-verstaendnis-von-integration-ist-sehr-unterschiedlich-und-praegt-das-ankommen/, Abrufdatum: 25. April 2024