Die Covid-19-Pandemie und die zu ihrer Eindämmung umgesetzten Maßnahmen treffen den Arbeitsmarkt erheblich. Eine Simulationsstudie des IAB und des ifo Instituts zeigt: Die Bruttoerwerbseinkommen dürften sich in diesem Jahr infolge der Covid-19-Krise für alle Einkommensgruppen spürbar verringern. Das Steuer- und Transfersystem und insbesondere die Kurzarbeiterregelungen wirken jedoch als wichtige Einkommensstabilisatoren und reduzieren die Verluste bei den Erwerbseinkommen deutlich.

Deutschland hat weitreichende Maßnahmen beschlossen, um die Pandemie einzudämmen. Dazu zählen unter anderem Distanzunterricht, Kontaktbeschränkungen und Einschränkungen der Geschäftstätigkeit. Auch wenn diese Maßnahmen helfen, die Zahl der Infektionen zu verringern, verursachen sie doch erhebliche wirtschaftliche Kosten – mit potenziell gravierenden Folgen auch für die Einkommensverteilung.

Bislang liegen noch keine Daten zu den Auswirkungen der Covid-19-Krise auf die Einkommensverteilung vor, denn diese sind nur mit erheblichen Zeitverzögerungen verfügbar. Um die Folgen für das Jahr 2020 dennoch abschätzen zu können, hat das IAB gemeinsam mit dem Münchner Institut für Wirtschaftsforschung (ifo) eine Simulationsstudie durchgeführt (siehe Infokasten Methodik).

Ein Bündel von Maßnahmen soll zur Stabilisierung der Einkommen beitragen

Die Studie berücksichtigt eine Reihe von Maßnahmen, die darauf abzielen, Arbeitsplätze in der aktuellen Covid-19-Krise zu erhalten und die Haushaltseinkommen zu stabilisieren. Das Kurzarbeitergeld (Kug) stellt das wohl wichtigste Instrument zum Erhalt von Arbeitsplätzen und zur Einkommenssicherung der Beschäftigten dar. Die jüngste vorläufige Statistik der Bundesagentur für Arbeit geht für September 2020 von 2,2 Millionen Menschen in Kurzarbeit aus – ein deutlicher Rückgang gegenüber den 6,0 Millionen vom April dieses Jahres, dem bisherigen Höhepunkt der Krise. Im Februar dieses Jahres, also kurz vor Ausbruch der Pandemie in Deutschland, lag die Zahl noch bei 134.000.

Betriebe werden entlastet, indem den Beschäftigten für die ausgefallenen Arbeitsstunden Kurzarbeitergeld gezahlt wird. Zusätzlich werden dem Betrieb die entstehenden Sozialversicherungsbeiträge (ausgenommen die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung) auf das entfallene Bruttoeinkommen erstattet. Die Höhe des Kug entspricht in etwa dem Arbeitslosengeld, das heißt 60 Prozent des letzten Nettolohns (67 Prozent für Erwerbstätige mit Kindern). In der aktuellen Krise wurde das Kug zeitlich gestaffelt auf bis zu 80 beziehungsweise 87 Prozent erhöht. Zudem hat die Bundesregierung zeitlich befristet den Zugang zu dieser Leistung vereinfacht und die Bezugsdauer unter bestimmten Voraussetzungen auf bis zu 24 Monate verlängert.

Außerdem wurde eine Reihe weiterer entlastender Maßnahmen verabschiedet. So erhalten Familien einen einmaligen Kinderbonus in Höhe von 300 Euro für jedes kindergeldberechtigte Kind. Weitere Maßnahmen wie die Erhöhung des Einkommenssteuerfreibetrags für Alleinerziehende, der Notfall-Kindergeldzuschlag und ein erleichterter Zugang zu Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sollen einkommensschwache Haushalte unterstützen.

Simulierte Auswirkungen auf die Bruttoerwerbseinkommen von Erwerbstätigen

Auf Basis der monatlichen ifo-Konjunkturumfragen zu den Geschäftserwartungen der Betriebe vom September dieses Jahres lassen sich die krisenbedingten Beschäftigungsänderungen für das Jahr 2020 abschätzen. Demnach verzeichnen die Gastronomie mit 31,9 Prozent und das Beherbergungsgewerbe mit 28,0 Prozent in diesem Jahr den größten Einbruch bei der Zahl der geleisteten Arbeitsstunden. Die Bekleidungsindustrie, Reisebüros und der Fahrzeugbau sind ebenfalls von einem erheblichen Rückgang betroffen. Vergleichsweise geringe Rückgänge sind demgegenüber im Groß- und Einzelhandel, im Baugewerbe, bei den Informationsdienstleistungen (jeweils rund 1 Prozent) sowie im Grundstücks- und Wohnungswesen (0,1 Prozent) zu erwarten.

Abbildung 1 zeigt, wie sich die Einkommensausfälle im Durchschnitt auf alle Haushalte von Erwerbstätigen verteilen, die in den betroffenen Wirtschaftsbereichen arbeiten. Dargestellt sind die simulierten relativen Änderungen des Bruttoeinkommens für verschiedene Einkommensgruppen (Dezile). Im Durchschnitt über alle Haushalte beträgt der simulierte Rückgang des Bruttoeinkommens 3 Prozent. Dabei trifft der Rückgang Haushalte aus allen Einkommensgruppen.

Die größten relativen Verluste entstehen im untersten Einkommensdezil, also bei den Haushalten der Erwerbstätigen, die am unteren Ende der Einkommensverteilung rangieren. Es folgen die Haushalte im achten, neunten und vierten Dezil. Die geringsten Einkommensverluste erfahren Erwerbstätige im fünften und dritten Dezil. Es sind also sowohl gut bezahlte Arbeitsplätze etwa im Verarbeitenden Gewerbe als auch niedriger entlohnte Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor von der Krise betroffen. Dennoch zeigen weitere Analysen, dass die Ungleichheit der Bruttoerwerbseinkommen unter dem Strich leicht zunimmt.

Abbildung 1 zeigt die relative Änderung des Bruttoerwerbseinkommens in verschiedenen Einkommensgruppen im Jahr 2020. Im Durchschnitt liegt der Rückgang bei drei Prozent. Die Spannweite liegt zwischen einem Rückgang um 4,3 Prozent im niedrigsten und 2,4 Prozent im fünften Einkommensdezil. Quelle: IAB-MSM, Bruckmeier et al. (2020). © IAB

Simulierte Auswirkungen auf die Nettoeinkommensverteilung: starke Stabilisierungs- und Umverteilungseffekte

Betrachtet man nicht die Bruttoerwerbseinkommen, sondern die verfügbaren Haushaltseinkommen, so verringert sich der durchschnittliche Einkommensverlust bei den Haushalten der Erwerbstätigen deutlich um 1,9 Prozentpunkte auf nur noch 1,1 Prozent. Die Verluste beim Erwerbseinkommen werden also durch das Steuer- und Transfersystem, vor allem durch das Kurzarbeitergeld, erheblich abgemildert. Dabei sind die Sondermaßnahmen für einkommensschwache Haushalte noch gar nicht eingerechnet.

Bezieht man diese Sondermaßnahmen ebenfalls ein und betrachtet die Gesamtbevölkerung, also einschließlich der Haushalte ohne Erwerbstätige, so reduziert sich der Gesamteffekt auf das verfügbare Haushaltseinkommen auf im Schnitt nur noch 0,1 Prozent (siehe Abbildung 2). Für die untersten beiden Dezile ergeben sich bei den Simulationsrechnungen sogar positive Effekte, während der Effekt für die mittleren Einkommensgruppen praktisch bei null liegt. Am oberen Ende der Einkommensverteilung bleibt der Effekt negativ. Die Simulationsergebnisse legen also nahe, dass die Einkommensungleichheit tendenziell zurückgeht. Allerdings sind die Änderungen der Einkommen so gering, dass die Einkommensungleichheit nahezu unverändert bleibt.

Die Einkommensgewinne für die unteren Einkommensgruppen sind wesentlich dem Kinderbonus zu verdanken. Dieser wird, anders als das Kindergeld, nicht auf bedarfsgeprüfte Leistungen wie die Grundsicherung für Arbeitsuchende angerechnet, aber mit dem aus dem Kinderfreibetrag resultierenden Einkommensteuervorteil verrechnet. Daher profitieren insbesondere Familien mit niedrigen bis mittleren Einkommen vom Kinderbonus. Zudem sind in den unteren Einkommensgruppen deutlich weniger Menschen erwerbstätig, sodass hier häufiger gar keine Verluste beim Erwerbseinkommen entstehen.

Abbildung 2 zeigt die relative Änderung des verfügbaren Einkommens in verschiedenen Einkommensgruppen im Jahr 2020. Im Durchschnitt liegt der Rückgang bei 0,1 Prozent. Die Spannweite liegt zwischen einem Zuwachs um 1,4 Prozent im zweiten und einem Rückgang um 1,0 Prozent im höchsten Einkommensdezil. Quelle: IAB-MSM, Bruckmeier et al. (2020). © IAB

Fazit

Deutschland kann in der Krise auf ein funktionierendes System der Kurzarbeit zurückgreifen. Während die Rückgänge beim Bruttoerwerbseinkommen mehr oder weniger alle Einkommensgruppen treffen, ist der Gesamteinkommenseffekt dank diverser Transferleistungen tendenziell progressiv.

Die hier präsentierten Simulationen des kurzfristigen Einkommenseffektes im Jahr 2020 beruhen auf dem Informationsstand vom September 2020. Sie gingen also noch davon aus, dass die Erholung der deutschen Wirtschaft einer V-Form folgt, dass also dem schnellen Absturz ein schneller Aufschwung folgt. Die starke Zunahme des Infektionsgeschehens seit Oktober 2020 stellt diesen Verlauf wieder infrage.

Gleichwohl dürften sich die Verteilungsergebnisse für das Gesamtjahr 2020 – auch aufgrund der relativ großzügigen November- und Dezemberhilfen – dadurch nicht wesentlich ändern. Wie sich die Krise in den kommenden Jahren auf die Einkommensverteilung auswirkt, hängt entscheidend davon ab, wie sich die krisenbedingten Beschäftigungsausfälle und die finanziellen Unterstützungsleistungen für die Bevölkerung weiterentwickeln.

Methodik

Der methodische Ansatz kombiniert verschiedene Datenquellen und Modelle und kann regelmäßig aktualisiert werden. Erstens werden Informationen aus der monatlichen ifo-Konjunkturumfrage genutzt, um Produktionsänderungen auf Ebene der Wirtschaftsbereiche in Echtzeit abzuschätzen. Die hier vorgestellten Simulationsergebnisse basieren auf den Mikrodaten, die dem ifo-Geschäftsklimaindex für September 2020 zugrunde liegen. Zweitens wird ein strukturelles Arbeitsnachfragemodell verwendet, um die geschätzten Produktionsänderungen in nach Wirtschaftsbereich und Arbeitnehmertyp differenzierte Änderungen der Arbeitsnachfrage zu übersetzen. Drittens wird das IAB-Mikrosimulationsmodell (IAB-MSM) verwendet, um die Wirkungen sowohl der krisenbedingten Beschäftigungsrückgänge als auch der Gegenmaßnahmen auf die Verteilung der Haushaltseinkommen zu quantifizieren. Eine ausführliche Darstellung der Analyse und der zugrunde liegenden Methodik findet sich im IAB-Discussion Paper 36/2020.

Hinweis der Redaktion: Eine leicht geänderte Fassung dieses Beitrags ist im ifo-Schnelldienst erschienen.

Bruckmeier, Kerstin; Peichl, Andreas; Popp, Martin; Wiemers, Jürgen; Wollmershäuser, Timo (2020): Covid-19-Krise: Für das Jahr 2020 ist mit keinem Anstieg der Einkommensungleichheit in Deutschland zu rechnen, In: IAB-Forum 10. Dezember 2020, https://www.iab-forum.de/covid-19-krise-fuer-das-jahr-2020-ist-mit-keinem-anstieg-der-einkommensungleichheit-in-deutschland-zu-rechnen/, Abrufdatum: 19. April 2024