Das Arbeitskräfteangebot in Deutschland wird bis zum Jahr 2060 sinken – bei aller Unsicherheit, mit denen längerfristige Prognosen zur demografischen Entwicklung behaftet sind. Das ergeben jüngste Prognosen des IAB, die sich auf neue methodische Verfahren stützen. Selbst hohe Nettozuzüge und steigende Erwerbsquoten von Frauen und Älteren können den Rückgang und die Alterung der Bevölkerung aufgrund niedriger Geburtenzahlen nicht ausgleichen.

„Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Dieses beliebte Bonmot gilt auch für längerfristige Prognosen zur demografischen Entwicklung, denn diese bergen eine erhebliche Unsicherheit. Für die Politik, die heute Entscheidungen etwa zur künftigen Ausgestaltung des Rentensystems zu treffen hat, ein echtes Problem, muss sie doch notgedrungen von bestimmten Annahmen über demografische Entwicklungen in der fernen Zukunft ausgehen.

Zugleich tendiert die Treffsicherheit von reinen Punktprognosen in diesem Bereich gegen Null. Niemand vermag heute etwa das Erwerbspersonenpotenzial im Jahr 2040 exakt zu beziffern, zumal unvorhersehbare Ereignisse zu starken Ausreißern nach oben oder unten führen können. Beispiele hierfür sind der Bürgerkrieg in Syrien, der eine starke Flüchtlingswelle Richtung Europa auslöste, oder die Große Rezession 2008/09, die kurzzeitig einen negativen Wanderungssaldo für Deutschland zur Folge hatte. Ab dem Jahr 2010 führte das Zusammenspiel von europäischer Wirtschaftskrise und schrittweiser Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer aus mittel- und osteuropäischen EU-Beitrittsstaaten wiederum zu einem starken Anstieg der Zuwanderung.

Viele Wissenschaftler arbeiten daher mit demografischen Szenarien, die ein bestimmtes Maß an Prognoseunsicherheit explizit einschließen und dieses zu quantifizieren versuchen. Zugleich gilt es, die Qualität der Prognosemethoden in diesem Bereich weiterzuentwickeln.

Neues Prognosemodell des IAB

Das IAB hat daher jüngst ein Prognosemodell entwickelt, das im Vergleich zu früheren Projektionen methodisch neue Wege beschreitet. Dieses „integrierte stochastische Modell“ bildet die Entwicklung der Vergangenheit mit ihren Schwankungen ab und lässt diese unvermeidlichen statistischen Unsicherheiten in die Prognose einfließen.

Das neue Modell prognostiziert die bisherige Entwicklung der Bevölkerung als auch des Erwerbspersonenpotenzials auf Basis sämtlicher Komponenten – Geburten, Sterbefälle, Wanderungen, Einbürgerungen und Potenzialerwerbsquoten –  in ihrem Zusammenspiel.

Ein Hauptunterschied zu den bisherigen Modellen liegt darin, dass mit einem stochastischen Prognoseverfahren die Unsicherheit quantifiziert wird. Für jede interessierende Größe, zum Beispiel das Erwerbspersonenpotenzial oder den Wanderungssaldo, gibt es ein Intervall, innerhalb dessen künftige Werte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit liegen. Die Breite dieses sogenannten Konfidenzintervalls hängt davon ab, wie gut sich die Komponente prognostizieren lässt.

So wird beispielsweise die Geburtenziffer deutscher Frauen bis 2060 auf einen Wert ansteigen, der mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent zwischen 1,45 bis 1,6 Kinder pro Frau liegen wird. Das Konfidenzintervall ist hier also relativ schmal. Ähnlich liegt der Fall bei den Sterbeziffern.

Entwicklung der Zuwanderung ist mit sehr großer Unsicherheit behaftet

Das Modell prognostiziert auch künftig hohe Zuzüge, und zwar bis 2060 im Mittel circa eine Million jährlich. Da hierdurch die Bevölkerung wächst, nimmt auch die Zahl der Fortzüge zu. Deshalb sinkt die Nettozuwanderung von Ausländern bis 2030 auf 120.000 Personen pro Jahr und bleibt danach nahezu konstant.

Die Unsicherheit der Wanderungsprognose ist allerdings sehr groß. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent wird die Nettozuwanderung im Jahr 2030 zwischen -60.000 und +290.000 Personen liegen. Ein temporär negativer Wanderungssaldo ist also durchaus im Bereich des Möglichen. Darin liegt ein wesentlicher Teil der Gesamtunsicherheit begründet.

Die Erwerbsbevölkerung altert

Die Gesamtbevölkerung Deutschlands mit derzeit über 82 Millionen Einwohnern wird im Prognosezeitraum sinken. Sie wird sich im Jahr 2060 mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent  zwischen 70 und 81 Millionen bewegen.

Relativ stärker nimmt die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ab, hier definiert als die Altersgruppe von 15 bis 66 Jahren, und zwar um 10 Millionen im genannten Zeitraum auf 45 Millionen, wobei die Untergrenze des 66-Prozent-Konfidenzintervalls bei 40 Millionen und die Obergrenze bei 50 Millionen Personen liegt.

Dass die Erwerbsbevölkerung vergleichsweise stärker sinkt als die Gesamtbevölkerung, hat zwei Gründe: Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente und die nachfolgenden Kohorten sind zahlenmäßig sehr viel schwächer. Daran ändert auch die hohe Zuwanderung wenig, obwohl die Migranten jünger sind als die heimische Bevölkerung.

Eine Konsequenz daraus ist ein steigender Altenquotient, der die Zahl der Rentner (67 Jahre und älter) bezogen auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter misst. Dieser Quotient steigt im Prognosezeitraum um fast 20 Punkte, und zwar von 27 auf 45.

Verknüpft man die Bevölkerung mit ihrer Erwerbsbeteiligung, resultiert daraus das Erwerbspersonenpotenzial. Die Potenzialerwerbsquoten der mittleren Altersgruppen und der Älteren, also der jeweilige Anteil aller potenziellen Erwerbspersonen in diesen Altersgruppen, liegen im internationalen Vergleich bereits heute auf höchstem Niveau. Trotzdem steigen sie den Modellrechnungen zufolge noch weiter und erreichen bis zum Jahr 2060 Werte, die teilweise nahe an die Obergrenze von 100 Prozent herankommen. Der Anstieg der Erwerbsquoten kann den Rückgang der Erwerbsbevölkerung dennoch nicht wettmachen.

Die stochastische Projektion für das Erwerbspersonenpotenzial ergibt deshalb einen Rückgang um sechs Millionen Arbeitskräfte: Das im Inland zur Verfügung stehende Arbeitskräfteangebot geht danach von derzeit etwa 46 Millionen auf unter 40 Millionen im Jahr 2060 zurück. Die Untergrenze des 66-Prozent-Konfidenzintervalls liegt bei knapp 36 Millionen, die Obergrenze bei 43 Millionen (siehe Abbildung). Das bedeutet: Im optimistischen Fall entspricht das Erwerbspersonenpotenzial im Jahr 2060 der heutigen Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland.

Abbildung: Voraussichtliche Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials in Deutschland, 2000 bis 2060

 

Das Erwerbspersonenpotenzial wird außerdem weiter altern: Waren im Jahr 2014 noch knapp 30 Millionen Erwerbpersonen jünger als 50 Jahre, werden es 2060 der Schätzung zufolge nur noch 25 Millionen sein, also 15 Prozent weniger. Dabei schrumpft die Gruppe der 15- bis 29-Jährigen um etwa 1,5 Millionen auf circa 8 Millionen Personen, die der 30- bis 49-Jährigen von gut 20 Millionen auf 17 Millionen.

Weil immer mehr Baby-Boomer im Prognosezeitraum in die Gruppe der Älteren hineinwachsen, bleibt die Zahl der Erwerbspersonen zwischen 50 und 64 Jahren zunächst relativ stabil bei 14 Millionen. Erst, wenn die geburtenstärksten Jahrgänge das 65. Lebensjahr vollenden, wird diese Altersgruppe kleiner und bis zum Jahr 2060 auf gut 12 Millionen Personen zurückgehen.

Durch die „Rente mit 67“ scheiden 65- und 66-Jährige später aus dem Erwerbsleben aus und somit steigt die Erwerbsbeteiligung der Personen ab 65 Jahren. Die geburtenstarken Jahrgänge, die zunehmend Teil dieser Gruppe werden, verstärken diesen Effekt, sodass für Anfang der 2030er Jahre bis zu 2,5 Millionen Erwerbspersonen in diesem Alterssegment prognostiziert werden – ausgehend von 1,5 Millionen im Jahr 2014.

Fazit

Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung wird die Zahl der erwerbsfähigen Menschen in Deutschland mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sinken. Hohe Nettozuzüge und steigende Erwerbsquoten von Frauen und Älteren können diesen Trend lediglich abschwächen, aber nicht stoppen. Auch die günstigste Entwicklung innerhalb eines 66-Prozent-Konfidenzbandes weist noch einen erheblichen Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials auf.

Natürlich sind auch bessere Ergebnisse als der obere Rand des Bandes möglich, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit gering – und ebenso besteht auch das Risiko, dass selbst der untere Rand noch unterschritten wird.

Literatur

Fuchs, Johann; Söhnlein, Doris; Weber, Brigitte; Weber, Enzo (2016): Ein integriertes Modell zur Schätzung von Arbeitskräfteangebot und Bevölkerung https://doku.iab.de/forschungsbericht/2016/fb1016.pdf. IAB-Forschungsbericht Nr. 10.

Weber, Enzo (2016): Hiergeblieben! Süddeutsche Zeitung, 12.09.2016, S. 18.