Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine stellt sich auch die Frage, welche Folgen die militärische Eskalation auf Gesamtwirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland hat. Wirtschaftliche Auswirkungen können sich unter anderem über Handelsverflechtungen, Energieversorgung, Unsicherheit und Migration ergeben. Angesichts der insgesamt stabilen Verfassung des deutschen Arbeitsmarktes könnten die Effekte hier begrenzt bleiben. Es bestehen aber Risiken.

Direkte Effekte des Ukraine-Kriegs auf die deutsche Wirtschaft ergeben sich zunächst durch Beeinträchtigung des bilateralen Handels: Der Austausch von Gütern und Dienstleistungen mit Russland wird sich infolge des Kriegs und der bereits beschlossenen Sanktionen deutlich reduzieren.

Die russische Wirtschaft steht aber nur auf Platz 14 der wichtigsten Abnehmerländer Deutschlands, zwischen Ungarn und Schweden. Von den Exporten (Ausfuhren und Dienstleistungseinnahmen) der deutschen Wirtschaft entfielen im Jahr 2021 1,9 Prozent auf die Russische Föderation. Bei den Importen waren es 2,8 Prozent, darunter allerdings Energieträger und andere wichtige Rohstoffe. Der Anteil der Ukraine beträgt 0,4 Prozent bei den Exporten und 0,3 Prozent bei den Importen. Die Anteile von Belarus liegen mit 0,1 Prozent noch deutlich darunter.

Weiterhin bestehen indirekte Verflechtungen, da auch andere Länder von Exportrückgängen nach Russland betroffen sein werden, die infolge der wirtschaftlichen Abschwächung wiederum ihre Nachfrage in Deutschland reduzieren. Diese Effekte wären in der Summe aber deutlich kleiner als der direkte Effekt.

Effekte durch direkte Handelsverflechtungen

Die Tabelle stellt die Verflechtungen im Warenhandel Deutschlands mit der Russischen Föderation und mit der Ukraine dar. Besonders relevant sind die Bereiche Maschinen, Fahrzeuge und Chemische Erzeugnisse, in denen Deutschland auch insgesamt hohe Exporte verzeichnet. Inwieweit diese Bereiche von negativen Effekten betroffen sein werden, hängt von mehreren Faktoren ab.

Die Tabelle zeigt den Warenhandel von Deutschland mit Russland und der Ukraine im Jahr 2021. Die Ausfuhr von Erzeugnissen nach Russland (26.648 Millionen Euro) war etwa fünf Mal so hoch, wie die in die Ukraine. Dabei ist der Anteil an Maschinen und Fahrzeugen, die in beide Länder exportiert wurden, im Vergleich zu anderen Gütern am größten (Russland: 52,9 Prozent, Ukraine: 46,8 Prozent). Die Einfuhren von Russland nach Deutschland sind etwa elf Mal so hoch, wie die Einfuhren aus der Ukraine (3097 Millionen). Die Importe aus Russland fallen vor allem auf fossile Energieträger (circa 74,9 Prozent) und bearbeitete Waren (14,5 Prozent) – aus der Ukraine werden vor allem sonstige Rohstoffe (25 Prozent) sowie Maschinen und Fahrzeuge (24,3 Prozent) nach Deutschland importiert.

Sanktionen gegen Russland gab es bereits 2014 nach der Annexion der Krim. Die Exporte nach Russland gingen bis 2015 gegenüber 2013 um knapp 40 Prozent zurück. Dies kann aber nur ein erster Anhaltspunkt sein, da die Eskalation heute deutlich über das damalige Maß hinausgeht. Das betrifft auch Sanktionen wie den Ausschluss aus dem Zahlungssystem SWIFT oder Beschränkungen der russischen Zentralbank.

In Zeiten von Lieferengpässen und Materialknappheiten würde sich ein Rückgang der Exportnachfrage aus Russland möglicherweise weniger als üblich auf den Produktionsoutput auswirken, da derzeit ohnehin ein Teil der Aufträge nicht abgearbeitet werden kann. Allerdings besteht auch das Risiko, dass sich Engpässe durch Störungen der Energieversorgung sowie der Lieferketten im internationalen Handel verschärfen. Bezogen auf Russland betrifft das neben Energieträgern einige weitere Zwischenprodukte und Rohstoffe wie Palladium (siehe Tabelle). Der Import landwirtschaftlicher Produkte nach Deutschland ist vergleichsweise gering, auf den Weltmärkten spielen Russland und die Ukraine hier aber eine wesentliche Rolle.

Eine Verflechtung der deutschen Wirtschaft gibt es auch durch Unternehmen in Deutschland mit Eigentümern in Russland. Diese Verflechtung hat aber nur eine begrenzte Bedeutung. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind in diesen Unternehmen 8.100 Personen beschäftigt. Umgekehrt gibt es auch Direktinvestitionen Deutschlands in der Russischen Föderation: Sie beliefen sich nach Angaben der Bundesbank Ende 2021 auf 24,3 Milliarden Euro, das sind etwa 1,5 Prozent aller Direktinvestitionen im Ausland. Der Anteil in der Ukraine ist deutlich kleiner. Die deutschen Banken sind mit Russland nicht eng verflochten. Einige europäische Banken wären von Ausfällen aber stärker betroffen.

Auswirkungen auf die Energieversorgung

Eine große Rolle für Deutschland spielen die Einfuhren fossiler Brennstoffe aus der Russischen Föderation. Zur Deckung des Gasverbrauchs in Deutschland trägt Russland bislang gut zur Hälfte bei, beim Erdöl liegt der Anteil bei gut einem Drittel. Teilweise ist Ersatz durch Importe aus anderen Ländern möglich, wozu auch die neuen Terminals für Flüssigerdgas (LNG) dienen sollen, und über die Zeit durch eine verstärkte Umstellung auf regenerative Energien.

Dennoch ist zu erwarten, dass sich die Energiepreise infolge des Kriegs und der Sanktionen weiter erhöhen werden. Betroffen sind nicht nur die (prioritär bedienten) Heizkunden, sondern ebenso die Wirtschaft. Der Grad der Verknappung ist hier abhängig vom Fortgang der russischen Energielieferungen. Der allgemeine Inflationsdruck steigt damit ebenfalls weiter. Dies kann sich negativ auf die Konsumnachfrage auswirken.

Denkbar sind staatliche Maßnahmen zur Abfederung dieser Auswirkungen, sodass die Staatsausgaben expansiv wirken dürften. Das wäre auch bei Stützungsmaßnahmen für besonders betroffene Unternehmen der Fall. In die gleiche Richtung wirken Investitionen bei der Umstellung der Energieversorgung sowie höhere Verteidigungsausgaben.

Die angekündigte Einhaltung des Nato-Ziels von zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) für die nationalen Verteidigungsausgaben würde jährliche kreditfinanzierte Zusatzausgaben von rund 20 Milliarden Euro erfordern. Diese wirken zwar nicht nur in Deutschland expansiv, sondern über Importe auch im Ausland. Allerdings ist umgekehrt auch mit stärkerer Auslandsnachfrage für die deutsche Rüstungsindustrie zu rechnen.

Unsicherheiten über Verlauf und Folgen des Krieges

Neben den Handelsverflechtungen spielt die Unsicherheit über Verlauf und Folgen des Krieges sowie die Entwicklung der Weltwirtschaft eine erhebliche Rolle. Wenn das Vertrauen der Unternehmen in die weitere wirtschaftliche Entwicklung schwindet, hat dies Konsequenzen vor allem für Investitionsentscheidungen.

Unsicherheiten über die weitere Erhöhung von Rohstoffpreisen oder mögliche Turbulenzen an Finanz- und Währungsmärkten können die wirtschaftliche Entwicklung belasten, sodass auch der Aufschwung der Weltwirtschaft insgesamt an Fahrt verliert. Die Finanzmarktreaktionen waren bislang zwar kräftig, aber nicht krisenhaft. Weltwirtschaftliche Risiken bestünden besonders im Falle weitergehender geopolitischer Verwerfungen.

Folgen der Fluchtmigration

Zu erwarten ist zudem eine zunehmende Fluchtmigration nach Deutschland. Das Migrationspotenzial ist erheblich, aber die realisierte Größenordnung momentan nicht abschätzbar. Überlegungen dazu enthält ein aktueller IAB-Forschungsbericht von Herbert Brücker und anderen.

Fluchtmigration hat verschiedene Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt. So dürften die BIP-Effekte kurzfristig positiv sein , da sofortige Investitionen und Sozialtransfers nötig werden (lesen Sie dazu einen 2018 erschienenen Aufsatz von Enzo Weber und Roland Weigand). Allerdings hat Fluchtmigration mittelfristig das BIP pro Kopf verringert und die Arbeitslosenquote etwas erhöht.

Heute könnten bei einer Anwendung der „Massenzustrom-Richtlinie“ der Europäischen Union Schutzsuchende durch Entfallen des Asylverfahrens schneller als früher dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen – abhängig von der Ausgestaltung von Regelungen zur Beschäftigungsaufnahme und der Dauer des Aufenthaltsrechts.

Grundsätzlich besteht ein hoher Arbeitskräftebedarf und damit unmittelbar Potenzial für Beschäftigungszuwächse. Zudem können Investitionen in Qualifikation, Sprache und Integration die Arbeitsmarktergebnisse bei Fluchtzuwanderung stark verbessern (lesen Sie dazu den IAB-Kurzbericht 2/2017). Die deutschen Wanderungssalden mit Russland lagen in den vergangenen Jahren bei circa 10.000 Personen und waren damit gesamtwirtschaftlich nicht bedeutend.

Abschwächung der globalen und deutschen Konjunktur

Die Bedeutung Russlands für die Weltwirtschaft ist in Teilen wie der Energiewirtschaft hoch, insgesamt aber dennoch nur begrenzt. Bei bisher günstigen wirtschaftlichen Aussichten ist insgesamt eine Abschwächung der globalen und deutschen Konjunktur infolge des Ukraine-Kriegs zu erwarten. Ein Absturz dürfte ausbleiben, solange es zu keiner umfassenden geopolitischen Eskalation oder einer systemischen Wirtschaftskrise kommt.

Mittelfristig werden sich die Wirtschaftsakteure an die geänderten Rahmenbedingungen anpassen. In einem nicht krisenhaften Szenario könnten für die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dann zusätzliche Investitionen Abschwächungen wie beim Handel überwiegen.

Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt

Die Wirkungen auf den Arbeitsmarkt hängen neben einer möglichen Erhöhung des Arbeitskräfteangebots durch Migration vor allem von den weiteren wirtschaftlichen Folgen ab. Bleiben diese vergleichsweise begrenzt, ist mit keiner starken Beeinträchtigung der Arbeitsmarktentwicklung zu rechnen. Insgesamt ist diese in Deutschland gegenüber wirtschaftlichen Schwankungen deutlich robuster geworden. Dies haben Sabine Klinger und Enzo Weber in einer 2020 publizierten Studie gezeigt. Das liegt auch an der niedrigen Entlassungsquote, die daraus resultiert, dass sich Betriebe angesichts der deutlich gestiegenen Arbeitskräfteknappheit Beschäftigte sichern.

Im Falle gravierender wirtschaftlicher Folgen wären diese auch bei Beschäftigung und Arbeitslosigkeit spürbar. Diese dürften allerdings durch den Einsatz von Kurzarbeit in den betroffenen Betrieben gedämpft werden. Denn diese ist gerade bei vorübergehenden exogenen Schocks geeignet, um die Zeit bis zu einem Neustart oder einer Neuausrichtung der wirtschaftlichen Tätigkeit zu überbrücken und so Beschäftigung zu stabilisieren. Erleichterte Bedingungen für die Kurzarbeit bestehen derzeit ohnehin bis zur Jahresmitte 2022.

Möglich erscheinen in diesem Zusammenhang auch staatliche Maßnahmen zur Vermeidung kurzfristiger Insolvenzen. Die Gewährung vorübergehender Wirtschaftshilfen für besonders betroffene Betriebe könnte sich wie bei den Corona-Hilfen an Anteilen des ausgefallenen Umsatzes orientieren. Denkbar ist, wie in früheren Krisenkonstellationen, dass sich die besonders betroffenen Wirtschaftszweige bei Einstellungen zurückhalten. Rückschläge könnte es in der besonders volatilen Zeitarbeit geben, die im Exportgewerbe stark eingesetzt wird.

Ausbau der regenerativen Energieerzeugung

Infolge des Ukraine-Kriegs dürfte der Ausbau regenerativer Energieerzeugung forciert werden. Damit gewinnt die Sicherung von Fachkräften zusätzliche Bedeutung. Mehrbedarf dürfte in Bereichen wie Bau, Handwerk und Energietechnik entstehen, in denen schon jetzt Engpässe bestehen.

Eine aktuelle Analyse von Tobias Maier und Koautoren hat gezeigt, dass die Bauvorhaben der Ampel-Koalition eine Stärkung des Fachkräfteangebots voraussetzen. Eine weitergehende Analyse der Auswirkungen der im Koalitionsvertrag festgelegten Zielvorgaben und Maßnahmen zum Klimaschutz und Wohnungsbau wird ein in Bälde erscheinender IAB-Forschungsbericht von Gerd Zika und anderen anstellen. Zentral für die Fachkräftesicherung werden Qualifizierung, berufliche Bildung, Erwerbsbeteiligung, Zuwanderung und Integration sein.

Literatur

Bach, Stefan; Brücker, Herbert; Deuverden, Kristina van; Haan, Peter; Romiti, Agnese; Weber, Enzo (2017): Fiskalische und gesamtwirtschaftliche Effekte: Investitionen in die Integration der Flüchtlinge lohnen sich, IAB-Kurzbericht Nr. 2.

Brücker, Herbert; Goßner, Laura; Hauptmann, Andreas; Jaschke, Philipp; Kassam, Kamal; Kosyakova, Yuliya; Stepanok, Ignat (2022): Erste Einschätzung der Folgen des Krieges in der Ukraine für Migration und Integration, IAB-Forschungsbericht Nr. 2.

Klinger, Sabine; Weber, Enzo (2020): GDP-Employment Decoupling in Germany. In: Structural Change and Economic Dynamics, Vol. 52, S. 82-98.

Maier, Tobias; Wolter, Marc Ingo; Schneemann, Christian (2021): Bauvorhaben der Ampel-Koalition bedingen Stärkung des Fachkräfteangebots. Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn.

Weber, Enzo; Weigand, Roland (2018): Identifying macroeconomic effects of refugee migration to Germany. In: Economics Bulletin, Vol. 38, No. 2, S. 852-862.

Zika, Gerd; Maier, Tobias; Mönnig, Anke; Schneemann, Christian; Steeg, Stefanie; Weber, Enzo; Wolter, Marc Ingo; Krinitz, Jonas (2022): Die Folgen der neuen Klima- und Wohnungsbaupolitik des Koalitionsvertrags auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt. IAB-Forschungsbericht (im Erscheinen).

In aller Kürze

  • Der internationale Handel wird durch den Ukraine-Krieg massiv beeinträchtigt. Da aber weder Russland noch die Ukraine bedeutende Abnehmer für deutsche Exporte sind, dürfte ein Rückgang die deutsche Wirtschaft insgesamt nicht allzu stark treffen — zumal ein Teil der Aufträge angesichts der aktuellen Lieferengpässe ohnehin nicht abgearbeitet werden kann.
  • Es steht zu erwarten, dass die Energiepreise in Folge des Krieges und der Sanktionen weiter steigen und damit die Konsumnachfrage dämpfen.
  • Bei bisher günstigen wirtschaftlichen Aussichten ist insgesamt eine Abschwächung der globalen und deutschen Konjunktur infolge des Ukraine-Kriegs zu erwarten. Ein Absturz dürfte ausbleiben, solange es zu keiner umfassenden geopolitischen Eskalation oder einer systemischen Wirtschaftskrise kommt.
  • Die Wirkungen auf den Arbeitsmarkt hängen neben einer momentan noch nicht abschätzbaren Zuwanderung vor allem von den weiteren wirtschaftlichen Folgen ab. Bleiben diese vergleichsweise begrenzt, ist mit keiner starken Beeinträchtigung der Arbeitsmarktentwicklung zu rechnen. Im Falle größerer Folgen wären diese auch am Arbeitsmarkt spürbar, aber auch dann dürften viele Betriebe – ggf. unter Einsatz von Kurzarbeit – ihre Beschäftigung sichern.
  • Infolge des Ukraine-Kriegs dürfte der Ausbau regenerativer Energieerzeugung forciert werden. Damit gewinnt die Sicherung von Fachkräften zusätzliche Bedeutung.

 

doi: 10.48720/IAB.FOO.20220302.02

Gartner, Hermann; Weber, Enzo (2022): Bedeutung des Ukraine-Kriegs für Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland, In: IAB-Forum 2. März 2022, https://www.iab-forum.de/bedeutung-des-ukraine-kriegs-fuer-wirtschaft-und-arbeitsmarkt-in-deutschland/, Abrufdatum: 16. April 2024