Anders als von seinen Gegnern befürchtet, hat der Mindestlohn nicht zu massiven Beschäftigungsverlusten geführt. Auswirkungen auf die Zahl der Beschäftigten in den Betrieben hatte der Mindestlohn am ehesten in Form von verhalteneren Neueinstellungen. Darüber hinaus zählen zu den vergleichsweise häufigsten Reaktionen der Betriebe auf den Mindestlohn nach deren eigenen Angaben eine Verdichtung der Arbeit, eine Erhöhung der Absatzpreise und eine Zurückstellung von Investitionen. Allerdings betreffen diese Maßnahmen auch jeweils nur eine Minderheit der Betriebe.

Über wenig andere arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wurde und wird in Deutschland so heftig diskutiert wie über den zum 1. Januar 2015 eingeführten allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Seine Befürworter sehen darin einen längst überfälligen Schritt zur Einführung einer unteren Haltelinie bei den Löhnen. Seine Gegner warnen weiterhin vor möglichen negativen Folgen. Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht regelmäßig die Frage, ob der Mindestlohn schädlich für die Beschäftigung ist oder nicht.

In dem Maße, so das Argument der Mindestlohngegner, in dem die Beschäftigten von einer mindestlohnbedingten Lohnerhöhung profitieren, steigen auch die Lohnkosten, was – unter sonst gleichen Bedingungen – zu einer geringeren Arbeitsnachfrage führe. Diese Argumentation ist jedoch umstritten. Die Befürworter von Mindestlöhnen vertreten die Auffassung, dass dadurch in erster Linie nur eine Umverteilung zwischen Unternehmensgewinnen und Beschäftigteneinkommen erfolgt, ohne dass die Arbeitsnachfrage sinkt. Welche These für den deutschen Arbeitsmarkt eher zutrifft, kann theoretisch kaum eindeutig beantwortet werden. Dies muss vielmehr empirisch geklärt werden.

Zu diesem Zweck wurden in den Jahren 2014 und 2015 entsprechende Fragen in das IAB-Betriebspanel aufgenommen. Die ersten Ergebnisse dieser Befragungen, die bereits in verschiedenen Publikationen des IAB präsentiert worden sind, sollen im Folgenden zusammengefasst werden.

Gastgewerbe und Einzelhandel waren am stärksten vom Mindestlohn betroffen

Im IAB-Kurzbericht 6/2015 wurde dargestellt, wie viele Betriebe tatsächlich vom Mindestlohn betroffen sind. Demnach hatte nur noch rund jeder achte Betrieb kurz vor der Einführung des Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro pro Arbeitsstunde mindestens einen Beschäftigten, der weniger verdiente. In diesen Betrieben war dann jedoch der Anteil der Beschäftigten, deren Stundenlohn unterhalb des Mindestlohns lag, relativ hoch.

Erwartungsgemäß waren in Ostdeutschland mehr Betriebe betroffen als in Westdeutschland. Die am stärksten betroffenen Branchen waren das Gastgewerbe und der Einzelhandel. Beschäftigte in diesen Regionen und Branchen haben also in besonderem Ausmaß vom Mindestlohn profitiert. Umgekehrt sind aber auch die Lohnkosten für deren Arbeitgeber besonders stark gestiegen.

Im IAB-Discussion Paper 3/2016 wurde die Frage beantwortet, inwieweit sich unmittelbar vor Einführung des Mindestlohns die Beschäftigungserwartungen der Betriebe, die vom Mindestlohn betroffen waren, von Betrieben unterschieden, die nicht betroffen waren. Dabei zeigte sich: Erstere wiesen sowohl eine unsicherere als auch eine schlechtere Beschäftigungserwartung auf als letztere. Überdies gaben zehn Prozent der vom Mindestlohn betroffenen Betriebe an, dass die gestiegenen Lohnkosten sie vor ein personalpolitisches Problem stellen.

Angesichts dessen fiel der erwartete Rückgang der Gesamtbeschäftigung in allen vom Mindestlohn betroffenen Betrieben gering aus: Verglichen mit dem dritten Quartal 2014 lag der Rückgang der Gesamtbeschäftigung, den die Betriebe als Folge des Mindestlohns erwarteten, im niedrigen fünfstelligen Bereich.

Zwölf Prozent Lohnzuwachs für die vom Mindestlohn betroffenen Beschäftigten

Die ersten empirischen Ergebnisse zu den Beschäftigungseffekten des Mindestlohns, die sich auf Daten nach dessen Einführung beziehen, wurden im IAB-Discussion Paper 10/2016 vorgelegt. Diese bestätigten die Erwartungen, die bereits in einem vorher publizierten IAB-Discussion Paper (3/2016) angeklungen waren. So war das Beschäftigungswachstum in vom Mindestlohn betroffenen Betrieben erwartungsgemäß etwas niedriger als in vergleichbaren Betrieben, die bereits vorher kein Personal mit einem Stundenlohn unterhalb von 8,50 Euro beschäftigten.

Dieser Einfluss auf die Beschäftigung ist jedoch ausschließlich für die Betriebe in Ostdeutschland statistisch signifikant, also für Westdeutschland zu vernachlässigen. Demnach belaufen sich die hochgerechneten Beschäftigungsverluste durch die Mindestlohneinführung auf 40.000 bis 60.000 Beschäftigungsverhältnisse. Hierzu dürften zu einem nennenswerten Anteil auch geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse zählen. Gemessen an der relativ hohen Zahl der vom Mindestlohn betroffenen Beschäftigungsverhältnisse ist der Beschäftigungseffekt als relativ klein zu bewerten.

Vertiefende Analysen zeigen, dass die schwächere Beschäftigungsentwicklung in den Mindestlohnbetrieben vor allem durch eine Zurückhaltung bei den Neueinstellungen, kaum aber durch Entlassungen zustande kam. Ungeachtet seiner recht moderaten Auswirkungen auf die Beschäftigung hat der Mindestlohn den davon direkt betroffenen Beschäftigten einen deutlichen Lohnzuwachs beschert: Deren Bruttomonatslöhne sind im Durchschnitt dank des Mindestlohns um rund zwölf Prozent gestiegen.

Im IAB-Kurzbericht 18/2016 wurden Ergebnisse einer 2015 durchgeführten Befragung im Rahmen des IAB-Betriebspanels präsentiert. Sie bezieht sich darauf, welche Maßnahmen die Betriebe im Einzelnen ergriffen haben oder noch ergreifen wollten, um die Folgen des Mindestlohns abzufedern (vgl. Abbildung).

Created with Highstock 5.0.12Maßnahmen der Betriebe als Reaktion auf den Mindestlohn2015, Anteile der betroffenen Betriebe in Prozent (eigene Angaben)181817.917.910.410.46.26.24.74.72.82.81.61.61.41.41.11.1Reduzierung der Arbeitszeit oderVerdichtung der ArbeitReduzierung der Arbeitszeit oder Verdichtung der ArbeitErhöhung der AbsatzpreiseZurückhaltung beiEinstellungen/WiederbesetzungenZurückhaltung bei Einstellungen/WiederbesetzungenZurückstellung oder Reduzierung vonInvestitionenZurückstellung oder Reduzierung von InvestitionenEntlassung von BeschäftigtenVermehrter Einsatz flexiblerBeschäftigungsformenVermehrter Einsatz flexibler BeschäftigungsformenAuslagerungen von Leistungen oderGeschäftsfeldernAuslagerungen von Leistungen oder GeschäftsfeldernSubstitution von Arbeitskräften durchMaschinenSubstitution von Arbeitskräften durch MaschinenEinsatz von Arbeitnehmern für dieAusnahmeregelungen geltenEinsatz von Arbeitnehmern für die Ausnahmeregelungen geltenQuelle: IAB-Betriebspanel 2015. © IAB

Es zeigt sich, dass Betriebe nach eigenen Angaben am häufigsten dadurch auf den Mindestlohn reagierten, dass sie die Arbeitszeit verkürzten oder die Arbeit verdichteten (18 % der betroffenen Betriebe). Ein Teil der Betriebe versuchte auch die gestiegenen Kosten über eine Erhöhung der Absatzpreise auf die Konsumenten abzuwälzen. Interessanterweise scheinen die meisten Anpassungsmaßnahmen bereits durchgeführt worden zu sein, da die Antwortalternative „beabsichtigte Maßnahme“ für die meisten Anpassungsalternativen deutlich seltener gewählt wurde als „bereits ergriffene Maßnahmen“.

Fazit

Mindestlohnanalysen mit dem IAB-Betriebspanel zeigen, dass sich die betriebliche Betroffenheit vom Mindestlohn vorwiegend auf die ostdeutschen Bundesländer konzentriert. Entgegen aller Befürchtungen kam es im Zuge der Mindestlohneinführung nicht zu massiven Beschäftigungsverlusten. Es zeigt sich für Betriebe im Osten jedoch eine leichte Zurückhaltung bei den Neueinstellungen. Zugleich scheint eine Reduzierung der Arbeitszeit ein vergleichsweise häufig genutzter Anpassungsmechanismus zu sein. Gemessen an den deutlichen Lohneffekten und den damit verbundenen Lohnkostensteigerungen fallen diese betrieblichen Reaktionen jedoch recht verhalten aus.

Literatur

Bellmann, Lutz; Bossler, Mario; Dütsch, Matthias; Gerner, Hans-Dieter; Ohlert, Clemens (2016): Folgen des Mindestlohns in Deutschland: Betriebe reagieren nur selten mit Entlassungen. IAB-Kurzbericht Nr. 18.

Bellmann, Lutz; Bossler, Mario; Gerner, Hans-Dieter; Hübler, Olaf (2015): IAB-Betriebspanel: Reichweite des Mindestlohns in deutschen Betrieben. IAB-Kurzbericht Nr. 6.

Bossler, Mario (2016): Employment expectations and uncertainties ahead of the new German minimum wage. IAB-Discussion Paper Nr. 3 (mittlerweile erschienen im Scottish Journal of Political Economy, online first).

Bossler, Mario; Gerner, Hans-Dieter (2016): Employment effects of the new German minimum wage. Evidence from establishment-level micro data. IAB-Discussion Paper Nr. 10.