Wasserstoff kann einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten und gleichzeitig die Abhängigkeit von Lieferländern für fossile Energie reduzieren. Wie sich der Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft auf die Wirtschaftsleistung und den Arbeitsmarkt bis 2045 auswirken kann, hat ein Team aus dem IAB, dem Bundesinstitut für Berufsbildung und der Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung berechnet. Die Redaktion des IAB-Forums hat dazu bei Johanna Zenk und Christian Schneemann nachgefragt.

Um herauszufinden, wie es sich auf den Arbeitsmarkt auswirkt, wenn Deutschland eine eigene Wertschöpfungskette für Wasserstoff aufbaut, haben Sie mögliche Zukunftsszenarien verglichen. Was war dabei das überraschendste Ergebnis für Sie?

 

Portraitfoto Johanna Zenk

Johanna Zenk ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am IAB.

Johanna Zenk: Überraschend ist sicherlich der höhere Bedarf an Arbeitskräften im Baugewerbe. In den Medien wird beim Thema Wasserstoff meistens über den Einsatz in Fahrzeugen mit Brennstoffzelle oder zuletzt auch in Heizungen berichtet. Aber wenn Wasserstoff grün sein soll, also klimaneutral hergestellt, braucht man dafür Strom aus erneuerbaren Energien. Und da sind wir bei der Bauwirtschaft, denn es müssen unter anderem mehr Windräder und Photovoltaikanlagen gebaut werden.

Christian Schneemann: Unsere Berechnungen haben auch gezeigt, dass es im Wasserstoff-Szenario langfristig zu einem schwächeren Wirtschaftswachstum kommt. Grüner Wasserstoff wird voraussichtlich erstmal teurer sein als fossile Energieträger wie Erdgas oder Erdöl. Wir haben bereits während der Energiekrise gesehen, dass höhere Energiepreise auf die Wirtschaftsleistung drücken. Überraschend ist, dass trotz der steigenden Energiepreise und der damit verbunden negativen Effekte mehr Arbeitskräfte benötigt werden.

Für den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft brauchen wir im Jahr 2030 rund 70.000 Arbeitskräfte mehr.

Wie wird sich die Beschäftigung in Deutschland ändern, wenn wie von Ihnen berechnet in den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft investiert wird?

Christian Schneemann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am IAB

Schneemann: Die Zahl der Beschäftigten wird leicht steigen, aber darüber hinaus erwarten wir keine größeren Auswirkungen. Wir haben in unserer Analyse vor allem zwei Zeitpunkte genauer betrachtet. Einmal das Jahr 2030 als ersten Meilenstein, denn die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung definiert bis dahin konkrete Ziele. Wenn die umgesetzt werden, brauchen wir im Jahr 2030 rund 70.000 Arbeitskräfte mehr. Das mag zunächst nach einer hohen Zahl klingen, setzt man sie ins Verhältnis zu allen Erwerbstätigen, sind das aber geringere Werte.

Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft kann mit den vorhandenen Berufen umgesetzt werden.

Zenk: Wir haben dazu auch mit Expert*innen aus der Wissenschaft, von Verbänden und von Industrieunternehmen gesprochen. Deren einhellige Meinung war, dass der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft mit den vorhandenen Berufen umgesetzt werden kann. Natürlich werden Weiterbildungen nötig sein. Es ist aber nicht zu erwarten, dass es in absehbarer Zukunft den Ausbildungsberuf des „Wasserstofftechnikers“ oder ähnliches geben wird. Wasserstoffkenntnisse können auch im Rahmen der vorhandenen Ausbildungs- und Studienordnungen vermittelt werden.

Schneemann: Der zweite Zeitpunkt, den wir genauer unter die Lupe genommen haben, ist das Jahr 2045. Bis dahin soll Deutschland klimaneutral sein. Wasserstoff ist dabei ein wichtiges Puzzleteil, vor allem wenn es darum geht, Industrien zu dekarbonisieren, die hohe Temperaturen für die Produktion benötigen. Bis 2045 sollte jedenfalls schon ein Großteil der Wasserstoffinfrastruktur aufgebaut sein. Entsprechend ist dann auch der zusätzliche Arbeitskräftebedarf nicht mehr so hoch. Wir gehen davon aus, dass 2045 noch rund 30.000 Arbeitskräfte mehr gebraucht werden als in einem Szenario ohne Aufbau der Wasserstoffwirtschaft.

Sie schreiben von einer Wertschöpfungskette, die aufgebaut werden müsste. Was verstehen Sie darunter?

Zenk: Eine „Wertschöpfungskette Wasserstoff“ umfasst ganz viele Bereiche. Erstmal braucht man natürlich die Technologien, um grünen Wasserstoff herstellen und überhaupt nutzen zu können. Da müssen Elektrolyseure für die Wasserstoffproduktion produziert werden und Brennstoffzellen, um den Wasserstoff wieder in elektrische Energie umzuwandeln. Je nach Anwendungsbereich werden auch spezielle Turbinen und Verbrennungsmaschinen benötigt. Außerdem muss der Wasserstoff von den Produktionsstandorten zu den Nutzer:innen gebracht werden. Das fängt bei Hafenterminals für den Import an, umfasst aber auch unterirdische Speicher und Pipelines und hört nicht zuletzt bei Wasserstofftankstellen auf.

Schneemann: Zudem kann Wasserstoff weiterverarbeitet werden, zum Beispiel zu synthetisch hergestelltem Methanol oder synthetischen Kraftstoffen, den sogenannten E-Fuels. Am Ende stehen die Nutzer:innen, die Wasserstoff zum Beispiel als Ersatz für Erdgas einsetzen oder aber auch stofflich nutzen, etwa in der Chemieindustrie. Nicht vergessen werden dürfen auch die vielen Dienstleistungen rund um das Thema Wasserstoff. Da müssen Anlagen geplant, geprüft und zertifiziert werden, Schulungen und Weiterbildungsangebote konzipiert und umgesetzt werden. Weil viele Wasserstofftechnologien technologisch noch nicht voll ausgereift sind, werden weiterhin zusätzliche Anstrengungen im Bereich der Forschung und Entwicklung unternommen werden müssen. Es ist alles umfangreicher, als man erstmal denken könnte.

Bis 2030 braucht die Wasserstoffwirtschaft vor allem Bauberufe.

Welche Berufsgruppen würden für eine Wasserstoffwirtschaft benötigt?

Schneemann: In der Markthochlaufphase bis 2030 sind es vor allem verschiedene Bauberufe von der Bauplanung- und Bauüberwachung bis hin zum Hochbau. Das hängt vor allem mit dem Aufbau der Produktionsanlagen und der Wasserstoffinfrastruktur zusammen, die es ja fast noch gar nicht gibt. Auch im Bereich Maschinenbau, Energie- und Elektrotechnik sehen wir höhere Bedarfe. Wenn sich der Markt dann etabliert hat, schwächen sich diese zusätzlichen Bedarfe etwas ab und es kommt zum Beispiel ein vermehrter Bedarf an Lehrpersonen an außerschulischen Bildungseinrichtungen hinzu. Der Bedarf an Personen in administrativen Berufen wird durch die Wasserstoffwirtschaft ebenfalls steigen, schließlich müssen die ganzen Projekte genehmigt und verwaltet werden.

Sind das nicht Berufe, in denen wir aktuell schon auf dem Arbeitsmarkt einen Engpass verzeichnen?

Schneemann: Das stimmt, und diese Engpässe könnten den Markthochlauf tatsächlich ausbremsen, zumindest die inländische Produktion. Gleichzeitig ist es ja das Ziel, mit dem Umstieg auf Wasserstoff im Energiebereich etwas unabhängiger von anderen Ländern zu werden.

Zenk: Sollten wir es nicht schaffen, ausreichend Produktionskapazitäten im Inland aufzubauen, müsste Deutschland erstmal mehr Wasserstoff importieren. Das ist aber auch nicht ganz einfach, weil die Infrastruktur dafür noch nicht in dem benötigten Maße vorhanden ist.

Beim Preis herrschen noch große Unsicherheiten.

Wird ein Ausbau der Wasserstoffwirtschaft auf Kosten anderer Branchen gehen?

Schneemann: Der Aufbau direkt erstmal weniger. Die Erdöl-Raffinerien müssen sich allerdings weitere Geschäftsfelder suchen, wie die Herstellung von Biokraftstoffen oder von synthetischen Kraft- und Grundstoffen. Was jedoch einige Branchen tendenziell belasten wird, sind erstmal die höheren Kosten für die Verwendung von Wasserstoff. Das trifft dann natürlich die energieintensiven Branchen am stärksten. Zum Beispiel zeigt sich, dass in der Chemieindustrie im Jahr 2030 dadurch rund 4.000 Personen weniger beschäftigt sein werden. Durch die strengere Klimapolitik werden allerdings auch die Preise für fossile Energieträger steigen. In unserem Wasserstoff-Szenario sinkt deshalb die Kostendifferenz zwischen Wasserstoff und fossilen Energieträgern im Zeitverlauf ab. In der vorher genannten Chemieindustrie fällt der Beschäftigungseffekt dann 2045 sogar leicht positiv aus.

Zenk: Beim Preis herrschen allerdings noch große Unsicherheiten. Der Markt für grünen Wasserstoff entwickelt sich ja gerade erst. Wir haben in unserer Analyse deshalb verschiedene Preisszenarien durchgerechnet. Dabei können wir zeigen, dass negative Wirkungen umso geringer ausfallen, je günstiger Wasserstoff zur Verfügung steht. Unterhalb eines gewissen Preisniveaus erwarten wir sogar ausschließlich positive Effekte auf die Wirtschaftsleistung. Zudem stecken in der Transformation auch Chancen für die deutsche Wirtschaft. Zwar ist bei den Brennstoffzellen die Konkurrenz aus dem asiatischen Raum schon sehr hoch, aber bei den Elektrolyseuren zählt Deutschland noch immer zu den Weltmarktführern. Hier wird es darauf angekommen, die Produktion in die Serienfertigung zu überführen. Deutschland könnte außerdem aufgrund seiner geologischen Gegebenheiten unterirdische Speicherkapazitäten für andere europäische Länder zur Verfügung stellen.

Welche Maßnahmen müsste die Politik jetzt ergreifen, um die ökologische Transformation im Bereich Wasserstoff zu unterstützen?

Schneemann: Planungssicherheit ist hier das Schlüsselwort, das uns vor allem von Industrievertreter:innen fast ausnahmslos genannt wurde. Die Frage ist auch, ob die Maßnahmen schnell genug umgesetzt werden, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Durch die Energiekrise nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat das ganze Thema aber doch deutlich an Fahrt aufgenommen. Die EU hat Anfang 2023 erstmal in einem Rechtsakt festgelegt, unter welchen Voraussetzungen Wasserstoff überhaupt als „erneuerbar“ eingestuft werden darf. Das war schon ein wichtiger Schritt hin zu mehr Planungssicherheit. Auch die Klimaschutzverträge setzen Anreize für Investitionen.

Zenk: Interessant finde ich zudem die Gründung der H2Global Stiftung, der die Bundesregierung Fördermittel in Höhe von 900 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat. Für einen Zeitraum von maximal zehn Jahren soll damit die Differenz zwischen Angebots- und Nachfragepreis von grünem Wasserstoff und Wasserstoffderivaten überbrückt werden. Dadurch erhalten Wasserstoffproduzenten mehr Planungssicherheit bei Investitionsentscheidungen und Abnehmer mehr Planungssicherheit beim Zugang zu Wasserstoff.

Herausforderungen bleiben im Bereich der internationalen Zusammenarbeit.

Schneemann: Gleichwohl bleiben natürlich noch Herausforderungen, gerade im Bereich der internationalen Zusammenarbeit. Ziel der deutschen Klimapolitik kann es nicht sein, dass wir auf alternative Energieträger wie Wasserstoff umsteigen, sich durch die höheren Energiepreise aber Industrieproduktion in andere Regionen mit geringeren Klimaschutzvorgaben verlagert. Deshalb braucht es ein international abgestimmtes Vorgehen zur Umsetzung der Pariser Klimaziele, um faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und gleichzeitig die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Auch hier gibt es bereits Bestrebungen, zum Beispiel durch den CO2-Grenzausgleichsmechanismus der EU.

Literatur

Ronsiek, Linus; Schneemann, Christian ; Mönnig, Anke; Samray, David; Schroer, Jan Philipp; Schur, Alexander Christian; Zenk, Johanna (2024): Arbeitskräftebedarf und Arbeitskräfteangebot entlang der Wertschöpfungskette Wasserstoff: Szenario-v2.1. IAB-Forschungsbericht Nr. 7.

 

Bild: scharfsinn86/stock.adobe.com

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240508.01

Keitel, Christiane (2024): Ausbau der Wasserstoffwirtschaft: zusätzliche Arbeitskräfte gesucht, In: IAB-Forum 8. Mai 2024, https://www.iab-forum.de/ausbau-der-wasserstoffwirtschaft-zusaetzliche-arbeitskraefte-gesucht/, Abrufdatum: 19. May 2024